Geschichte und Erinnerungen

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Flo PoV
Zuhause ging Lena direkt in ihr Zimmer. Ich kam mir schlecht dabei vor, doch hörte ich ihr zu, als sie ihren PC startete, Musik einschaltete und sich auf ihr Bett warf. Sie seufzte und der Ton jagte mir einen Schauer über den Rücken. Er war so voll von Traurigkeit und Sehnsucht. Ich ging in die Küche und machte einen warmen Kakao. Lena hatte mir in einem schwachen Moment im Krankenhaus verraten, dass sie warmen Kakao abgöttisch liebte. Noch vor Waldfruchttee, da war sie ganz das Kind, das sie eigentlich noch war. Wie ein Welpe, der zu früh mit den großen Wölfen jagen musste. Ein Küken, das noch nicht flügge ist und trotzdem schon fliegen musste. Ein Kind, das schon erwachsen sein musste. Ich machte noch Sahne auf den Kakao und ging zu Lena. Sie lag zusammengerollt auf ihrem Bett und hörte auf ihrem Headset Stimme. Ich stellte die Tasse vorsichtig auf ihrem Nachttisch ab und setzte mich zu ihr. Sie blickte hoch und setzte sich auf, als ich sie an der Schulter berührte. Ich sah den Schmerz in ihren Augen, den sie versuchte zu verstecken. Ich nahm sie in den Arm und drückte sie ganz fest an mich. "Du kannst über alles mit mir reden, das weißt du doch, oder?", fragte ich leise und ich spürte, wie sie leicht nickte. Sie löste sich von mir und in ihren Augen schimmerten Tränen. Ich drückte ihr die Tasse in die Hand und ihre Augen leuchteten kurz auf. 

Lena PoV
Flo sah mich an, als ich einen Schluck nahm. "Kann ich dir eine Geschichte erzählen?", fragte er leise, seine braunen Augen sorgenvoll auf mich gerichtet. Ich nickte und lehnte mich mit dem Rücken gegen die Wand. Das Headset hatte ich schon abgenommen, als ich mich aufgesetzt hatte. Flo setzte sich neben mich an die Wand und begann zu erzählen: 

"Einmal, vor langer, langer Zeit, als die Menschen noch in den Bäumen lebten, gab es fünf Clans. Wolf, Eule, Katze, Bär und Drache. Sie lebten in Frieden, aber hielten sich an ihre Gesetze. An eins besonders. Niemals in jemanden aus einem anderen Clan verlieben. Denn ein Weiser der Eulen hatte eine Vision gehabt, in der ein Kind sowohl Wolf als auch Eule ist. Und dieses Mädchen wird die Clans verändern. Doch die Clans wussten nicht, ob es gut oder schlecht sein würde. Sie hatten Angst vor Veränderungen und wollten verhindern, das es jemals zu so einem Kind kommt. Also stellten sie das Gesetz auf, das es keine clanübergreifende Gefährten geben durfte. Doch nach vielen, vielen Jahren kam es zu eben diesem Ereignis. Die Clans beschlossen einstimmig, dass das Kind sofort getötet werden sollte. Und es geschah so. Doch danach wurden alle 100 Jahre immer wieder so ein Kind geboren und immer war es ein Mädchen. Nach vielen Tausend Jahren schaften es die Eltern einer solchen Tochter, ihr Kind zu verstecken. Sie wuchs auf und wurde zu einer schönen jungen Frau. Sie kannte ihre Eltern nicht, wusste aber, das sie ihr Geheimnis niemandem preisgeben durfte. Dann begegnete sie einem jungen Mann, der ihr von einem Gott erzählte, der alle seine Kinder liebte. Auch die Kinder, die Tiere waren. Und sie zog mit ihm und seinen 12 Anhängern umher und blieb bei ihm, bis er starb. Dann zog sie weiter, über ein großes Meer und versteckte sich auf einem Kontinent, den vor ihr keiner gesehen hatte. Und sie lebte bei Menschen, die sie als eine Gesandte ihrer Götter anbeteten und sie verehrten. Sie kämpfte für sie, als die Weißen die wilden Menschen, die den Clans doch gar nicht so unähnlich waren, töteten und in Reservate steckten. Aber sie konnte nichts tun. Sie wurde gefangen genommen und in einen Käfig gesteckt. Einige Jahre später erfuhren die Clans, das sie lebte und beschlossen, sie zu töten. Sie wurde vom Alpha der Wölfe zum Kampf herausgefordert und verlor, denn sie war schwach durch die Gefangenschaft und Foltern der Eindringlinge in ihr Revier. Ihre Seele ging in die Jagdgründe ein und ruhte viele Jahre. Wartete, bis sie wieder auf die Erde durfte und versuchen konnte, die Clans zu beschützen." 

Ich sah Flo von der Seite an. Irgendwie... Kam mir das bekannt vor. Nicht im Sinne von Ich-habe-es-schon-mal-gehört-Bekannt. Im Sinne von Ich-habe-das-erlebt-Bekannt. Und das war gruselig. "Weißt du, wer der Mann mit den 12 Anhängern war?", fragte Flo leise. Ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter und nickte. "Jesus", sagte ich. "Mama hat mich immer zu Gottesdiensten geschleppt, obwohl ich nie mit wollte. Irgendwann hatte ich mich gefügt und gelernt  mit offenen Augen zu schlafen." Flo lachte kurz auf. "Und die wilden Menschen?" "Die Indianer. Ein Junge hatte mich damals als Wölfin angesprochen und mich mit zu seinem Stamm genommen", lachte ich. Dann stockte ich. Mich? "Du erinnerst dich", sagte Flo und ich sah ihn an. Er lächelte. "Es hat einen Grund, warum ich dir die Geschichte erzählt habe. Es ist deine Geschichte." Ich sah ihn schockiert an. "Bitte was?", fragte ich und suchte in seinen Augen irgendeinen Hinweis darauf, das es ein Witz war. "Deine Augen sind golden", sagte er. Ich zuckte zurück und blinzelte. Auf einmal wurde es in meinem Zimmer dunkel. Ich schaute nach draußen und stellte mit schrecken fest, das es schon stockdunkel war. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es 11:15 Uhr war. "Ist schon okay", sagte er leise. "Du wirst es bald verstehen. Schlaf erstmal. Morgen reden wir weiter. Oder... Später trift's wohl eher", grinste er schief. Ich nickte langsam. "Ja... Gute Nacht. Ich quetsche dich nachher nochmal aus deswegen", sagte ich und machte die Ich-hab-dich-im-Blick-Geste. Flo lachte und verließ mein Zimmer. Ich zog mich schnell um, fuhr den PC runter und krabbelte ins Bett. 

Mein Leben bei LeFloidWhere stories live. Discover now