„Schreiben. Oder so. Vielleicht bei Sara vorbeischauen. Aber erst duschen."

„Du weißt ja, wo du alles findest."

Sam verschwand in dem Teil der Wohnung, den er Büro nannte, und schloss die Tür. Ich verzog mich ins Bad. Das Wasser lief mir über die Augen und ich schloss sie, um das warme Gefühl des Wassers zu genießen, das sich seinen Weg über den Körper sucht. Blind tastete ich nach dem Duschgel und als ich die Augen öffnete, sah ich Tas Nummer auf meinem Unterarm. Mein Herz entschied, ich drehte das Wasser wieder ab und wickelte ein Handtuch um mich.

Das Telefon fand ich unter einigen Kartons. Nur mit dem Handtuch bekleidet setzte ich mich auf die Couch und tippte die Ziffern ein, die noch auf meinem Unterarm zu lesen waren. Das Telefon klingelte. Zweimal. Dreimal. Viermal. Ich konnte das Telefon vor mir sehen, ein schwarzes schnurloses, das in einem Raum in einer Wohnung irgendwo in Stuttgart einsam vor sich hin klingelte. Wie der Hall durch die leere Wohnung schallt. Und plötzlich nahm Tas ab.

„Tassino?"

„Ich stand unter der Dusche und habe diese Nummer auf meinem Unterarm entdeckt. Jetzt sitze ich nur mit einem Handtuch bekleidet auf der Couch und antworte auf eine schöne Stimme."

Tas schwieg einen Moment.

„Wie lange hast du dich nicht gewaschen, dass du die Nummer erst jetzt wieder siehst?"

Darauf konnte ich keine gute Antwort geben und entschied mich, zu lachen. Ich war erleichtert, als die Stimme am anderen Ende ebenso lachte.

„Hallo Tas. Wie geht's dir?"

„Hey Will. Gut geht's mir. Und selbst?"

„Das kannst du mir sagen, was hast du heute noch vor?"

„Ich muss in die Landesbibliothek, aber wenn du magst, kannst du mir gerne Gesellschaft leisten. Magst du?"

„Gerne."

„Und wie geht's dir?"

„Sehr gut."

„In einer Stunde am Haupteingang."

Ich sprang wieder unter die Dusche, sagte kurz Sam Bescheid und machte mich auf den Weg zur Bibliothek. Stuttgart kann zu Fuß groß sein. Doch nur zu Fuß kommt man zu den Orten, die Stuttgart ausmachen. Und deshalb gehe ich gerne zu Fuß.

Als ich Tas sah, dachte ich: Diese Frau zu treffen ist wie kiffen. Eigentlich weiß man, was auf einen zukommt, und trotzdem wird man jedes Mal überrascht. Das denke ich heute noch manchmal. Tas trug eine blaue Latzhose. Darunter ein gelbes Mickey-Maus-Shirt. Sie strahlte eine kindliche Naivität aus und ich denke, man kann nicht anders, als sie ins Herz zu schließen. Schüchtern trat ich an sie heran. Ich wusste nicht genau, wie ich sie begrüßen sollte. So als ob ich wieder 16 Jahre alt sei. Tas küsste wieder ihren Zeigefinger und drückte ihn auf meine Wange. Ich tat es ihr nach. Gemeinsam eroberten wir die Bibliothek.

Wie Friedhöfe strahlen Bibliotheken etwas aus, das dich dazu bringt, dich ruhig zu verhalten. Wir suchten uns einen leeren Tisch, legten unsere Sachen ab und schlenderten durch die Regale. Wir unterhielten uns und unterbrachen uns, wenn wir an einem guten Buch vorbeikamen. Während Tas mir erzählte, dass sie die Schule abgebrochen hatte, um auf die Julliard - das Musikkonservatorium in New York - zu gehen, zeigte sie auf eine Reihe Coelho-Bücher.

„Die sind gut. Besonders ‚Veronika beschließt zu sterben' und ‚Das Handbuch des Kriegers des Lichts'"

Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte weder das eine noch das andere gelesen. Dann erzählte sie mir, dass sie durch die Aufnahmeprüfung gerasselt war und sich jetzt hier als Ballettlehrerin mit verschiedenen Kursen durchschlug. Sie zeigt auf Richard Bachs ‚Illusionen'.

Das Leben ist ein Erdbeben und ich stehe neben dem TürrahmenWhere stories live. Discover now