,, Es ging ihr doch gut! Alles war gut!," sage ich immer wieder und kann es einfach nicht begreifen. Nicht begreifen, dass ich womöglich Evelyn verloren habe, nachdem ich sie gerade erst wieder bekommen habe.

,, Sie wird schon wieder."

Aiden versucht mich immer noch zu beruhigen, scheint sich aber selbst kaum zu glauben.

,, Sie ist tot!," bringe ich gequält heraus, lasse mich auf einen Stuhl sinken und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen.

,, Nein! Ist sie nicht! Sag so etwas nie wieder!," fährt Aiden mich an und geht wütend im Wartezimmer auf und ab, während er sich dabei immer wieder nervös durch die Haare fährt.

,, Sie lebt. Das weiß ich!," versucht er sich immer wieder selbst zu beruhigen.

Stunden vergehen und man hört nichts. Nicht einmal Evelyns Vater gibt einen Laut von sich. Er sitzt in der hinteren Ecke des Raumes und starrt mit leeren Blick an die Wand, während Monika mit Tränen in den Augen über seinen Rücken streicht.

Nur Aidens Schritte sind zu hören.

Erst am frühen Morgen taucht ein Arzt im Wartezimmer auf.

An seinem Gesichtsausdruck kann man bereits erkennen, dass er keine guten Nachrichten zu überbringen hat.

,, Mister und Misses Gilbert ? Könnte ich kurz mit Ihnen alleine sprechen?"

Evelyns Vater nickt und erste Tränen treten ihm in die Augen, als er und Monika dem Arzt ins Nebenzimmer folgen.

Aiden und ich halten es im Wartezimmer nicht aus und folgen den dreien. Vor der Wand zum Nebenzimmer bleiben wir stehen und versuchen dem Gespräch zu folgen.

,, Mister Gilbert. Es tut mir sehr leid ihnen mitteilen zu müssen, dass ihre Tochter das Herz abgestoßen hat wir..."

,, Aber was ist mit ihr? Ist meine Tochter am Leben?," unterbricht ihn Evelyns Vater panisch und ich halte den Atem an. Ich weiß nicht, ob ich das verkrafte, was ich gleich erfahren werde.

Der Arzt schweigt eine Weile und mein Herz scheint jeden Moment stehen zu bleiben.

,, Ja, Mister Gilbert. Ihre Tochter ist am Leben aber.."

Wieder diese Stille, die mich beinahe um den Verstand bringt.

,, Ihre Tochter ist nur noch am Leben, da unsere Maschinen sie am Leben erhalten. Wenn sie in den nächsten 24 Stunden kein Spenderherz erhält, müssen wir die Maschinen leider abstellen. Es wäre wohl am Besten wenn sie sich von ihr verabschieden. Es tut mir leid."

Ein lautes Schluchzten erfüllt den Nachbarraum, während ich den Halt verliere...

Aiden

Evelyn darf nicht sterben. Das kann einfach nicht sein! Sie ist 18. Sie hat noch ihr ganzes Leben vor sich.

Meine Gedanken kreisen nur um sie, während ich mich in der Toilette am Waschbecken festklammere und gequält ein und ausatme.

Ich kann mich einfach nicht verabschieden. Das kann ich nicht.

Sie darf nicht sterben.

Tränen treten aus meinen Augen und mit voller Wucht schlage ich in den Spiegel vor mir, der zu tausend Scherben zerbricht. Blut tritt aus meinen Fingerknöcheln, doch ich spüre den Schmerz nicht, denn er wird überschattet von dem Schmerz in meinem inneren, der mir die Kehle zuschnürrt. Den Schmerz, Evelyn zu verlieren.

,, Das darf nicht sein. Das darf nicht sein," fluche ich aufgebracht zu mir selbst, als ich mich wieder am Waschbecken festklammere.

Allein der Gedanke daran, mich gleich von ihr zu verabschieden zu müssen,  lässt mich zusammenbrechen.

Ich schreie gequält aus und höre plötzlich, wie die Tür sich hinter mir öffnet und drehe mich um.

Eric steht vor mir und sieht mich niedergeschlagen an. Sein Gesicht ist von Trauer gezeichnet und er wirkt ebenfalls, als würde er jeden Moment zusammenbrechen.

Plötzlich kommt er auf mich zu und nimmt mich in den Arm, wodurch ich beginne zu zittern und weitere Tränen mir die Sicht vernebeln, als ich meine Arme ebenfalls um ihn lege.

Ich spüre ihn an meiner Schulter beben und drücke ihn fester an mich, da wir beide den Halt brauchen.

,, Wir werden sie nicht verlieren. Es wird alles gut werden," flüstere ich mit brüchiger Stimme und spüre Erics Nicken an meiner Schulter. ,, Wir gehen jetzt zu ihr und alles wird gut," versuche ich uns beide zu beruhigen, bevor wir schließlich nach draußen und zu Evelyns Zimmer laufen.

Dort erkennen wir Evelyns Eltern, die gerade aus Evelyns Zimmer kommen und noch nie habe ich sie so aufgelöst gesehen. 

Monika sieht uns mit Tränen in den Augen an, als sie uns mitteilt, dass wir uns jetzt verabschieden können.

Ich lasse Eric vor und warte, doch nach einer halben Stunde halte ich es nicht mehr aus und gehe ebenfalls in ihr Zimmer.

Bei ihrem Anblick stockt mir der Atem, denn sie ist so blass und zerbrechlich wie noch nie und nur eine Maschine hält sie am Leben. Eine Maschine die bald abgestellt werden und ihr Leben beenden soll.

Eric sitzt neben ihrem Bett und hält ihre Hand, während er immer wieder leise schluchzt. Ihn so leiden zu sehen, macht das ganze noch unerträglicher.

,, Ich kann sie nicht loslassen," bringt er gequält heraus und wendet den Blick nicht von Evelyn ab. ,, Ich kann nicht."

Mein Blick fällt ebenfalls wieder auf Evelyn. Auf das Mädchen, dass eine große Zukunft und so viele Pläne vor sich hat. Ein Mädchen, das ihr Leben geliebt und große Träume hat. Träume von einem Leben, das sie nun niemals haben wird.

Ich schaffe es selbst nicht mehr, weitere Tränen zurück zu halten und setze mich auf die andere Seite ihres Bettes und halte ihre andere Hand, die sich so kalt in meiner anfühlt.

Mit der anderen streiche ihr sanft eine Strähne von der Stirn, so wie ich es früher immer getan habe.

Ich will es noch so viele Millionen andere Male tun. Will sie wieder lachen sehen und ihre Stimme hören. Will sie in meinen Armen spüren und für immer an ihrer Seite bleiben, doch das Leben wird sie mir für immer wegnehmen.

,, Ich liebe sie," höre ich Eric leise sagen und ich schließe die Augen.

Ein Gedanke schießt mir durch den Kopf und ich weiß was zu tun ist.

Als ich sie öffne sehe ich wieder direkt in Evelyns Gesicht.

,, Das tue ich auch." 

Mit diesen Worten stehe ich auf, lasse Evelyns Hand los und gebe ihr einen sanften Kuss auf die Stirn.

,, Du wirst nicht sterben. Versprech mir das ," flüstere ich ihr ins Ohr und laufe dann aus dem Zimmer, ohne auf Eric zu achten, der mir einen verwirrten Blick hinterher wirft.

Was ich vorhabe, darf mein Bruder einfach nicht wissen...

Mit jedem HerzschlagWo Geschichten leben. Entdecke jetzt