13. Kapitel: Von Tränen und Zetteln

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„Ich habe Krebs."

Es war ganz still im Raum. Die Zeit war eingefroren, so fühlte es sich an.

„Ich habe Krebs."

Meine Worte hallten mir in den Ohren. Es fröstelte mir. Ich hätte es nicht sagen sollen. Ich hätte sie nicht belasten sollen.

Mein Vater sprang auf und lief ins Bad. Die Tür knallte hinter ihm zu. Meine Mutter saß nochimmer auf dem großen Bett. Tränen liefen ihr über das Gesicht. Sie breitete ihr Arme aus und schloss mich in selbige. Ich wollte nicht, doch auch mir liefen die Tränen jetzt herunter. Erst leicht, nach ein paar Minuten heulte ich dann hemmungslos. Die Hand meiner Mutter ruhte beruhigend auf meinem Rücken.

„Erzähl...", ihre Stimme war zart und sanft, aber auch ängstlich.

Ich erzählte ihr alles ins kleinste Detail. Von meinen Anfällen hatte sie ja schon gewusst, aber, dass es so schlimm und gravierend war, hatte auch sie nicht erwartet.

„Laut Dr. Parker bleiben mir noch maximal 5 Monate", ich sah zu Boden. Jemandem alles zu erzählen befreite. Aber es machte mir meine Situation auch erst richtig bewusst. In spätestens 5 Monaten würde ich nicht mehr auf der Erde sein. Ich würde den nächsten Sommer nicht mehr erleben. Ich würde mein Abitur nicht schaffen. Ich würde nicht, wie jedes Jahr, mit meinen Eltern im Wohnwagen durch Italien fahren. Ich würde spätestens im April sterben, in einem Wetter, das meinen Gefühlen entsprach. Ich würde meinen 18. Geburtstag nicht erleben.

Noch Ewigkeiten saßen wir beiden Frauen auf dem Bett und hielten uns im Arm. Irgendwann waren keine Tränen mehr da.

„Möchtest du Zuhause...", meine Mutter vollendete den Satz nicht. Mir war sehr bewusst, was sie ausdrücken wollte.

„Nein. Ich möchte in Berlin sterben. Ich habe hier so viele tolle Menschen um mich herum"

Meine Mutter schloss die Augen und nickte.

„Wir werden es dir ermöglichen, meine Süße. Verdammt, ich hab dich so lieb. So unendlich."

„Ich hab euch auch ganz doll lieb. Mehr als ihr euch denkt", ich wollte weinen, schreien, aber ich konnte nicht.

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Zum Glück hatte ich einen Schlüssel mitgenommen um die Wohnung aufzuschließen. Ich hängte meinen Mantel an die Garderobe und ging dann in die Küche. Seit einem Apfel im Taxi heute Morgen hatte ich nichts mehr gegessen. Die Wanduhr zeigte 20:12. Kein Wunder, dass ich so einen Kohldampf hatte. Nett, wie ich nunmal war, füllte ich sogar die Näpfe der Katzen.

Mit einem belegten Brötchen in der Hand betrat ich das Wohnzimmer. Auf der Couch saßen meine 4 jungen Männer: Max, Rick, Steve, Flo. Natürlich am zocken. Jeweils auf einer Lehne saßen Vanessa und eine Unbekannte.

Max wand gerade seinen Blick vom Bildschirm ab, um sich aufzuregen, als er mich im Türrahmen sah.

„Lena! Wo warst du?! Was zur Hölle hast gemacht?!", schon war er aufgesprungen und zu mir gelaufen.

Etwas verwirrt sah ich ihn an. „Ich hab euch doch 'nen Zettel geschrieben..."

Er sah mich mit seinem 'Nicht-dein-Ernst-Blick' an.

„Danke, den hab ich auch gesehen. Aber du kannst mir nicht erzählen, dass du von mindestens halb elf, als ich aufgestanden bin, bis um acht Uhr abends einkaufen warst. Das nehm ich dir nicht ab, sorry".

„Ich war noch bei Mama und Papa. Was hast du denn? Hör mal auf mich so anzublöken!"

„Was ich habe? Was ich habe?! Du bist Ewigkeiten weg und ich weiß nicht wo du bist! Ich mache mir Sorgen, verstehst du das?"

Tränen standen in seinen Augen.

„Es tut mir Leid, Max", ich umarmte ihn fest, „Ich hab dich doch lieb!"

Ich wollte meine letzten Monate nicht mit streiten verbringen.


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Realtalk: Es tut so weh, das zu schreiben. Ist irgendwie seltsam, seinen liebgewonnenen Charakteren so ein Leid anzutun. Und wenn man soviel über Krankheit recherchiert, wird einem auch bewusst, wie verletzlich man eigentlich ist. Passt auf euch auf :)


26.12.2015



Fade away (Berliner Cluster)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt