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Jemand umarmt mich. "Hey, es ist normal, dass man weint", flüstert Betty in mein Ohr. Von der überheblichen Kuh merke ich nichts mehr. 

"Auch wenn Ems mich gehasst hat, ich bereue es wirklich, dass ich mich nie bei ihr entschuldigt habe, als sie noch... nicht tot war." Sie schluckt. "Wir alle wollen es nicht wahrhaben, aber es ist so. Emilia Scott und Liz Thompson sind tot."
"Du klingst, als ob du selbst jemanden verloren hat", schniefe ich.
"Habe ich auch", murmelt sie.
"Wen?" Es war vielleicht dreist, so etwas zu fragen, aber wer weiß schon, wie lange Betty nett zu mir ist.
"Wir gehen kurz an die frische Luft, sind gleich wieder da", verkündet Betty den Jungs und zieht mich schnell aus der Kirche heraus.
Sie steuert auf eine Bank etwas abseits vom Trudel hin.
"Du weißt, dass Ems und Jonas zusammen waren und dass Ems mich gehasst hat. Aber warum, wissen nur beide. Und jetzt auch gleich du.
Ems und ich standen uns früher sehr nahe. Wir waren unzertrennlich, bis wir auf dieses verkackte Internat gekommen sind. Am Anfang lief alles gut, bis Ems mir erzählte, dass sie verliebt wäre. In Luke. Blöd nur, dass ich ebenfalls ein Auge auf ihn geworfen hatte. Ich gestand es ihr und daraufhin wurde sie richtig wütend. Sie warf mir vor, dass ich ihr immer alles wegnehmen wollte. Obwohl sie es immer war, die mir immer alles weggenommen hatte. Ich wollte einmal etwas oder jemanden für mich allein haben, aber seit unserem Streit... Sie setzte falsche Gerüchte in Umlauf, dass ich eine Schlampe sei, in meiner Heimatstadt für jeden die Beine breit gemacht hätte und so weiter und so fort.
Luke selbst hatte ihr aber einen Korb gegeben, weshalb sie notgedrungen Jonas nahm. Er war nur ein Ersatzteil, weil sie Luke nicht bekommen konnte.
Anfangs habe ich noch versucht, ihre Gerüchte abzustreiten, aber es hat nichts gebracht. Schließlich habe ich akzeptiert, dass die Leute lieber Lügen glauben, als die Wahrheit."
Ich schweige. "Warum erzählst du das alles ausgerechnet mir? Ich bin oder war eine von Ems' besten Freunden. Und ganz ehrlich, du hast dich auch ziemlich schlampig verhalten."
Betty sieht mich an. "Ich vertraue dir. Du hast die nötige Gehirnkapazität, um zu verstehen, dass jeder dunkle Seiten hat. Keiner ist nur gut oder nur böse. Und ja, man wird von den Leuten in eine Schublade gesteckt und man hat sich gefälligst auch so zu verhalten."
Irgendwie konnte ich es nicht ganz verstehen. Oder ich wollte wie alle anderen in einer Lüge leben. Das mit den Schubladen leuchtete mir ein. Daheim war ich oft nur die arme Cleo, die ihre Zwillingsschwester verloren hat.
"Erzähl mir von Liz. War sie genau so?", frage ich letztendlich leise.
"Von Liz weiß ich nicht viel. Niemand weiß so richtig etwas über sie. Ich nehme an, sie hat nie etwas von sich erzählt?"
Ich schüttele den Kopf.
"Entweder sie war einfach extrem schüchtern oder sie hatte etwas zu verbergen. Und jetzt komm, fast alle sind schon in der Kirche."

Den Gottesdienst bekomme ich nicht mit. Ich bin zu sehr in meine Gedanken vertieft. Kann es wirklich sein, dass Ems so hinterhältig war? Ja, sie hat über Betty gelästert, aber das haben wir alle. Ich kenne kaum jemanden, der nicht einmal etwas Böses über sie erzählt hat.
Irgendwie kann ich nicht ganz glauben, was Betty gesagt hatte. Liegt es daran, dass Ems meine Freundin war und Betty nun mal nicht den besten Ruf hat? Oder traue ich Ems so etwas einfach nicht zu? Ich meine, in meiner Gegenwart hat sie nie etwas verlauten lassen, das man auf dieses von Betty geschilderte Verhalten zurückführen könnte. Oder war das alles nur eine Masche?
Seit ich auf diesem verdammten Internat bin, läuft alles aus dem Ruder. Ich kam hierhin, weil ich mein Leben wieder in den Griff kriegen sollte. Aber stattdessen habe ich erneut zwei mir wichtige Personen verloren.
Warum passiert das eigentlich mir? Was habe ich so Schlimmes getan, dass mich das Schicksal so bestraft?
"Steh auf, wir gehen jetzt zu ihrem Grab", murmelt Luke und nimmt meine Hand. Das altbekannte Kribbeln in meinem Bauch bei jeder seiner Berührungen kommt wieder hoch und für einen Moment vergesse ich, wo wir sind und was passiert ist. Für diesen einen Moment konnte ich ich sein und mir wurde klar, dass ich Luke nach der Beerdigung unbedingt von meinen Gefühlen erzählen musste. Was hatte ich schon großartig zu verlieren? So wie ich meine Eltern kannte, würden sie mich eh nie wieder nach Swansea lassen, also wen kümmerte es, wenn auch Luke mich verletzen würde?
Betty lächelt mir leicht zu, als sie unsere verschränkten Finger sah. Auch wenn es für sie schwer sein muss, die große Liebe mit einer anderen zu sehen.
Wir laufen hinter den beiden Särgen her und kommen schließlich an einem großen Loch im Boden an.
Die Eltern meiner Freundinnen haben beschlossen, die beiden nebeneinander zu begraben.
Als Luke meine Hand wieder loslässt, verschwindet mein Hochgefühl wieder und macht einer schweren Traurigkeit Platz, die mich fast auf den Boden drückt.
Seltsam, was dieser eine Junge in mir alles auslösen kann. Bei Louis hatte ich nie auch nur ein ähnlich befreiendes Gefühl.
Der Priester spricht noch ein paar Worte und dann werfen wir Erde auf die Särge. Ich bin eine der ersten, nach den Familien und zusammen mit Luke, Jonas und Betty. Monoton kippe ich meine Schaufel Erde über den Särgen aus. Betty murmelt ein leises "Vergib mir", ehe sie sich abwendet und davon läuft.
Mit einem letzten Blick auf die Särge wende auch ich mich ab.
Es fühlt sich so an, als würde ein Teil von mir auch da unten liegen und mit Erde zugeschüttet werden. Eine Gänsehaut breitet sich auf meiner Haut aus, als ich mir vorstelle, lebendig begraben zu werden.
Als auch der letzte fertig ist, schweigen wir und gehen dann zum Parkplatz, um uns mit einem
Essen vollzustopfen und der Familie Beileid auszusprechen.
Mum und Dad lassen mich wieder bei Lukes Eltern mitfahren. Wahrscheinlich wissen sie, dass ich noch so viel Zeit wie möglich mit meinen Freunden verbringen will.
Im Auto herrscht eine trübe Stimmung und auch das Radio kann die Stimmung nicht lockern.
Meine Kopf liegt auf Lukes Schulter, sein Arm liegt um meine Schulter und hält mich leicht fest.
"Könnt ihr schonmal vorgehen?", fragt Luke seine Eltern leise. "Wir kommen gleich nach."
Thea lächelt ihren Sohn schwach an und dann verschwinden beide im Restaurant.
"Heute Abend oder morgen früh fahrt ihr, oder?", fragt er. "Und ihr kommt nicht wieder."
Ich senke meinem Blick und nicke. "Meine Eltern denken, das wäre das Beste."
"Und was denkst du?"
"Ich will bei euch bleiben. Bei Betty, Luke und Jonas. Ich sehe, dass ihr mit ihrem Tod nicht klar kommt, ich will bei euch sein und mit euch zusammen durch die Phase der Trauer gehen. Gott, das hört sich so komisch an."
Luke lächelt leicht und nimmt meine Hände in seine.
"Luke?"
"Ja?"
"Darf ich... Dir etwas sagen?", frage ich ihn zögernd.
"Uhm... Klar, wenn ich dir danach auch was sagen darf."
Ich nicke.
"Also, was liegt dir auf dem Herzen, Cleo?"
Jetzt oder nie.
Ich atme tief durch und drücke meine Lippen auf seine.

~~~
:)
Der erste #Cluke-Kuss :)
Ich hoffe, 1206 Wörter sind lang genug :)
Und ich hoffe, ich hab das mit dem Gespräch zwischen Betty und Cleo gut hinbekommen :)
Ich mag diesen Smiley :)

Wenn ich keinen Geistesblitz mehr bekomme, steht das Finale fast bevor. Ich bin mir nicht sicher, wie viele Kapitel noch folgen werden, aber auf jeden Fall nicht mehr viele :)

Falls ihr noch Fragen wegen Emma habt - ab damit in die Kommentare! Ich werde sie mir merken und mit in die Geschichte einfließen lassen.
Und um die eventuelle Frage vorzubeugen: Nur ihr wisst jetzt, wer Emma ist. Luke, Jonas, Betty & Co. wissen es (noch) nicht :)

Helli.

Friss oder StirbWhere stories live. Discover now