1 - Neues Leben, neue Aufgaben

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Ich lag auf dem kleinen Bett im Studentenwohnheim, in dem jede meiner Bewegungen einen knarrenden Laut erzeugte und schaute gebannt auf den Bildschirm meines Laptops. Er war eines der wenigen Überbleibsel aus meinem alten Leben und bildete nun den einzigen Luxus, den ich besaß.

Mein ganzes Leben lag hinter mir, ich hatte alles zurück gelassen, hatte mich von der zwanghaften Kontrolle meiner Eltern verabschiedet, um endlich ein neues Kapitel meiner eigenen Geschichte zu beginnen. Ich konnte tun und lassen was ich wollte und wurde nicht mehr von meinen ständigen Leibwächtern bewacht. Es war ein Traum, dessen Verwirklichung ein ganzes Stück Arbeit bedeutet hatte.

Und was tat ich mit der neu gewonnen Freiheit? Ich lag faul auf dem alten Bett, schaute mir Serien an, die meine Eltern niemals erlaubt hätten und ließ alle paar Sekunden neues gesüßtes Popcorn in meinem Mund zergehen. So musste sich der Himmel anfühlen!

Eigentlich sollte ich herum laufen, mir einen Job suchen oder wenigstens ein paar Kontakte knüpfen, doch alles was ich im Moment wollte, war dieses Paradies auf Erden. Ich wollte ungesundes Zeug essen, wollte den ganzen Tag einfach mal nichts tun und die erstaunlich gute Serie zu Ende schauen.

Doch leider war beinahe mein ganzes Geld aufgebraucht und wenn ich nicht bald einen Job fand, würde ich meine Habseligkeiten verkaufen müssen, was so viel bedeutete, wie meinen Laptop für viel zu wenig Geld verscherbeln und danach keine Art von Luxus mehr besitzen. Also stand ich seufzend vom Bett auf und griff in meinen Rucksack, den ich noch nicht ausgepackt hatte. Ich sollte mir wohl lieber ein sauberes Shirt an ziehen, eines das nicht mit Schokoladenflecken übersät war, doch was genau zog man an, wenn man einen einfachen Studentenjob suchte?

Meine Eltern hatten mir jegliche Formen des guten Umganges beigebracht und auch vor der richtigen Kleidung hatte meine Ausbildung bei ihnen nicht halt gemacht, doch ich fand weder, dass ein konservatives Kleid oder ein langweiliger Hosenanzug das richtige für ein Bewerbungsgespräch in einem Café waren, noch besaß ich diese Art von Kleidung.

Kurz vor meiner Flucht aus der Hölle des Luxus, war ich heimlich und nur für mich shoppen gewesen. Mir war schließlich klar, dass ich in meinem neuen Leben nicht in den aufgezwungen Klamotten meines alten Lebens herum stolzieren konnte. Das einzige Stück, das meinen Lebenswandel überlebt hatte, war ein ausgewaschenes Shirt meiner Lieblingsband, in welchem ich mich am wohlsten fühlte – also zog ich es an und kontrollierte meine löchrige Hose, auf weitere Schokoladenflecken.

Kaum war ich körperlich und mental bereit, warf ich einen letzten Blick in den Spiegel. Meine blau gefärbten Haare gingen mir seit neustem nur noch bis zu meinen Schultern, sodass mein Anblick noch ungewohnter wurde. Ich konnte endlich ich selbst sein und brachte dies auch deutlich zum Ausdruck – das war ein tolles Gefühl.

„Habt ihr vielleicht gerade eine freie Stelle?", fragte ich den Mann hinter der Bar und versuchte nicht allzu verzweifelt zu wirken. Meine Versuche einen Job in einem gemütlichen kleinen Café zu finden, hatten sich als unnötig heraus gestellt, denn offenbar schien mich keiner haben zu wollen. Das Gefühl war mir neu, doch trotzdem gefiel es mir nicht. Ich hatte naiver Weise erwartet, dass es das leichteste sein würde, eine Arbeit zu finden. Was sollte ich denn machen, wenn ich auch in Wochen noch nichts Passendes hatte? Mein Geld ging mir schließlich langsam aus und eigentlich wollte ich nicht jetzt schon auf meine Schokolade und das Popcorn, die Dinge, die meine freien Entscheidungen darstellten, verzichten. Ich wollte weiterhin essen können, was ich wollte und nicht auf Wasser und Brot umsteigen müssen, bloß, weil ich pleite war.

Die Bar lag zwar direkt neben dem Campus, auf dem ich von nun an wohnen würde, doch ein schlichtes Café wäre mir lieber gewesen, als ein solch skandalöses Etablissement, in dem es vermutlich nur so von Alkoholeskapaden wimmelte.

Der breitschultrige Mann beachtete mich erst einmal gar nicht, sondern widmete sich weiterhin den Gläsern, die er offenbar mit der Hand abwusch. Besaßen die denn keine Spülmaschine?!

Er sein Erscheinen machte mich ein wenig nervös und ich tat das einzige, was ich nie kontrollieren konnte, wenn mich die Nervosität wieder einmal ergriffen hatte – ich fing an zu reden: „Ich brauche nämlich wirklich dringend einen Job, sonst muss ich mich bald von Luft und Liebe ernähren und eigentlich bin ich nicht der Hippietyp.", ich zeigte auf das Nirvanashirt an meinem Leib und lachte ein wenig. Ich war wirklich kein Mensch, der an Flower Power glaubte. „Naja das ist ja auch egal. Ich würde mich aber wirklich freuen, wenn Sie eine Arbeit für mich hätten." Ich endete meine kleine Rede mit dem bezauberndsten unechten Lächeln, das ich konnte und hoffte inständig, dass ich mich nicht allzu sehr blamiert hatte.

Endlich schaute der Barkeeper auf und schmunzelte, als er mich erblickte. Ich war mit meinen blauen Haaren und der zerknitterten Kleidung, die absolut nichts für meine kurvige Figur tat, sicherlich ein komischer Anblick, doch das gab ihm noch lange nicht das Recht mich aus zu lachen!

„Wie alt bist du?", fragte er und musterte mich weiterhin ziemlich offensichtlich. Er war sicher schon dreißig und genoss seine Machtposition offensichtlich in vollen Zügen – das gefiel mir gar nicht. Jedoch blieb mir keine Wahl, schließlich wollte ich meinen Laptop und das ungesunde Essen noch eine Weile behalten.

„Neunzehn.", antwortete ich wahrheitsgemäß und hoffte, dass ihn die Zahl nicht abschrecken würde. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, mich ein bisschen Älter zu lügen, doch sein ernster Blick machte mich immer noch so nervös, dass ich kaum noch klar denken konnte und die Worte einfach aus mir heraus sprudelten.

„Wie heißt du?", fragte er weiter. Bei den anderen war ich nicht einmal in diese Phase des Gesprächs gekommen, sie hatten mich alle sofort weg geschickt. Das war ein gutes Zeichen, oder?

„Lia Kingsley." Hoffentlich würde er durch meinen Nachnamen keine Verbindung zu der reichen Familie Kingsley ziehen, die aufgrund der Staranwaltschaft schon mein ganzes Leben in der Öffentlichkeit stand.

„Okay Lia, hast du schon mal hinter einer Bar gestanden?" Wieder dieser durchdringende Blick, ich hatte eindeutig Respekt vor ihm.

Ich wollte wirklich Lügen und ihm von meinen unzähligen Erfahrungen als Barkeeperin erzählen, doch die wahren Worte schoss aus meinem Mund, bevor ich sie aufhalten konnte: „Nein, habe ich noch nicht. Aber ich stelle mir das nicht so schwer vor."

Dieses Mal konnte der Mann sein Lachen nicht mehr verkneifen. „Du hattest noch nicht viele Vorstellungsgespräche, oder? Normalerweise versuchen die Leute sich von ihrer besten Seite zu zeigen." Er streckte mir die Hand über den Tresen hin. „Ich bin der Chef hier, nenn mich ruhig Jim. Wann kannst du anfangen?"

Ungestüm ergriff ich seine Hand und schüttelte sie. Hieß das tatsächlich, was ich dachte? „Ich habe den Job?", fragte ich ungläubig.

„Erst einmal auf Probe, aber wenn du dich bewährst, kannst du hier regelmäßig arbeiten." Ich musste mich zurück halten, keinen lauten Jubelschrei aus zu stoßen. Ich hatte den Job tatsächlich bekommen!

Auf einmal war es mir egal, dass dieser Schuppen hier weder besonders sauber, noch kultiviert erschien, ich war einfach nur froh, dass ich ganz alleine eine Arbeit gefunden hatte. Mein neues Leben wurde von Sekunde zu Sekunde besser. 



Fading Princess || H.S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt