Kapitel 1

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Unsichtbar sein im Sinne von nicht wahr genommen zu werden ist wahrhaftig eine der schrecklichsten Dinge, die einem Menschen wieder fahren kann.

Jahre lang läufst du durch dein Leben und fragst dich wieso ausgerechnet du dieses Schicksal teilst, bis du dann eines Tages an diesem Punkt an gekommen bist, wo du plötzlich verstehst, wieso es so kommen musste.

Dir wird klar, dass du es nicht anders verdient hast und dass du es nicht wert bist, dass die Menschen sich mit dir abgeben.

Ich war mittlerweile schon lange an diesem Punkt angekommen und verstand die Menschen um mich herum, konnte ihre Tat nach voll ziehen auch wenn es schmerzte.

Es schmerzte schrecklich wie unsichtbar durch die Welt zu laufen und dass nur weil man es nicht Wert war, doch es ist nun mal die Wahrheit. Ich war es einfach nicht wert.

Wer war ich schon?
Aayana Lambert, ein 16 Jähriges Mädchen aus Philadelphia, der größte Nerd der Blake West High School.

Was konnte ich schon?
Nichts.
Ich war ein niemand und das wurde mir jeden Tag immer bewusster, besonders seit 28 Tagen setzte es mir immer mehr denn je zu, denn seit 28 Tagen lebte der einzige Mensch nicht mehr, der mich immer wahr nahm, der mir immer sagte, wie toll ich sei, wie stolz er auf mich sei.

Mein Vater lebte nicht mehr und mit ihm auch nicht mehr der Rest Liebe in mir.

Ich war endgültig leer, fühlte nichts mehr außer diese gähnende Leere, die ich Tag und Nacht mit mir rumschleppte.

Jeder Tag setzte meiner Seele mehr zu. Die Sehnsucht nach ihm wurde größer und seit letzter Woche verspürte ich nur noch den Drang unsichtbar zu bleiben.

Der Wunsch doch irgendwann wahr genommen zu werden existierte einfach nicht mehr. Ich wollte einfach nur noch so weiter leben wie bevor, bis zu dem Tag, wo auch mein Herz aufgibt und seinen letzten Schlag von sich gibt.

Die Schulklingel holte mich zurück in das hier und jetzt, in die bittere Realität, die weh tat.

Schneller als meine Augen es wahr nehmen konnten, packten die Schüler ihre Sachen zusammen und rannten aus dem Raum.

Ich konnte ihre Reaktion auf die Klingel nach voll ziehen. Heute war Tacco Tag und zu dem war dieser Unterricht einfach sterbenslangweilig und einfach zum flüchten.

Leise packte auch ich mein Zeug zusammen, stand auf und schlürfte auf meinen abgenutzten Converse aus dem Raum. Mit schlaffen Schultern lief ich den Flur entlang und hielt den Blick starr auf meine Schuhe gerichtet.

Wenn meine Mutter mich jetzt sehen würde, würde sie nur den Kopf schütteln und einfach weg gehen.

Früher hätte sie mir immer noch eine Predigt gehalten, dass ich doch bitte auf meine Haltung achten soll, doch seit mehr als einem Jahr hatte auch sie die Hoffnung in mir auf gegeben.

Ich würde nie ihren Vorstellungen entsprechen und ich würde auch nie wie sie auf dem Laufsteg landen.

Das war einfach nicht ich, das passte einfach nicht zu meiner Person und dass hatte meine Mutter mittlerweile auch kapiert, denn ihre verachteten und verabscheuten Blicke reichten mir aus, um dies zu behaupten.

Außerdem konnte ich noch nie nach voll ziehen, wieso meine Mutter überhaupt versuchte aus mir ein Model zu machen.

Ich war weder schlank und groß, noch hübsch. In mir steckte weder von innen noch von außen ein Model wie im Gegensatz zu meiner Cousine, welche jetzt Gott sei Dank von meiner Mutter in Beschlag genommen wurde.

Sie war für meine Mutter schon immer die bessere, die perfekte Tochter, aber ich konnte meine Mutter verstehen.

Lucy war irgendwie perfekt, in allem was sie tat. Schlank, groß aber vor allem hübsch. Nett, freundlich aber vor allem schlau, schlau in dem Sinne, welches man beeindruckt und nicht das Schlau, welches ich vertrat und welches verabscheut wurde und aus mir einen Nerd machte.

Schachmatt direkt ins Herz  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt