Ausschnitte der Vergangenheit

6 0 0
                                    

"Viel Spaß!", das waren die Worte die mir Will noch grinsend zurief, als er mich an der Kreuzung zum Krankenhaus einfach stehen ließ. Im letzten Moment viel ihm ein, dass er ja noch eine "unglaublich wichtige Sache" erledigen musste. Wir beide wussten, dass es wegen dem Mittagessen war, denn am Weg zur Schule hatte er schon von dem heutigen Mittagessen vorgeschwärmt. Heute gab es sein Lieblingsessen, Spaghetti und als Nachspeise sollte es gebackenes Obst geben.

Endlich stand ich vor dem Eingang des Krankenhauses und hoffte, Alex entweder nicht im Zimmer zu finden, oder schlafend, denn in beiden Fällen könnte ich einfach nach Hause gehen. Zuletzt entschied ich mich einfach meinen Großvater zu besuchen. Irgendwann würde ich es Alex sowiso sagen. Diese Entscheidung wurde leider zunichte gemacht, denn als ich das Krankenhaus betrat und richtung Auskunft ging, redete dort niemand anders mit der Schwester als Alex Drew. Schnell versteckte ich mich um die nächste Ecke, leider zu spät, denn wenig später hörte ich Alex neben mir sagen:"Jordan?" Erschrocken schrie ich auf und musste mich an der Wand festhalten um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Alex neben mir kicherte und sah mich an wie ein Erwachsener ein Kind das gerade gelernt hatte zu laufen und gefallen war. "Soll ich dir eine meiner Krücken borgen?", meinte er grinsend und hielt mir auffordernd eine der Krücken vor die Nase. Ich sah ihn genervt an:"Nein danke, so schlimm ist es doch nicht, und nimm das Ding, sonst fällst du noch vor mir." Er lächelte und nahm die Krücke wieder zu sich, nun erst bemerkte ich, wie seine Hand zitterte als er die Krücke hochhielt. Anscheinend hatte er meine besorgten Blicke bemerkt, denn er meinte grinsend:"Also ich habe gehört dein Cousin soll ziemlich genial sein, ja schon fast ein Genie."
Geschockt sah ich ihn an:"Wieso weist du davon?" Er lächelte und sagte unschuldig:"Darf ich nicht sagen." Sein Grinsen schien jedoch erleichtert, was war heute los mit ihm? Da er aber eindeutig nicht darüber reden wollte, sagte ich nichts dazu und spielte mit. "Du bist ein Idiot! Verdammt Will! Wie kann er das einfach so sagen?" Nun verschwand der etwas verzweifelte Blick und er meinte nur Schulterzuckend:"Handys, die Geheimnisauflöser der Zukunft. Weist du, dass ich nur deswegen hierher gekommen bin damit du mir nicht aus dem Weg gehen kannst?", fragte er und tat als ob er verärgert wäre. Ich seufzte resignierend:"Ich muss leider gestehen, dein Text hat meine Deutschnote gerettet." Er antwortete mit selbstgefälligem Ton:"Ich weiß, nichts zu danken Cousinchen.", während er dies sagte, wuschelte er durch meine Haare. "Gehen wir in dein Zimmer.", sagte ich schmollend, zog ihn mit mir zum Aufzug und ignorierte die Blicke der Ärzte und Patienten die in der Eingangshalle saßen und uns neugierig nachblickten.

Alex blickte auf den Text nieder und notierte sich die falsch geschriebenen Wörter in einem Notizbuch. Ich saß nur still neben ihm und betrachtete ihn neugierig aus den Augenwinkeln. Egal wie sehr er mich manchmal aufregte, er schien ein vollkommen anderer Mensch zu sein, sobald er seine Brille anhatte. Auf einmal war er ruhig und sagte nur noch gelegentlich etwas, wenn er etwas nicht verstand und nachfragen musste, was so gut wie nie vorkam. Immer wenn ich ihn so sah, konnte ich nicht anders als zu überlegen was sein "wahres ich" war. Wie war er gegenüber anderen Leuten? Hatte er wirklich aufgegeben an eine Heilungsmethode zu glauben? Das eine Mal als wir geredet hatten, meinte er wirlich alles gesagte ernst? "Jin!", Alex besorgte Stimme riss mich aus meinen Gedanken und ich bemerkte, dass mir Tränen über die Wangen rannten. Ich wusste nicht wie ich zu so einer Heulsuse geworden war, seit dem einen Mal im Garten des Krankenhauses, brach ich wegen jedem Mist in Tränen aus.
Schell fuhr ich mit meinen Händen über mein Gesicht und verwischte meine Tränen. "Alles ok, nichts passiert.", meinte ich abwehrend und schob seine Hand, in welcher er ein Taschentuch hielt, zurück. Als ich aufsah, bemerkte ich seinen traurigen Blick, der auf mir ruhte. Er wusste wohl über was ich nachdachte, denn ein hauch von Reue spiegelte sich in seinem Gesicht wieder. Am liebsten hätte ich ihn jetzt umarmt, hätte ihm gesagt, dass es nicht seine Schuld sei, dass alles wieder gut wird, doch das konnte ich nicht. Ich wusste, genauso wie er, dass das alles einfache Lügen waren, Lügen, die er bestimmt schon sein ganzes Leben gehört hatte.
Plötzlich stand Alex auf, ging zu seinem Bett und ließ sich darauf fallen, dann rückte er an die Wand und schuf einen Freien Platz. Mit seiner Handfläche deutete er auf diesen und sagte:"Hol aus dem Nachtkästchen das große blaue Buch heraus und leg dich zu mir." Ich sah ihn misstrauisch an worauf er seufzte und dann zu seinem Vorherigen Satz "Bitte." hinzufügte.
Ich zuckte mit den Schultern und tat wie gesagt. Das Buch, welches er mir gesagt hatte zu holen, war verdammt schwer, es war mit einer dunkelblauen Lederhülle eingehüllt, welche von goldenen Mustern übersäht war. In der Mitte der Vorderseite war mit dem selben gold ein geschwungener Schriftzug in einer Sprache die ich nicht kannte. "Was heißt das?", fragte ich verwirrt und versuchte die Wörter zu entziffern. Ich legte mich zu Alex während ich noch immer Ratlos auf das Buch herabblickte. Alex neben mir meinte nur:"Mach es auf, dann siehst du es schon." Ich öffnete vorsichtig die erste Seite des Buches und sah überraschender Weise auf ein Bild eines Jungen. Er war wohl zwischen sechs und sieben Jahren alt und grinste in die Kamera. Vor ihm auf dem Tisch lag dasselbe Buch, welches ich gerade in den Händen hielt. "Bist das du?", fragte ich ungläubig und sah immer wieder zwischen dem Bild und ihm hin und her. "Nein, mein unsichtbarer Zwillingsbruder. Natürlich bin das ich!" Und diesmal musste ich lachen. Den zweiten Teil des Satzes hatte er bestimmt nur wegen mir hinzugefügt. Dann aber blickte ich wieder auf das Foto und sah ihn fragend an:"Wieso zeigst du mir das?" Alex zuckte nur mit den Schultern und meinte:"Keine Ahnung, ich hatte schon länger vor es einmal wieder anzusehen, bin aber nie dazugekommen." Ich lächelte, so ein einfacher Grund war typisch für ihn, obwohl ich ihn erst seit drei Wochen kannte, war mir schon aufgefallen, dass fast alles was er machte spontan war, ihm flogen von wer weiß wo Ideen zu, die er dann einfach ausführte wenn er lust dazu hatte. "Jetzt blätter endlich um, ich will auch nicht zehn Stunden das selbe Foto anstarren." Ich grinste und schlug die Seite mit der Geschwindigkeit einer Schnecke um. Alex neben mir seufzte und murmelte eher zu sich als zu mir:"Gott bewahre vor der Sturheit einer Frau." Ich brach in gelächter aus, während er gespielt entmutigt seinen Kopf schüttelte. Die nächsten zwei Stunden sahen wir uns seine Bilder an und manchmal erzählte er auch, wie es zu jenen Fotos kam. Als ein Mal eine Schwester hereinkam um zu sagen, dass die Besucherzeit schon zu ende war, meinte Alex nur, dass er damit zurechtkäme und ich durfte bleiben.
Als wir bei einem Foto ankamen, auf welchem Alex mit Schultüte und grinsen vor einer Schule stand, hielt ich ihn auf. "Du warst in einer Schule?", fragte ich ungläubig und zeigte auf das Bild. Alex zuckte die Schultern:"Ein Jahr, dann bekam ich Unterricht von einem Hauslehrer. Vorteil, ich musste nicht in die Schule mit den tausenden von Kindern welche alle verschiedene Krankheitserreger herumschleppten, Nachteil, der Lehrer ist viel zu aufdringlich." Wir beide lachten, plötzlich fiel mir der Aufsatz wieder ein und ich fragte:"Alex, wegen dem Aufsatz, hat dir Will schon erzählt, dass du in die Schule kommen musst, um mit Mrs. Berg zu reden?"Alex sah zuerst etwas verwirrt aus, dann aber begriff er und meinte:"Nein, davon hat er nichts geschrieben, und um das Krankenhaus zu verlassen bräuchte ich das Einverständnis der Ärzte. Außerdem muss ich mich als dein Cousin ausgeben, falls ich das richtig verstanden habe." Er grinste mich an:"Ist dir wirklich nichts besseres eingefallen?" Ich sah beschämt auf den Boden:"Halt die Klappe." Er lächelte, dann sah er wieder auf das Foto und meinte:"Ich werds dir morgen sagen, also gib mir deine Handynummer." Ich sah ihn fragend an:"Kann ich morgen nicht einfach wieder zu dir kommen und du sagst es mir persönlich?" Er schüttelte seinen Kopf und antwortete:"Ich muss morgen etwas erledigen, ich bin den Tag nicht im Krankenhaus." Ich seufzte:"Wie du meinst." Alex gab mir sein Handy und ich speicherte meine Nummer ein. Dann stand ich auf und sammelte meine Sachen ein. Bei der Tür drehte ich mich noch einmal um und sagte:"Bis Übermorgen." Er lächelte:"Tschüss."

------

Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen ^-^.... schöne Ostern im Vorraus falls ich wieder einmal länger nicht update .-.


Till time's up (sehr seltene Updates)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt