30 - Verhandlungen

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„Harold Styles?", fragte mein Vater verblüfft, als er meinen Begleiter hinter mir entdeckt hatte. Er wirkte nicht sonderlich über meinen Besuch überrascht, doch kaum hatte er meine ehemalige zweite Hälfte ausgemacht, beendete er seine Arbeit sofort – das fing ja gut an.

„Hallo Mr. Kingsley." Harry hatte mich so hinter mich gestellt, dass ich sein Gesicht nicht sehen konnte, doch ich dachte mir schon, dass er ebenfalls nicht scharf darauf war, ein paar Worte mit meinem Vater zu wechseln. Schon damals hätte mein Vater keinen Beliebtheitswettbewerb gewinnen können, doch da meine seelische Unterstützung nun auch noch ganz genau wusste, dass der Mann vor ihm, seine eigene Uni schließen wollte, schien jeglicher Respekt verflogen.

„Thalia" Endlich drehte er sich zu mir um und drückte dabei seine Brille zurück in die richtige Position – eine Angewohnheit, der auch ich immer wieder verfallen zu sein schien. „Was verschafft mir die Ehre?", meinte er ganz der Geschäftsmann und deutete uns beiden uns vor seinen Schreibtisch auf die beiden Stühle zu setzen, die normalerweise mit reichen Klienten gefüllt waren.

„Das weißt du ganz genau – du musst deinen Deal absagen, damit die Uni erhalten bleiben kann." Ich setzte mich zwar auf den Stuhl, jedoch behielt ich automatisch meine gerade Haltung bei, auf die ich schon seit mehr als einem Monat keine Rücksicht mehr genommen hatte.
„Und du glaubst wirklich, dass ich Deals mit Frauen mache, die so zerlumpt aussehen wie du?" Ich sah automatisch an mir herunter, doch konnte kein Kleidungsstück ausmachen, dass unangemessen wirkte. Wie denn auch? Ich hatte das konservativste angezogen, was ich in meinem kleinen Rucksack finden konnte, hatte mich extra in dem luftdichten Raum der Bahn umgezogen, dessen Geruch noch immer in meiner Nase zu hängen schien.

„Bringen wir es doch einfach hinter uns.", meinte ich ernst und beugte mich ein Stück über den Schreibtisch. Aus dem Augenwinkel erkannte ich, dass Harry noch immer im Türrahmen stand und das Geschehen beobachtete. Ich konnte nicht sehen, wie genau er dabei schaute, doch ich war mir ziemlich sicher, dass dies einer der wenigen Momente war, in denen man seine Zähne nicht sehen konnte. „Was möchtest du haben, um einen neuen Deal zu machen, der die Beendigung deines Uni-Projektes mit sich zieht?"

Ich wusste, dass ich bei meinem Vater mit bitten und betteln nicht weiterkommen würde, jedoch lagen Verhandlungen mir noch nie so richtig. Ich hatte zwar oft neben meinem Vater gesessen, wenn er einen Vertrag mit seinen Klienten besprochen hatte, jedoch bezog sich meine Aufmerksamkeit die meiste Zeit auf mein Smartphone und minderte meine Erinnerung an die wahren Geschäfte zu sehr – ich hatte also keine Ahnung was ich tat.

„Zwei Millionen Euro? So viel würde es mich nämlich Kosten, wenn ich diesen Deal platzen lassen würde." Ich konnte kaum mein Essen bezahlen, geschweige denn von einem Zugticket – wie sollte ich so viel Geld für meinen Vater aufbringen?

„Ich bin mir sicher dass du übertreibst.", stellte ich klar. Der Mann vor mir, mit seinen ansatzweise grauen Haaren und der strengen Brille, dem trainierten Körper und dem ordentlichen Anzug, war ständig auf Profit aus – wenn er von zwei Millionen Verlust sprach, handelte es sich sicherlich um die Hälfte, jedoch bot auch eine Millionen keine gute Verhandlungsgrundlage für mich. Wie weit sollte ich denn runter handeln? Zwanzig Euro?! Und selbst die würde ich mir erst einmal von Harry leihen müssen.

„So wie es mir scheint, hast du absolut keinen reizenden Standpunkt für mich, also warum sollte ich dir diesen Gefallen tun?" Weil es nicht immer ums Geld ging und ich deine Tochter bin, deine einstige Prinzessin. Vielleicht hätte ich einfach die Tochter-Karte ausspielen sollen und auf seine Reaktion warten müssen, jedoch war ich erstens zu stolz und zweitens hatte ich viel zu viel Angst über seine möglichen folgenden Worte. Er war ein Geldorientierter Mensch, deshalb sind wir so oft umgezogen, deshalb ist er ständig auf Reisen, deshalb kann ich mit ihm nicht wie eine Familie reden. So war Walter Kingsley einfach nicht.

„Was würde Mama dazu sagen? Weiß sie überhaupt, dass du mir das Leben zur Hölle machen willst?" Es war schon wieder eine recht schwache Aussage, doch mir fiel nichts Besseres ein. Am liebsten wäre ich einfach aus dem Büro gerannt.

Meine Mutter war nicht sehr schlau, für sie zählte der äußere Eindruck mehr als das, was wir dahinter tatsächlich waren, doch trotz ihrer ganzen strengen Regeln, hatte sie sich immer um mich gekümmert und mich – zumindest mehr als mein Vater – großgezogen. Klar waren da einen Haufen Nannys und natürlich eine lange Zeit auch Harry und seine Eltern, jedoch konnte ich nicht verhindern auf ihre Unterstützung zu hoffen.

„Deine Mutter will, dass du aufhörst eine Lachnummer aus uns allen zu machen.", stellte mein Vater trocken fest und scherte sich dabei keinen Moment um meine Gefühle. „Also komm zurück nach Hause, geh auf das Elitecollage in den USA auf dem du ganz normal Jura studieren wirst und dann kommst du in ein paar Jahren wieder und wir führen die Kanzlei gemeinsam, bis du sie dann irgendwann übernimmst." Das war der Plan seit ich geboren wurde – meine Eltern hatten nie ein Geheimnis daraus gemacht, doch als es dann ernst wurde und ich eine Zusage von dem Collage hatte, in dem man angenommen wurde, sobald die Familie genug Geld bezahlt, brannten bei mir die Sicherungen durch und ich bin abgehauen. Zu recht, meiner Meinung nach, doch leider schien mein Vater da anderer Meinung zu sein.

„Das kann ich nicht machen.", gab ich ruhig zu. Ich konnte mein Leben nicht einfach wegwerfen, ich konnte nicht zu einem Sklaven meiner Familie, werden. Konnte mich nicht so sehr aufgeben und all meine Wünsche verdrängen.

Vielleicht war ich egoistisch, doch auch wenn du Uni dabei untergehen und ich ohne Perspektive und ohne Freunde auf der Straße landen würde, wollte ich meinen Eltern diesen Wunsch nicht erfüllen. Ich konnte ihnen einfach nicht das Gefühl geben, mit ihrer „Wir kneten und eine Tochter wie es uns gefällt"-Einstellung alles richtig gemacht zu haben. Nichts widersprach meinen Prinzipien mehr, als es ihnen auf diese Weise Recht zu machen.

Ich stand auf, das hatte keinen Sinn. „Kann ich dich nicht anders umstimmen?", fragte ich ein letztes Mal den Mann, der genetisch mit mir Verwand sein sollte.

Er schien einen neuen Gedanken zu fassen und weckte in mir die Hoffnung, dass mein Happy-End doch nicht so lange auf sich warten müsste: „Vielleicht hätte ich da eine Idee, mit der du zumindest einen Schritt auf mich zu machen könntest.", antwortete er arrogant, doch das störte mich nicht. Alles was ich hörte war eine Möglichkeit die Uni zu retten und mein Leben nicht völlig zu verlieren. 

Fading Princess || H.S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt