Eis

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Als der Hügel – auch Aslans Mal genannt – in Sichtweite kommt, fängt es an zu regnen. Ich halte auf das Tor zu, das in das Labyrinth aus Gängen führt. Das Klappern der Hufe hallt von den Wänden wieder. Der Korridor ist nicht lang und mündet bald in einen großen Raum, der schwach von Fackeln erleuchtet wird. Ich sehe, dass jemand hier ist. Ein gesatteltes Pferd steht bereit, Kaspian, Dr. Cornelius und die vier Königinnen und Könige daneben. Das Klappern der Hufe meines Pferdes lässt die kleine Versammlung aufschrecken. Kaspian sieht mich an und stürzt zu mir. Ich lasse mich aus dem Sattel gleiten und Schmerz durchzuckt mein Bein. Ich wäre in die Knie gegangen, hätte Kaspian mich nicht aufgefangen. Seine starken Arme umfangen mich und heben mich hoch. Ich will protestieren, aber dafür bin ich zu erschöpft. Ungeachtet der anderen trägt er mich bis zu dem großen Versammlungsraum. Behutsam legt er mich auf eine Decke, die Dr. Cornelius schnell ausbreitet. Er setzt sich neben mich und der Doktor beginnt, meine Wunden zu reinigen. Mir ist es egal. Meine Wunden brennen, meine Muskeln schmerzen, mein Kopf dröhnt vor Anstrengung.

« Was hast du bloß gemacht? Der Faun sagte, du hättest dich allein gegen sechs Soldaten gestellt », fragt Kaspian.

« Was ist mit dem Faun? Und den anderen? », will ich wissen und übergehe seine Frage.

« Es geht allen gut. Keiner hat tödliche Verletzungen davongetragen », erklärt er und sieht mich fest an. Ich lächle, froh über diese gute Nachricht und wir schweigen eine Weile.

« Mach das bitte nie wieder », sagt er schließlich.

« Was? », frage ich gespielt unwissend. Kaspian sieht mich ernst an, aber dennoch lächelt er ein wenig,

« All diese gefährlichen Dinge ».

« Mal sehen », murmle ich.

« Du kannst es wenigstens versuchen. Es müssen ja nicht immer gleich sechs Gegner auf einmal sein, oder? », fragt er und legt den Kopf schief.

« Es waren nur drei », korrigiere ich,

« Außerdem sind es in einem Krieg meist einige mehr ». Er streicht mir vorsichtig die Haare aus dem Gesicht. Müde schließe ich die Augen und seufze tief.

« Ich habe mir Sorgen gemacht. Ich wollte schon nach dir suchen, aber die anderen hielten mich zurück », sagt er irgendwann. Ein Lächeln huscht über meine Lippen, aber ich halte die Augen geschlossen.

« Ich danke dir, dass du König Peter entgegengetreten bist. Er hätte mich vermutlich getötet. Ich weiß wirklich nicht, was in ihn gefahren ist... », meint der Prinz resigniert.

« Nicht nur er », sage ich,

« Dein Onkel oder deine Tante hätten dich genauso getötet, hätten sie die Gelegenheit dazu gehabt ».

« Ich weiß, ich hätte nicht in dieses Zimmer gehen sollen », seine Stimme ist leise und er hat den Kopf gesenkt.

« Hey », flüstere ich und schlage die Augen auf,

« Es wird alles gut. Du wirst den Thron bald besteigen und die Narnianen können in ihr Land zurückkehren ». Sie sind zwar in ihrem Land, aber nicht frei. Würde sich ein Zwerg, Zentaur oder ein sprechendes Tier den Telmarern zeigen, würden sie es sofort beseitigen. Die Telmarer bauen auf Lügen und Intrigen, kein gutes Fundament für ein Land, das ihnen sowieso nicht gehört.

« Danke », flüstert Kaspian zurück, beugt sich über mich und umarmt mich fest. Ich bleibe einfach ganz still liegen und lasse es geschehen. Ich muss sogar gestehen, dass es irgendwie ein gutes Gefühl ist.

Irgendwann wache ich auf und habe keine Ahnung, wie spät es ist. Niemand sonst hält sich in diesem Raum auf, ich bin ganz allein. Unzählige Gedanken wirbeln in meinem Kopf umher wie Schiffe, die der Sturm auf den Wellen umherpeitscht. Langsam stehe ich auf. Die Wunden pochen ein bisschen, aber ich ignoriere sie weitestgehend. Ich höre kein einziges Geräusch und frage mich, wo die anderen stecken. So schnell wie möglich bewege ich mich aus dem Raum und durch die Gänge. Im Vorhof treffe ich endlich auf andere Narnianen. Hektisch laufen sie hin und her oder hantieren mit Waffen. Da entdecke ich die beiden Könige, Trumpkin und Talsturm. Als sie mich bemerken, unterbrechen sie ihr Gespräch.

« Luna, es geht Euch gut », stellt König Edmund erfreut fest. Ich lächle ihm zu und neige den Kopf.

« Ich sollte Euch danken, dass Ihr mich gestern aufgehalten habt. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist... », meint er und sieht zu Boden.

« Wie dem auch sei, wir wollten ohnehin mit Euch sprechen », fährt König Edmund fort,

« Uns wurde berichtet, dass die Brücke nun fertiggestellt ist und Miraz' Heer anrückt. Die Vorbereitungen für den Kampf laufen bereits ». Ich wiege den Kopf hin und her, das sind keine guten Nachrichten.

« Sofern es Euch wieder gut geht, ernennen wir Euch zum obersten Heerführer. Das heißt, Ihr habt das Kommando über alle und untersteht nur unseren Befehlen », endet König Peter.

« Vielen Dank, Majestät », bringe ich leise heraus und verschränke die Hände hinter dem Rücken.

Da kommt Königin Lucy herbeigelaufen.

« Pete, Ed, kommt schnell! », ruft sie aus und deutet in Richtung des Raums mit dem steinernen Tisch. Ohne lange nachzufragen, laufen wir los. Mein Bein schmerzt nach wie vor, doch ich ignoriere es nach wie vor so gut wie möglich. Was mag bloß geschehen sein? König Peter stößt die Tür auf und uns bietet sich ein seltsames Bild. Eine massive Eiswand versperrt die Sicht auf Aslans Bildnis. Auf dem Boden wurde ein Kreis in den Stein geritzt, in dessen Mitte ein Wolf steht, der sich auf die Hinterbeine aufgerichtet hat. Mit den Vorderpfoten umklammert er Kaspian und hält dessen Hand der Eiswand entgegen. Neben dem Wolf steht eine in einen Mantel gehüllte Gestalt. Als wir hereinstürmen, lässt der Wolf von dem Prinzen ab und stürzt sich mit einem bösartigen Knurren auf König Peter. Erst jetzt erkenne ich, dass es sich um einen Werwolf handelt. König Edmund kümmert sich um die andere Gestalt. Als sie seinem Schwerthieb ausweicht, rutscht die Kapuze des Mantels zurück und entblößt das Gesicht einer Furie. Mit einem gellenden Schrei wirft sich diese auf den jüngeren König. Ich passe nicht auf und jemand schlägt mir die Beine unter dem Körper weg. Über mir steht niemand anders als Nikabrik, der Schwarzzwerg. Er grinst höhnisch auf mich herunter, einen langen Dolch in der Hand. Ich sehe an ihm vorbei. Kaspian steht noch immer im Kreis vor der Eiswand, die Hand ausgestreckt. Es scheint als würde sich im Eis etwas bewegen, eine schemenhafte Gestalt. Ich höre eine Stimme, die mir einen eiskalten Schauer den Rücken hinablaufen lässt. Kaspian bewegt sich langsam auf die Eiswand zu.

« Eigentlich muss ich dich nicht töten. Schließ dich uns an! », sagt der Zwerg und plötzlich wird mir klar, was hier vorgeht. Meine Reflexe erwachen und mit einem schnellen Schlag, habe ich Nikabrik beiseite geschleudert. Der Prinz berührt das Eis schon beinahe, er scheint in Trance zu sein. Ich springe auf, will ihn von dieser verflixten Nebelgestalt fortziehen, doch mein Bein protestiert und ich knicke ein. Gerade versuche ich, mich erneut aufzurichten, da schubst König Peter Kaspian beiseite und richtet das Schwert auf die Gestalt im Eis. Neben mir höre ich ein ersticktes Keuchen und ich fahre herum. Trumpkin steht über dem bewegungslosen Nikabrik und sieht auf ihn hinunter. Das muss schwer für ihn sein, schließlich waren die beiden befreundet. Da splittert das Eis und regnet in tausend Scherben auf uns herab.

« Du wirst nicht zurückkehren, Hexe », ruft König Edmund aus und hängt sein Schwert zurück an seinen Gürtel.

Der Ruf des Löwen | Eine narnianische GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt