18. Vergangenheit und Zukunft

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Als ich etwa eine Stunde später komplett durchnässt und schlotternd wagte, den Stoff von der Wunde zu nehmen, stellte ich mit Erleichterung fest, dass diese aufgehört hatte zu bluten. Es hat funktioniert, dachte ich schon fast stolz und ich entspannte mich langsam. Finlay würde es vorerst überleben - das hoffte ich auf jeden Fall - und nicht meines Fehler wegen verbluten. Aber unter diesem Regen konnten wir auch nicht bleiben, sonst würden wir erfrieren, wenn wir bis dann nicht schon längst verhungert wären. Ich musste es doch irgendwie schaffen ihn aus dem Regen zu bringen, es dämmerte nämlich bereits und ihn in der Nacht zu bewegen, wäre zu unsicher. Aber als ich aufstehen und ihn packen wollte, durchfuhr mir ein schrecklicher Schmerz. Meine Schulter, mein Bein, meine ganze vom Feenstaub verbrannte Haut und mein sonst schwacher Körper hinderten mich am Versuch, Finlay weiter aus dem Wasser zu ziehen.
Das hatte mir noch gefehlt! Ich sank verzweifelt wieder auf den Boden und schlang meine Arme um meine Beine. Nichts fiel mir ein und nun sass ich da, Seelen allein, und fing an zu weinen.
"Nein, weine nicht!", ertönte plötzlich eine Stimme von nirgends her und mein Herz hatte vor Schreck fast aufgehört zu schlagen. "Wer da?", fragte ich zaghaft und schaute mich um. Dann erblickte ich im unterdessen dunklen Wassers die Gestalt des Mädchens, das ich noch am selben Tag gesehen hatte. " W..wer bist du?", schniefte ich und wandte mich dem Wasser zu. Das Mädchen sah anders aus als das letzte Mal. Es war eindeutig älter, das blonde Haar war länger und die blauen Augen wirkten trauriger als zuvor. Mir fiel ihr wunderschönes weisses Kleid auf, das sie letztes Mal auch nicht getragen hatte. "Das ist jetzt nicht wichtig", gab es mir melancholisch zur Antwort und der Ton seiner Stimme hallte unheimlich nach, als wäre es nicht aus dieser Welt. "Du musst von hier weg, Keitha!" Ich erschrak, als ich meinen Namen hörte. "Woher kennst du meinen Namen?" Das schien das Mädchen eine Sekunde lang zu verunsichern, dann aber hob es das Kinn und meinte:
"Ich... ich weiss viele Sachen über diese Welt. Und unter all diesen Sachen kenne ich auch deinen Namen, deine Vergangenheit und deine Zukunft. Wenn dir also dein Leben wichtig ist, musst du von Fiacre fort!"
Wieder dieser Name. Warum sprach das Mädchen wieder über diese Person aus der Legende? Auch wenn ich unterdessen wusste, wer Fiacre war, ergab all dies keinen Sinn.
"Wer?", fragte ich, um mehr zu erfahren und das Mädchen sah mich wieder böse an, sodass mich ein Schaudern durchfuhr. Schliesslich zeigte sie mit dem Finger auf Finlay.
Das konnte nicht sein! Es musste ein Fehler in all dem liegen. Finlay konnte unmöglich Fiacre sein, oder hatte er mir etwa nicht alles erzählt?
"Er! Er ist Fiacre! Lass ihn liegen, Keitha. Geh weg oder du wirst es noch bereuen. Er ist nicht die Person, die du zu kennen glaubst! Er wird dich verletzen und in den Abgrund stürzen! Und noch schlimmer, wenn er lebt, wird die ganze Welt dafür büssen müssen."
Ich konnte meinen Ohren nicht trauen. Dachte dieses Mädchen ernsthaft, dass ich Finlay einfach im Stich lassen und daher dem Tod überlassen würde, wobei er mir zwei Mal das Leben gerettet hatte? Dann würde ich meine Schuld ihm gegenüber nicht begleichen können, im Gegenteil, das wäre feige von mir. Gut, zugegeben war ich nicht der Heldentyp, aber so etwas wie Ehre hatte ich trotzdem.
"Nein! Das ist nicht die Person, die du denkst. Das ist Finlay, nicht Fiacre", entgegnete ich ihm. "Und er ist ein guter Mensch.... oder... Was hat er nochmal gesagt....ah, er ist ein guter Mindear."
