12. Kapitel || Rarrosh

60 6 25
                                    

Der Lichtstrahl der durch den schmalen Spalt fiel blendete Jolly. Er wurde immer breiter und sie war gezwungen, für einen Moment die Augen zu schließen. Als sie sie wieder öffnete, war Nakagos Gesicht über der Kiste erschienen. „Alles in Ordnung?", fragte er ernst. Jolly setzte sich hin. „Mehr oder weniger", murmelte sie. Jede Faser ihres Körpers schmerzte, und sie war ausnahmsweise froh unter Wasser zu sein, denn so brauchte sie nicht so viel Kraft auf zu wenden, um aus dem Kasten zu klettern, wie sie es an Land gemusst hätte. Draußen angekommen ließ sie sich einfach auf der Stelle treiben und blickte sich um. Sie befanden sich in einem recht großen und hellen Raum, mit strahlenden Wänden und Verzierungen aus weißen Korallen. Scheinbar war er so etwas wie eine Garage. Die anderen schienen nicht da zu sein, sie war allein mit Nakago. „Komm!", ordnete er an, grob wie immer. Sie hatte überhaupt keine Lust sich zu bewegen, trotzdem folgte sie dem Nix. Er führte sie zu einer Tür, mehr einem bloßen Durchgang. Dahinter lag ein weiterer Raum, klein und schmucklos. Er schwamm weiter voraus, durch mehrere Zimmer. Je weiter sie gingen, desto bewohnter sahen sie aus. Sie entdeckte Schränke, ein Sofa mit weichen Tangkissen... alles schien aus den selben weißen Korallen zu bestehen, wie die Wände. Schließlich erreichten sie eine riesige Halle. Sie erstreckte sich, soweit Jolly das abschätzen konnte, mindestens 50 Meter kuppelartig in die Höhe. In Abständen von etwa zweieinhalb Metern schmiegten sich ringförmige verzierte Balkone an die Mauern. Was genau sich auf ihnen befand konnte Jolly von unten nicht erkennen. 

Sie richtete ihren Blick wieder nach vorne und entdeckte in der Mitte der Halle einen langen Tisch aus schwarzem Holz mit gleichfarbigen Stühlen. Freudig bemerkte sie, dass auf einigen von ihnen Suri und die anderen saßen. Am Kopfende jedoch saß ein Nix, den Jolly noch nie zuvor gesehen hatte. Er sah alt aus, die grüne Haut war faltig und blass, als wäre sie ausgeblichen. Auf dem Kopf hatte er keine Haare mehr, dafür bsaß er allerdings einen gigantischen weißen Bart. Nakago stupste sie an. Jolly hatte gar nicht gemerkt, dass sie stehen geblieben war. Schnell schwamm sie weiter auf die Nixen zu. Als sie den Tisch erreichten hielt Nakago sie an der Schulter zurück. Er blickte starr nach vorne und rief etwas lauter als nötig: „Nayra Rarrosh, Herr der Schriften!", und presste seinen Handrücken gegen die Stirn. Eilig tat Jolly es ihm nach. Es schien eine Geste der Höflichkeit zu sein. „Setzt euch." Rarroshs Stimme jagte Jolly einen angenehmen Schauer über den Rücken. Sie war tief und rau, aber trotzdem sanft. Er deutete auf den Stuhl der ihm gegenüberstand und Jolly setzte sich. „Jolanda..." sagte er. Nervös rutschte Jolly auf ihrem Platz herum und suchte Blickkontakt mit Suri. Diese lächelte sie aufmunternd an. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte und zu ihrer Erleichterung fuhr der alte Nix fort: „Wie du wahrscheinlich schon erraten hast, ist mein Name Rarrosh, auch Herr oder Meister der Schriften genannt. Aber eigentlich bin ich nur ein einfacher Bibliothekar." Jolly konnte sich nicht entscheiden, ob das bescheidene Lächeln, das seine Lippen umspielte, auf sein Gesicht passte oder nicht. „Das", er zeigte ausschweifend um sich, „ist mein Reich. Die Bibliothek von Teyloa." Jolly blickte erneut um sich, konnte aber keine Bücher oder ähnliches entdecken. Alles was sie sah, waren die Vorsprünge hoch über ihnen, in der gleißend weißen Kuppel. Sie sah wieder zu Rarrosh, anscheinend eine Spur zu verständnislos. „Ich sehe, du verstehst nicht", sagte er und lachte leise. „Folge mir." Er erhob sich und schwamm auf den ersten Balkon zu. Jolly wollte hinterher, aber Heweli, die neben ihr saß, hielt sie zurück. „Du musst warten", flüsterte sie, „Das gehört sich so." „Ihr müsst doch nicht warten!", schallte es von oben herunter. Jolly zuckte mit den Schultern und schloss sich Suri und Wani an, die sich dem alten Nix näherten. Erst jetzt fiel ihr auf, dass Gimbrani nicht anwesend war, sie machte sich allerdings keine weiteren Gedanken, sie hatte bestimmt auch noch anderes zu tun, als mit ihnen unterwegs zu sein.

Schnell waren sie beim ersten der Ringe angekommen und jetzt konnte Jolly erkennen, dass sich hinter einer etwa hüfthohen Brüstung ein Gang befand, der einmal um die Kuppel führte.    An seiner Rückwand befanden sich Regale, die vom Boden bis zur Unterseite des nächsten  Balkons reichten. In ihren standen Bücher. Abertausende von Büchen, die Buchrücken alle in verschiedenen  Weißtönen, von Perlweiß bis Creme. Erst jetzt bemerkte sie die Nixen, die vereinzelt auf den Rängen über ihnen schwammen und lasen. „Darf ich...?", fragte sie vorsichtig und deutete auf die Regale. „Selbstverständlich", sagte Rarrosh großzügig und zu Jollys Erstaunen deutete er eine Verbeugung an. Vorsichtig griff sie ein grauweißes Buch und schlug es behutsam auf. Die Seiten fühlten sich an wie gewöhnliches Papier und erinnerten Jolly an den Briefumschlag, der sie in all das hier hinein geritten hatte. 

Bermuda  *on hold*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt