Teil 17

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Auch Martin kam mit. Wir packten Essen für ein Abendpicknick ein und machten uns auf den Weg. Am Galgenäcker gab es nicht nur einen Spielplatz, sondern ein ganzes Areal an Bolz- und Spielplätzen. Die beiden Kleinen rannten schon mal hin, Martin und ich spazierten hinterher. Als ob wir stillschweigend ausgemacht hätten, im Freien nicht über meinen derzeitigen Job zu sprechen, redeten wir über Martin und Lena und Tabea. Mit Lena, die er fast jeden Tag sah, sprach er kaum. Doch mit Tabea telefonierte er oft. Meistens redete er mit ihr über Lena.

„Weißt du, eigentlich reden wir nur über Lena und mich. Doch manchmal kommen wir vom Thema ab. Und Tabea erzählt von sich. Weißt du, wenn ich an diesem Abend nicht gezwungen gewesen wäre, mit ihr zu reden, dann hätte ich gesagt, dieses Mädchen interessiert mich nicht. Aber so, ich habe sie gleich von einer interessanten Seite kennen gelernt."

Als wir dem Spielplatz näher kamen, sah ich jemanden trotz der sommerlichen Temperaturen in einem schwarzen Mantel auf der Bank sitzen. Martin sah ihn auch.

„Schau mal, ein Gothik. Komische Menschen."

Er sah verdattert aus, als ich auf Alex zuging und ihm die Hand schüttelte. Ich stellte die beiden einander vor. Alex sah nur kurz auf.

„Hallo Martin, Kippe?"

Martin und ich schüttelten gleichzeitig den Kopf und Alex steckte die Packung wieder ein.

„Lasst euch nieder."

Das taten wir.

„Was war der Inhalt eurer Konversation?"

Irgendetwas schien der junge Tod auszustrahlen, denn Martin fing von sich aus an zu erzählen. Er erzählte ihm dasselbe wie mir ein paar Minuten zuvor.

„Und jetzt ..."

„Ist deine Zuneigung für letzteres Mädel ähnlich intensiv wie zu ersterem."

Martin sah Alex etwas verwirrt an, dann verstand er.

„Ja, so ist es."

Alex zündete sich eine Zigarette an. Emma und Violet spielten vor uns auf dem Spielplatz.

„Als ich mich in den Jahren befand, die du jetzt erfährst, existierte dort, wo ich meine jungen Jahre verlebte, ein Amüsierlokal mit dem Namen ‚Nina und Nino'. Jedes Wochenende verweilte ich dort. Du kennst solche Etablissements sicherlich. Tanzfläche, Musik und zahlreiche Damen. Ich bewegte mich meist allein auf dem Parkett. Weil niemand mich kannte, musste ich auch niemandes Blicke oder Gedanken fürchten. Und plötzlich tanzte ich neben diesem Fräulein, dann bei diesem Fräulein, dann mit diesem Fräulein. Augenblicklich drückte sie mich gegen die Wand und presste ihre Lippen auf die meinen. Entsinne ich mich recht, war dies mein erster Zungenkuss. Wir verbrachten den Rest des Abends zweisam. Wir äußerten kein Wort. Zuletzt erkundigte sie sich, ob es mir gefallen hätte, und ich bestätigte dies. Sie sah mich an, aber ich stand da und schwieg. Da wandte sie sich ab und spazierte davon. Ich scholt mich noch Wochen später, dass wir, abgesehen von einem Quantum Speichelflüssigkeit, nichts ausgetauscht hatten. Seitdem, wenn ich einer Dame begegne und sie mich fesselt, im übertragenem Sinn, erinnere ich mich an jenes Fräulein, dessen Namen ich nie erfahren habe und ich blicke das weibliche Geschöpf vor mir an und erkundige mich nach ihrem Namen."

Alex zog an seiner Zigarette. Martin und ich blickten uns schweigend an.

„Onkel Will! Wann machen wir unser Picknick?"

Ich stand auf und Martin folgte mir.

„Alex, wir wollen noch ein Abendpicknick machen. Möchtest du mitessen?"

Alex sah langsam hoch und schüttelte den Kopf. Dann zündete er sich eine neue Zigarette an. Wir waren für ihn schon nicht mehr da.

„Dieser Alex ist ein komischer Typ. Und wie der redet. "

Ich nickte.

„Warum hat er uns diese Geschichte erzählt? Hat das irgendwas mit meinen Problemen zu tun?"

„Keine Ahnung. Schon seltsam."

Wir fanden eine schöne Stelle im Gras und breiteten unsere Decke aus. Das Essen war einfach, aber schmeckte gut. Alles in allem war es wie ein kleiner Familienurlaub. Und ich bemerkte, dass ich an Familie dachte, ohne dass es mich schauderte.

Um vier Uhr lag ich wach im Bett. Ich starrte mit offenen Augen in die Dunkelheit und hatte eine Idee. Martin sagte, er habe zu wenig Erfahrung dafür. Vielleicht hatte er gar nicht so Unrecht. Ich knipste das Licht an und setzte mich an den Laptop. Der Cursor auf der leeren Seite blinkte drohend. Aber diesmal wusste ich, was ich schreiben wollte.

Diesmal, bei meinem dritten Porno, wollte ich auf keine schwammige Phantasie zurückgreifen, sondern auf meine eigene bunt gemischte Erfahrung. Ich würde mein Erlebnis mit Maja „aufarbeiten". Bis um sechs hatte ich 13 Seiten. Ich ging, um die Kinder zu wecken und das Frühstück zu machen. Kurz darauf saß ich wieder am Rechner und schrieb weiter. Ich musste die Geschichte morgen abgeben. Je länger ich schrieb, desto mehr Zweifel schlichen sich in meine Motivation. War es wirklich so eine gute Idee? Im Grunde war es gar nicht wichtig, ob es gut war. Hauptsache, ich konnte dem kleinen Drachen etwas in seinen Schlund schieben. Also schrieb ich, bis die Kinder von der Schule kamen. Während diese dann wieder ihre Hausaufgaben machten, feilte ich weiter an der Geschichte. Irgendwann nachmittags klopfte es.

„Ja?"

„Ballett?"

Och je, heute ist Mittwoch, ich musste die beiden Mädchen zum Ballett bringen, Wie hieß die Lehrerin? Tas! Fast so wie das Monster aus den Looney Tunes. Also klappte ich meinen Rechner zu und brachte die beiden wieder zur Ballettschule. Tas öffnete die Tür.

„Hallo Tas."

Sie hatte ein Lächeln, das mich an das von Maja erinnerte.

„Hallo Will."

Woher kannte sie meinen Namen?

„Woher kennst du meinen Namen?"

Ich hatte sie ganz unbewusst geduzt, es war keine Absicht gewesen. Doch sie reagierte und duzte genauso.

„Emma hat ihn mir gesagt, als sie mir letzte Woche von dir erzählt hat."

„Emma ist ein redseliges Kind."

„Ja, das ist sie."

Schweigen.

„Will, was machst du heute Abend?"

Oha? Sollte das ein Date werden? Und die Frau machte den ersten Schritt? Ich wollte schon zusagen, da fiel mir der Porno ein.

„Ich... bin schon verplant. Aber was ist mit morgen Abend?"

„Gerne. Sollen wir uns hier treffen?"

Später, als ich die Kinder wieder abholte, zwinkerte sie mir zu. Dieses Zwinkern und jegliche Schreibblockade oder gar die Zweifel waren überwunden. Manchmal saß ich minutenlang da und dachte nach. Und jedes Mal, wenn ich das tat, schweifte ich irgendwann ab und dachte an Tas. Und dann wieder an Maja. Und dadurch wieder an meine Geschichte. Ein schöner Kreislauf.

Bis um zwei Uhr in der Früh hieb ich in die Tasten. Jetzt war ich 22 Stunden wach und todmüde. Morgen, also heute, ging es um sechs wieder raus. Während die Seiten aus dem Drucker stotterten, machte ich mich bettfertig. Ich legte die ausgedruckten Seiten auf den geschlossenen Laptop und ging mit gemischten Gefühlen schlafen. Einerseits wusste ich nicht, wie Bob auf die Geschichte reagieren würde. Andererseits war es mir auch egal. Hauptsache, er sah, dass ich etwas geschrieben hatte. Doch was würde passieren, wenn es ihm wieder nicht gefallen würde? Dann sollte er sich ‚Götz von Berlichingen'. Ich drehte mich um, dachte an die Ballettlehrerin und schlief ein.


Das Leben ist ein Erdbeben und ich stehe neben dem TürrahmenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt