25. Der neue Plan

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Am nächsten Morgen packten wir unsere Sachen und brachen auf. Der Morgen schien ruhig zu sein und wenn wir nicht verloren gewesen wären, hätte es schon fast ein fröhlicher Morgen sein können. Sonnenstrahlen zwängten sich durch das dichte Laub der Bäume hindurch und färbte den Waldboden grünlich, wunderschönes Vogelgezwitscher erklang von fern und nah und der Wind brachte die Baumkronen zum Rascheln. Trotz all dem, war unsere Stimmung angespannt. Wir verloren kein Wort über unsere Unterhaltung am Vorabend und in diesem Moment war ich auch froh darüber. Im grossen Ganzen redeten wir überhaupt sehr wenig. Finaly war wieder einmal in sein nachdenkliches Schweigen verfallen und auch ich war in meine schlechte Laune versunken und so schleppten wir uns mühsam weiter. Wie lange sollten wir denn noch so ziellos herumirren?, dachte ich ungeduldig und seufzte laut vor mich hin. Das ständige Herumwandern würde uns nur tiefer in den Wald bringen, davon war ich überzeugt. Aber Finlay war ja der Experte und anscheinend gab es keine andere Lösung aus dem Wald zu kommen. Dennoch wollte ich nicht mehr ziellos irgendwelchen Gefahren entgegenlaufen, wie es uns schon so viele Male passiert war. Bisher war unsere Lage schlimm genug gewesen und doch hätte es schlimmer sein können, da war ich mir sicher. Es gab bestimmt noch hunderte weitere Bestien und Fallen, die nur darauf warteten, einen zu foltern oder in den Tod zu ziehen. Dafür wurde dieser Wald anscheinend erschaffen: Keiner durfte durchkommen.
Ich seufzte erneut, diesmal so laut, dass Finlay mich fragend ansah. "Ist was?", fragte er schon fast desinteressiert und befühlte dabei die verbundene Wunde an seinem Hals, um sicher zu gehen, dass sie nicht wieder zu bluten begonnen hatte. "Nein... Ich meine, doch!", erwiderte ich, ohne zu wissen, wie ich mich ausdrücken sollte. "Ich frage mich nur, ob es denn wirklich keinen anderen Weg aus dem Wald gibt..."
"Siehst du denn eine andere Möglichkeit?", fragte er nur. Ich musste kurz nachdenken, es fiel mir aber nichts Konkretes ein.
"Nein, aber ich habe einfach keine Lust mehr, in potenziell tödliche Situationen zu geraten", erklärte ich harsch und verlangsamte mein Schritttempo, bis ich schlussendlich auf einem Stein platznahm. Finlay sah mich einen Moment lang nachdenklich an und setzte sich schlussendlich zu mir. "Ich habe auch keine Lust auf all das, glaub mir", murmelte er und strich sich wieder mit der Hand durch sein blondes Haar.
"Aber ich weiss einfach keinen anderen Ausweg... Sogar das Fliegen kann uns hier nicht weiterhelfen." Da traf es mich auf einmal wie der Blitz. Gerade war mir mein Traum in den Sinn gekommen, den ich vor nicht all zu langer Zeit geträumt hatte. "Das ist es! ", schrie ich vor Freude, was Finlays Hand vor Schreck zum Schwert greifen liess.
"Wir können fliegen!"
"Das geht nicht, ich habe dir doch erklärt, dass ich nicht weiter als die Baumkronen komme", erwiderte er, aber mein strahlendes Lächeln übertrumpfte seinen Einwand dennoch. "Du warst aber immer alleine! Dieses Mal hast du mich!"
Ich war völlig aus dem Häuschen vor Begeisterung, was Finlay scheinbar noch mehr verirrte. "Ich verstehe nicht...", sagte er perplex. "Was soll das genau ändern?"
"Na, ich reite auf dir! Und während du darauf konzentriert bist, immer schön weiter mit den Flügeln zu schlagen, halte ich die ganzen Äste vom deinem Hals! Und zwar... mit deinem Schwert!"
Anscheinend meine Idee aus Finlays Sicht nicht so genial wie ich geglaubt hatte. Im Gegenteil, für einen kurzen Moment wurde Finlay blass wie ein Stück Salzstein und er nahm einen ernsten Ausdruck an. "Nein, kommt nicht in Frage! Ich will nicht riskieren, dass du dir das Genick brichst! Das ist zu gefährlich", lautete seine Antwort. "Aber ich werde nicht fallen", protestierte ich und sah ihn flehend an. "Wir riskieren viel mehr, bei... was weiss denn ich, was hier alles herumschleicht, das uns wahrscheinlich  aufspiessen, zerreisen oder sonst wie zu töten versuchen wird, umzukommen! Bitte Fin! Lass es uns wenigstens versuchen!"
Seinem Gesichtsausdruck nach urteilend hätte er es wohl lieber gelassen, aber ich konnte fühlen, dass ich gesiegt hatte. Er zog sein Schwert aus der Scheide und reichte es mir. "Also gut. Aber nur, wenn du beweisen kannst, dass du mit dem Schwert umgehen kannst und mir nicht einen Flügel abschlagen wirst."
Ich ergriff es und fühlte sofort, wie viel schwerer es war, als es aussah. Mit einem dumpfen Schlag traf die Spitze des Schwerts den Waldboden. "Sei vorsichtig! Das ist ein sehr wertvolles Schwert. Es wurde einst von Guldfrid, dem Urururur-Grossvater Cronan's geschmiedet und hat anscheinend viele Dracos umgebracht, vielleicht sogar den letzten. Es kann daher sogar die besten gepanzerten Rüstungen durchdringen", erklärte er mir vorwurfsvoll. "Du kannst dich oder mich innerhalb weniger Sekunden umbringen, wenn du es nicht richtig verwendest."
Ich schluckte laut und fing nervös an zu kichern. Mein altes Ich hätte sofort das Schwert fallen lassen und wäre weggerannt. Aber mein neues Ich wollte nur Finlay beweisen, dass ich nicht naiv war und meine Idee aufgehen würde. Deshalb blieb ich angespannt stehen und lächelte weiterhin in die Welt, als wäre das, was Finlay mir gerade gesagt hatte, kein Problem. "Nimm das Schwert in beide Hände, für den Anfang. So kannst du dich besser daran gewöhnen." Er kam jetzt näher, nahm mir das Schwert wieder aus der Hand und zeigte, wie man es halten sollte. Als ich an der Reihe war, wusste ich sofort, dass ich es falsch hielt, da er den Kopf schüttelte und mir nochmals das Schwert aus der Hand nahm. "Die Hände sollen nebeneinander sein, nicht übereinander", erläuterte er mir und nahm meine Hände sanft, um sie richtig zu positionieren. Sofort wurde mir bei seiner Berührung heiss und mein Herz fing wild an zu pochen. Meine Konzentration verschwand und für eine Weile hörte ich nur mein Blut in meinem Körper fliessen.  "...und schlägst dann zu", hörte ich Finlay, der mir demonstriert hatte, wie man das Schwert schwang, den Satz beenden. "Was?", kam es nur von meiner Seite, da ich natürlich von all dem nicht die Hälfte mitbekommen hatte. "Das Schwert schwingen!", betonte Finlay extra deutlich, weil er anscheinend bemerkt hatte, dass ich ihm nicht zugehört hatte. "Ah ja," murmelte ich und schwang das Schwert unüberlegt über meine Schulter hinweg und hätte beinahe sein Gesicht getroffen, wenn er nicht ausgewichen wäre. "Ohh, tschuldigung", nuschelte ich mit einem unterdrückten Lachen. "So werden wir es nicht schaffen", meinte er verärgert und ich wurde sofort wieder ernst. "Lass es uns doch einfach versuchen, das schaffen wir schon"
"Nein, du bist noch nicht bereit, so bringst du mich auf jeden Fall um!", erwiderte er trotzig und verschränkte seine Arme mit einer Miene, die ich von ihm gar nicht kannte und die mich wieder zum Lächeln brachte. "Also gut, schau hin!" Ich positionierte mich breitbeinig und schwang das Schwert so gut es ging. Zu meiner Überraschung schien nach jedem Hieb das Schwert leichter zu werden. Auch Finlay sah einen ganzen Moment lang erstaunt zu. "Das ist gar nicht mal so schlecht", lobte er und ein Glücksgefühl erfüllte meinen Körper.
"Siehst du? Das wird ein Kinderspiel! Lass es uns versuchen."
Er seufzte laut und sein besorgtes Gesicht kam wieder zum Vorschein. Ich konnte beobachten, wie plötzlich seine gelben Augen gefährlich aufleuchteten und wie sein Körper langsam seine Gestalt änderte. Federn sprossen aus seiner Haut und kurz danach stand ein riesiger, goldener Adler vor mir, der mit den Flügeln raschelte. Auch wenn ich Finlays Verwandlung schon hatte beistehen dürfen, kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. "Du bist wunderschön", murmelte ich und als mir bewusst war, was ich gerade gesagt hatte, wurde ich verlegen. "Ach nein!" Dort, wo die Wunde hätte sein sollen, färbte sich das weiss und goldene Gefieder rot. "Deiner Wunde tat das gerade nicht gut. Lass mich das ansehen", sprach ich dem Adler zu, doch Finlay fing wild mit seinen Flügeln an zu schlagen, als wollte er mich auf jeden Fall nicht an seine Wunde lassen. "Ist schon gut, wenn du meinst, dass du es aushalten kannst", sagte ich halb beleidigt und schwang die Tasche über die Schulter. "Ich muss aber trotzdem auf deinen Rücken steigen", fügte ich hinzu und näherte mich ihm wieder. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das anstellen sollte. Und wohin sollte ich bloss meine Beine stellen? Vor oder hinter den Flügeln? Langsam ergriff ich ein Büschel Federn und zog mich mit aller Kraft daran hoch. Ich lag halbwegs auf ihm, halbwegs hing ich noch immer in der Luft. Der Adler kreischte und schüttelte sich dann, sodass ich das Gleichgewicht verlor und hinunterpurzelte. "Aua! Hättest du das nicht lassen können?", murrte ich ihn an und Finlay gab mir einen vorwurfsvollen Du-hast-mir-die-Federn-rausgezogen-Blick zu und klapperte mit seinem Schnabel. "Ist schon gut, es ist einfach schwierig auf deinen Rücken zu klettern", entschuldigte ich mich und rieb mir den Kopf, der vor Schmerz vom Aufprall pochte. Ich sah mich um und entdeckte den Stein, auf dem ich vor kurzem Platz genommen hatte. "Komm doch hier hin. So wird das einfacher für mich", bat ich Finlay mit einem Winken und deutete auf den Stein. Mit breit gestellten Flügeln trat de Adler näher zum Stein und ich packte erneut seine Federn. Dieses Mal klappte es. Ich sass auf dem Rücken eines Riesenadlers. Meine Füsse klemmte ich hinter den Flügeln, mein Bauch war auf den Rücken des Tieres gepresst, sodass ich unter den weichen Federn dessen Atmungsbewegung fühlen konnte. Mein Kopf war auf der Höhe des seinen. Kurz gesagt, ich fühlte mich als wäre ich sein Rucksack. Ich wagte es kaum, die Federn loszulassen, mit der Befürchtung, wieder runterzufallen. Es war eindeutig schwieriger, als ich es mir vorgestellt hatte oder es je geträumt hätte. Und wie sollte ich da noch ein Schwert halten? Vor allem hatte Finlay, seit ich mich an ihm festklammerte, nicht einen Schritt gemacht. Es würde sicher nur noch schwieriger werden.
Ich hörte ein leises Fiepen, das wohl "bereit?" bedeutete. "Warte, ich hab das Schwert noch nicht in der Hand", nuschelte ich und sah mich nach dem Schwert um. Es lag auf den Boden. 'Ernsthaft?', schimpfte ich zu mir selbst und liess die Federn los, sodass ich sofort wieder zu Boden fiel. Ich konnte wieder von vorne anfangen!

Einmal wieder auf dem Rücken des Adlers - dieses Mal mit dem Schwert in der Hand - holte ich tief Luft. Ich war nervös und plötzlich ergriff mich auch die Angst. Wenn ich vom Himmel fallen würde, würde es nicht gut enden. "Bist du bereit?", fragte ich den Adler, der zur Antwort anfing, auf dem Boden zu scharren. "Also gut!" Seine Flügel bewegten sich langsam und peitschten durch die Luft. Dann setzte er sich in Bewegung und meine Finger gruben sich noch tiefer in die Federn des Tieres. Ein paar Sekunden später waren wir in der Luft und dann auch schon bei den Baumkronen. Finlay hatte Recht gehabt. Die Äste und Blätter waren dicht und liessen nur Sonnenlicht durch. Und sie bewegten sich. Wie der Traumbaum schienen die Bäume zum Leben erweckt worden zu sein und schlugen nach uns. Finlay wich dem ersten Ast aus, ich machte mich inzwischen bereit. Meine Beine gruben sich tief ins Federkleid des Adlers, sodass ich das Schwert mit beiden Händen halten und schwingen konnte. Der nächste Ast preschte auf uns zu und ich hob das Schwert höher, um zuzuschlagen. Doch dann stürzte sich Finlay mit den Krallen voraus auf diesen Ast, sodass mein Hieb ins Leere schlug. "Was tust du da?", schrie ich Finlay zu. Ein nächster Ast kam mir entgegen. Wieder das Selbe. Anstatt sich aufs Fliegen zu konzentrieren übernahm er einfach meine Aufgabe. Er liess mir keinen einzigen Ast zum Zurückschlagen. "So werden wir es nie schaffen!", schrie ich ihm wutentbrannt zu. Was fiel ihm eigentlich ein? Dachte er etwa, dass ich nicht fähig war, ihn zu beschützen? Nach all dem, was wir durchgemacht hatten? Ein nächster Ast schlug nach uns und Finlay wollte ausweichen, doch ein anderer kam wie aus dem Nichts zugeflogen und erwischte ihn am Kopf. "Ahhhhh", ich konnte mich nicht mehr länger auf seinen Rücken halten, meine Beine lösten sich von ihm. Die Angst ergriff mich. Dieses Mal konnte mich Finlay nicht retten, und auch wenn wir nur ein paar Meter über dem Boden waren, würde der Aufprall hart sein. Ich wusste nicht wie, aber ich schaffte es, mich noch im Fall wieder an Finlay zu ziehen und mich fest an ihn zu klammern. Es würde nichts helfen, das wusste ich, aber es beruhigte mich irgendwie. "Fiiiiin" schrie ich entsetzt und der Adler schien wieder Kontrolle über seinen Körper gewonnen zu haben, schlug wild mit den Flügeln und erhob sich wieder mit mir in die Lüfte. Wir waren gerettet!
Wir landeten und Finlay nahm wieder seine menschliche Gestalt an.
Er war ausser sich vor Wut.

KeithaWhere stories live. Discover now