Das Mädchen setzte eine trotzige Mine auf und die blauen Augen glühten gefährlich.
"Du weisst nichts! Er... Er..."
Es fing an zu stottern und nun füllten sich seine Augen mit Tränen.
"Er darf nicht leben, sonst...sonst wird der Wald seinen Nutzen verlieren, sonst wird Fiacre dein Herz brechen..."
Das Mädchen brach in ein herzbrechendes Schluchzen aus und ich war nun diejenige, die versuchte, es zu trösten. "Nah nah", murmelte ich und ging näher ans Wasser ran.
"Ich habe dir doch gesagt, dass er Finlay heisst und nicht Fiacre. Das muss ein grosser Irrtum sein, Kleine. Ausserdem ist es unmöglich ohne ihn im Wald zu überleben, er weiss doch so viel. Und ich schulde ihm was."
Bei diesem Satz hörte die kleine auf zu schluchzen und funkelte mich wieder böse an. "Du schuldest ihm gar nichts! Warum hörst du mir nicht zu? Geh von ihm weg!" Mit beiden Händen griff das Mädchen nach Finlays Beine, die immer noch im Wasser lagen, und zog ihn in zu sich. "Nein! Hör auf!, schrie ich entsetzt, als der immer noch bewusstlose Finlay vom Schlamm mehr ins Wasser rutschte. Reflexartig warf ich meinen Körper auf Finlay und schrie weiter auf das Mädchen ein, das eine unglaubliche Kraft besass und uns, als wären wir federleicht, weiterhin unbehindert zum Wasser zog. Mein Schreien, Betteln und sogar als ich auf die Wasseroberfläche Steine warf, kümmerte es das Mädchen nicht im Geringsten. Da war einfach nichts mehr zu machen. Unter meiner Last fing Finlay auch schon an zu husten, da er wohl meines Gewichts wegen kaum mehr atmen konnte. Das hatte aber zu meiner Überraschung eine gewisse Wirkung auf die Kleine: Als wäre es vom Blitz getroffen worden, liess das Mädchen Finlay los und starrte ihn beängstigt an. Er war kurz vor dem Aufwachen und die Kleine schien das zutiefst zu verunsichern. Aus irgend einem Grund wollte sie nicht, dass Finlay sie sah und als er sich wieder regte, warf sie mir hastig einen vernichtenden Blick zu, bevor sie dann aus dem Spiegelbild verschwand und mich verdutzt am Wasserrand sitzen liess.
Was sollte das denn wieder?, fragte ich mich und versuchte in der inzwischen dunkler werdenden Umgebung nach ihr Ausschau zu halten. Nichts. Ich schüttelte den Kopf und musterte den bewusstlosen Finlay. Zugegeben war das irgendwie unheimlich gewesen. Ich konnte immer noch hören, wie schnell mein Herz in meiner Brust pochte. Finlay sollte Fiacre sein? Und er würde mir das Herz brechen? Das war doch lächerlich! Wie konnte Finlay mir denn bitte je das Herz brechen, wenn ich doch nichts für ihn empfand?
Er regte sich wieder und schlug seine in der Dämmerung blass schimmernden Augen auf. Er zuckte vor Schmerz zusammen und sah mich mit einem blassen, leblosen Gesichtsausdruck an.
"Fin...", murmelte ich und wartete auf eine Antwort. "Wie fühlst du dich?"
Er war unfähig mir eine Antwort zu geben, dafür war er eindeutig zu schwach. Seine Augenglieder schlossen sich wieder. "Nein Fin! Wir müssen von hier weg und einen Unterschlupf finden!", versuchte ich ihn mit der Befürchtung, dass das Mädchen zurückkehren könnte, davon abzuhalten, wieder in den Schlaf zu sinken.
Ich rüttelte ihn und er zuckte bei meiner Berührung zusammen. "Tschuldigung!", japste ich und liess ihn sofort wieder los. "Aber wir müssen wirklich los!" Ich zog ihn am Arm und konnte spüren, dass er sich auch mit aller übrig gebliebenen Kraft bemühte, auf die Beine zu kommen. Ich schlang seine Arme und die Tasche um meine Schulter und schliesslich schleppten wir uns - er stütze sich halb bewusstlos an mir ab- vom See weg, tiefer in den Wald.

KeithaWhere stories live. Discover now