Kapitel 10 - Das Danach

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Gehe nicht, wohin der Weg führen mag, sondern dorthin, wo kein Weg ist, und hinterlasse eine Spur.
Jean Paul


Montag, 12. Oktober

„Örnsköldsvik. Bist du sicher, dass du dort hin willst? Wir werden nicht einmal nach dem Weg fragen können, weil wir diesen verzworgelten Namen nicht aussprechen können." Jason sieht mich skeptisch an. Ich lege meinen Kopf von hinten auf seine Schulter und sehe auf den Laptop, den er auf seinen Knien balanciert.

„Ja, ich will dort hin. Gerade wegen dem lustigen Namen", kommentiere ich und drücke ihm einen Kuss auf die Wange.

„Na gut, schreib auf: Stockholm - Örnsköldöldl irgendwas, sechs Stunden Fahrt, 530 Kilometer Distanz. Laut Google Maps. Gerundet natürlich."

Ich nehme mein Notizblatt zur Hand, lege es auf seinen Rücken und notiere, was er gerade gesagt hat.

„Sechs Stunden Fahrt, das wird ja prickelnd", murmle ich leise, als ich die Zahl ansehe. Jace dreht seinen Kopf zu mir. „Du willst diese Reise machen. Von mir aus können wir uns auch einen Dokumentarfilm ausleihen, uns auf meine Couch schmeissen, Wintertee nippen und uns die Nordlichter gemütlich von meiner Dachstockwohnung aus ansehen." Er grinst neckisch. Ich knuffe ihn in die Seite. „Das ist nicht dasselbe!"

„Natürlich nicht, aber ich sage dir, das werden lange Tage und kalte Nächte."

Ich lege meine Arme um seine Mitte und schmiege mich an seinen Rücken. „Ist mir egal. Wenn du dabei bist, wird die Zeit nur so verfliegen, und wenn du in der Nach neben mir liegst, kann es gar nicht kalt werden."

Er verdreht den Kopf so, dass er mich angrinsen kann. „Ich bin schon einfach ein heisser Kerl."

„Musst du immer alles kaputt machen?" Vorwurfsvoll sehe ich ihn an. Er küsst mich auf die Nasenspitze, oder versucht es zumindest, denn erwischen tut er mit seinen Lippen nur die Luft vor mir. Er ist eben keine Eule, die ihren Kopf um 180 Grad drehen kann, auch wenn er das glaubt. Ich lache ihn aus, was er nicht lustig findet.

„Ach komm schon, es wird Zeit, dass du ein ernstes Wörtchen mit dir selbst redest, wenn du nicht mehr über dich lachen kannst."

„Du freches Zwergchen!", knurrt er grinsend und legt seinen Laptop beiseite, um mich auskitzeln zu können. Lachend falle ich ihm zum Opfer. Ich zapple wie ein hilfloser Käfer. Irgendwann scheint er mich genügen geplagt zu haben, denn er stützt sich links und rechts von meinem Kopf mit den Ellenbogen ab und sieht mir direkt in die Augen. Mein Atem geht flach. Seine Nähe löst wie immer dieses Flattern in meiner Magengegend aus. Bisher habe ich ihn noch nicht auf den Mund geküsst. Ich wollte mir den Kuss aufsparen für einen romantischeren Moment als in einem Spitalbett. Na ja, ob das Schlafzimmer in seiner Dachstockwohnung romantischer ist, darüber lässt sich streiten, aber ich halte es einfach nicht mehr aus.

„Küss mich", hauche ich. Seine bernsteinfarbenen Augen funkeln im Licht der untergehenden Sonne, das durch das Fenster ins Zimmer fällt. Auf sein Gesicht tritt ein liebevoller Ausdruck. Langsam verringert er den Abstand zwischen uns. Ich schliesse die Augen, sauge seinen Duft ein und warte einfach auf die Berührung seiner weichen Lippen. Ein riesiges Feuerwerk geht in meinem Körper hoch, als seine Lippen meine kaum merklich streifen und er die Distanz zwischen uns schliesslich mit einem zärtlichen Kuss schliesst. Mein ganzer Körper blüht auf. Ich fühle mich befreit, so als hätte er meinen Käfig, in dem ich die ganze Zeit über eingesperrt war, aufgemacht und mich fliegen lassen.

Er verstärkt den Kuss vorsichtig, gerade so als wollte er die Grenzen abtasten, schauen wie weit ich gehe. Was er nicht begriffen zu haben scheint, ist, dass es keine Grenzen mehr gibt zwischen uns.

NordlichtWhere stories live. Discover now