Kapitel 12 - Raum und Zeit

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Momente. Es spielt keine Rolle, wie lange sie sind oder wie viele davon man hat. Es kommt nur darauf an, wie intensiv man sie lebt.
marinahernandez00


Noch 3'450 Kilometer

Stöhnend drehe ich mich zur Seite. Mir schmerzt alles. Mein Rücken fühlt sich an wie ein Holzbrett und ich spüre meine Füsse kaum mehr. Plötzlich spüre ich einen warmen Luftstoss im Nacken. Ein spitzer Schrei entfährt mir und irgendjemand hinter mir hat gerade den Schock seines Lebens. Er fährt panisch hoch und als ich meinen Kopf mit böser Vorahnung drehe, erkenne ich, wie erwartet, Jason, der mich absolut perplex anstarrt. Ich breche in lautes Lachen aus.

„Ach du heilige Scheisse, du hast mich zu Tode erschreckt!", stösst er aus und fährt sich durch seine dunklen Haare.

„Du hast mich aber zuerst zu Tode erschreckt. Seit wann genau liegst du hier?"

Er grinst mich an. „Seit genau acht Stunden und fünfunddreissig Minuten."

„Woher...?"

Er lacht los. „Das war Spass. Ich habe keine Ahnung wie lange ich schon hier liege, Jeli", erklärt er mir belustigt. „Aber ich weiss, dass ich seit gleich langer Zeit hier liegen wie du."

Ich lege meine Stirn in Falten, doch dann fällt es mir wieder ein. Wir sind gestern gegen Nachmittag in Heidelberg angekommen, haben unseren VW Bus umgebaut und das Zelt aufgestellt. Natürlich wollte ich im Zelt schlafen. Ich bereue es jetzt. Jedenfalls war ich am Abend ziemlich müde und war schon halb im Tiefschlaf, als ich mich in meinen warmen Schlafsack kuschelte. Ich habe wirklich völlig vergessen, dass Jason sich danach neben mich gelegt hat.

Er schaut kurz auf seine Uhr, um sich dann stöhnend wieder hinzulegen. „Es ist gerade mal halb fünf", brummt er und zieht sich seinen Schlafsack bis über die Ohren. Lächelnd kuschle ich mich an ihn. Er befreit sich soweit aus seinem Schlafsack, dass er seine Arme um mich schlingen kann. So dösen wir noch eine Zeitlang vor uns hin, bis plötzlich das Zelt gefährlich schwankt und jemand lautstark zu fluchen beginnt.

„Zac?", fragt Jason, ohne sich die Mühe zu machen, sich zu bewegen. „Ja, Mann. Scheiss Zeltschnur!", schimpft er. Ich kann mir ein Lachen nicht mehr verkneifen. Auch Jason prustet los. Da geht der Reisverschluss des Zelts auf und Zac streckt seinen Kopf ins Innere. Er ist wirklich über die Zeltschnur gestolpert und mit dem Gesicht voran im Matsch gelandet. Der braune Schlamm rinnt ihm übers Gesicht.

„Schlammmasken sollen gut für die Haut sein", kommentiert Jason mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Ich lache noch lauter. Zac verzieht das Gesicht. „Nicht einmal pinkeln gehen kann man hier gefahrlos. Wäre wohl doch besser zuhause geblieben."

Ich lache, denn nach dieser Nacht, denke ich mir das auch fast. Ich vermisse mein gemütliches Bett. Aber dann kommt mir wieder in den Sinn, wieso ich diese Reise mache, und mein Lachen erstirbt. Jason sieht mich besorgt an, aber ich winke nur ab und schäle mich wortlos aus meinem Schlafsack. Ich nehme mir meine Kleider und verlasse das Zelt. Die beiden Jungs sehen mich verwirrt an, aber ich ignoriere sie. Ich brauche jetzt einfach ein wenig Zeit für mich. So marschiere ich über den Zeltplatz zu den Duschanlagen. Es ist kurz vor sechs Uhr und die meisten schlafen noch, auch meine Familie.

Ich drücke die Tür auf und betrete das kühle Gebäude. Danach verdrücke ich mich in eine Duschkabine, schlüpfe aus meinen Schlafsachen und stelle mich unter den warmen Wasserstrahl. Während ich meinen Körper abschrubbe, wird mir wieder einmal bewusst, wie zerbrechlich ich noch bin. Ich wiege keine 50 Kg mehr. Die Knochen zeichnen sich deutlich unter meiner blassen Haut ab. Mir bleibt nicht mehr lange Zeit. Schon nur das Duschen strengt mich extrem an. Ich kann meine Arme kaum anheben. Zudem bin ich völlig erschöpft, obschon ich die Nacht eigentlich nicht schlecht geschlafen habe.

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