40. Der Trank des Schlummernden Wachens

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Da ich Harry meinen Glückwunsch unbedingt aussprechen wollte, ihn am Abend nach der Aufgabe jedoch nicht mehr erwischt hatte, hastete ich am nächsten Tag nach der dritten Stunde, in der wir Verteidigung gegen die Dunklen Künste hatten, zum Verwandlungsklassenzimmer, das zwei Stockwerke höher lag, um ihn dort abzufangen. Glücklicher Weise musste ich gar nicht alle Stiegen hinauf steigen, da er mir Seite an Seite mit Ron und Hermine bereits entgegenkam.
"Harry!", keuchte ich und winkte ihm zu.
Verwundert hob er den Kopf. "Oh, hallo", sagte er wenig begeistert.
Allerdings wurde die spärliche Freude seinerseits von Hermines überschwänglicher Umarmung wettgemacht. "Hallo, Kathleen! Was machst du denn hier?", rief sie gut gelaunt.
"Ich wollte dir gratulieren, Harry", erklärte ich über Hermines Schulter. "Du hast das mit dem Drachen wirklich fantastisch hingekriegt."
"Oh, äh, danke", meinte er etwas halbherzig.
"Tut mir leid, wenn ich heute schon die Fünfhunderste bin, die dir das sagt, aber ich musste es trotzdem loswerden", lächelte ich ihn an.
Irgendwie schien Harry nicht recht zu wissen, ob er sich freuen oder genervt sein sollte. Doch Luna hatte mir angewöhnt, nicht so sehr darauf zu achten, was die Leute davon hielten, sondern einfach das zu sagen und zu tun, was man wollte. Deshalb zögerte ich auch nicht lange, sondern umarmte Harry kurz und freundschaftlich.
Doch genau in dem Augenblick, als sich meine Arme um seine schmalen Schultern schlossen, erklang eine hämische Stimme hinter mir: "Na, Potter, hast wohl einen Ersatz für deine Schlammblut-Freundin Granger gefunden! Nach allem, was man so hört, ist die ja schon an Krum vergeben!"
Diese Worte rieselten eiskalt meinen Rücken hinab. Meine Körper versteifte sich, sodass ich mir wie eine Schaufensterpuppe vorkam. Alles Blut schien in meine Füße gelaufen zu sein, so schwer fühlten sie sich an, als ich mich langsam umdrehte.
Dracos eben noch überheblichen Züge entglitten ihm völlig, als ich seinem Blick begegnete. Ungläubig und sprachlos starrte er mich an, als sei ich das erste Weltwunder der Zukunft. Hastig schenkte ich Harry noch ein letztes Lächeln, rief ein rasches "Tschüss!" und verduftete so schnell ich konnte Richtung Geschichte der Zauberei im zweiten Stock. Es war sowieso längst Zeit, mich auf den Weg zu machen, bestimmt läutete es gleich. Als wolle mich das Schicksal verspotten, klingelte es tatsächlich just in diesem Moment.
Oh Gott, wieso muss er ausgerechnet dann kommen, wenn ich Harry umarme? Er glaubt jetzt sicher, ich bin in ihn verliebt oder so! Und wenn das erst Pansy erfährt . . .
Allein bei der Vorstellung lief mir ein Schauer über den Rücken.
Wie ein Wunder schaffte ich es, gerade noch ins Klassenzimmer zu huschen, bevor die Türe zufiel. Außer Atem ließ ich mich in meinen Sessel sinken. Als ich mich unauffällig umsah, bestätigte sich meine Vermutung, Draco, Crabbe und Goyle waren noch nicht da. Ich fragte mich gerade, ob Binns seinen Vortrag unterbrechen und ihnen fürs Zuspätkommen Punkte abziehen würde, als die Türe aufgerissen wurde.
Die drei Fehlenden standen im Türrahmen, die massigen Malfoy-Bodyguards mit verwirrter Miene, während Draco merkwürdig blass aussah. Wirklich seltsam, ich hätte gar nicht gedacht, das er noch blasser werden könnte als er ohnehin schon war.
Verwirrt stoppte Professor Binns seine Laier, dann entdeckte er die Störenfriede. "So, so. Schüler zu spät." Durchsichtig wie eh und je schwebte er auf sie zu, um sich ihr Hausabzeichen näher anzusehen. "Ah, Slytherins. Denkt wohl, ihr könnt euch alles erlauben, was? Zehn Punkte Abzug für jeden von euch."
Eigentlich hätte ich jetzt eine freche Antwort von Draco erwartet, doch es kam nichts. Stattdessen marschierte er wie in Trance zu seinem üblichen Platz neben Kotzbrocken - also Pansy - eine Reihe vor mir und seine Schosshündchen hinterher.
Das einzige Gute an Geschichte der Zauberei war, man konnte seinen Gedanken problemlos nachhängen. Den Versuch, etwas aus diesen Unterrichtsstunden mitzunehmen, hatte ich längst aufgegeben, stattdessen besorgte ich mir jedes Jahr eine Zusammenfassung über den Stoff der jeweiligen Klasse und las es selbstständig nach, was sich wesentlich interessanter gestaltete.
Draußen hatten sich die Wolken zu einer schweren, grauen Decke zusammengezogen, die meine Stimmung nicht gerade hob. Allerdings besaß sie dennoch etwas Tröstendes, immerhin - dem Wetter ging es auch nicht besser. So lag ich zur Hälfte auf meinem Tisch neben einem mir unbekannten Mädchen aus Hufflepuff und starrte nachdenklich aus dem Fenster. Die Klasse verblasste vor meinen Augen und an ihre Stelle trat Dracos blasses Gesicht. Seine seidigen, aschblonden Haare, die hellgrauen Augen, die schmalen Lippen. Und das Lächeln darauf, das jedoch niemals mir galt. Selbst, wenn sich sein Hass auf mich jemals legen sollte, würde er jedoch nie dasselbe für mich empfinden können wie ich für ihn. Sehnsuchtsvoll zog sich mein vor Liebe überschäumendes Herz zusammen.
Bei meiner Gabe als Luciènne müsse man doch meinen, ich könne Männern den Kopf verdrehen. Hatte Moody nicht auch irgendetwas von Luciènne können jemanden zu allem bringen gesagt? Schnell verwarf ich den Gedanken wieder. Nein, das kam gar nicht in Frage. Irgendwo hatte ich einmal gelesen, Kinder die unter Einfluß eines Liebestrankes geboren wurden, könnten selbst keine Liebe empfinden. Was wenn meine Kräfte denselben Effekt heraufbeschworen? Das Risiko wollte ich auf keinen Fall eingehen. Was gab es Schlimmeres als jemanden, der nicht lieben konnte?
Schwer seufzte ich. Der Richtige würde bestimmt irgendwann einmal kommen. Ich sollte aufhören, mir den Kopf über Draco zu zerbrechen, danach war ich sowieso immer nur noch deprimierter als zuvor. Stattdessen wandte ich meine Grüblerei Beauvis zu. Es war mir unergründlich, weshalb er sich gestern derart höhnisch gezeigt hatte, wogegen er am ersten Tag so schüchtern gewirkt hatte.
Toll, und das ist jetzt ein besseres Thema, Kathleen?
Niedergeschlagen schüttelte ich den Kopf. Es war hoffnungslos, wenn man versuchte, Jungs zu verstehen. Verträumt dachte ich an das Tagebuch von Luciènne Mary und daran, wie es einsam und unberührt in den Tiefen meines Koffers begraben dalag.
Ein schriller Ton ließ mich hochschrecken. Genervt stellte ich fest, dass es sich lediglich um die Pausenglocke handelte. In einer Art Dämmerzustand stapfte ich die Treppen hinab in die Große Halle und ließ mich auf einen Platz am Slytherintisch sinken. Mein Laune besserte sich erst, als ich das Mousse au Chocolat zum Nachttisch entdeckte. Als ein Gryffindor-Viertklässler mürrisch bemerkte, sie hätten jetzt Zaubetränke zusammen mit Slytherin, kehrte mein Lächeln sogar zurück. Wie von selbst hob ich den Kopf und suchte den Lehrertisch nach Severus ab. Er hatte sich mit kalter Miene seinem Essen zugewandt, während Karkaroff neben ihm eindringlich und gedämpft auf ihn einredete. Verwirrt runzelte ich die Stirn. Was wollte Karkaroff denn von Severus?

La Fille de la LuneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt