Teil 22

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Früher war mein Zimmer neben der Treppe und Saras dahinter. Sie musste immer an meinem vorbei, um herunter zu gehen. Da unser Haus schon alt war, knarrte so ziemlich jede Diele der Treppe. Mit acht kannte ich alle Dielen, die ich benutzen konnte, ohne laut zu sein. Doch Sara lief einfach darüber und weckte mich so jeden Morgen für die Schule. Eines Samstagmorgens war sie früh aufgestanden, weil sie mit ihrer Klasse einen Ausflug machte, und ich wurde wieder von dem Knarren wach. Also ging ich herunter in die Küche.

„Warum bist du schon wach?"

Mit den Fäusten die Augen reibend antwortete ich ihr.

„Du bist knarrend an meiner Tür vorbeigelaufen."

„Heute ist Samstag. Ich muss zum Ausflug. Du kannst weiterschlafen."

Ich nickte und tapste zurück in mein Bett.

Ein paar Stunden später erschien ich wieder in der Küche und machte mir mein Frühstück, während Sara das

Mittagessen vorbereitete. Der Zettel am Kühlschrank war verschwunden, das Fernsehkabel und die Batterien der Fernbedienung wieder da. Sara verlor nie ein Wort darüber, auch nicht wegen meiner Spuren im Flur.

„Was machst du heute?"

Ich erschrak. Ich musste bis morgen den Porno fertig haben! Das hatte ich ganz verdrängt!

„Ich muss meine Wäsche waschen gehen. Und unbedingt schreiben, morgen muss ich die Geschichte abgeben. Das wird den Tag schon ausfüllen. Vielleicht treffe ich mich mit Sam."

Ich hätte bei der Erwähnung von Sam ein Augenrollen erwartet, doch stattdessen drehte Sara sich um und lehnte sich an die Arbeitsplatte in der Küche.

„Du kannst deine Wäsche hier waschen. Ich hab ein bisschen übertrieben, was die Regeln angeht."

Ich war erstaunt. Aber das kam mir Recht. Ich musste unbedingt viel schreiben. Ich bedankte mich, stellte mein Geschirr in die Maschine und kümmerte mich um meine Wäsche. Danach verzog ich mich in meinem Zimmer.

Ich las mir durch, was ich bis jetzt geschrieben hatte, und hämmerte dann in die Tasten. Feilte am Text, sprach ungefährliche Passagen laut vor mich hin, löschte ganze Seiten, um sie neu zu schreiben, riss das Fenster auf, um frische Luft zu bekommen. Kurz gesagt, ich arbeitete wie ein Wilder. Unterbrochen wurde ich vom Telefon. Sam.

„Goofy, kannssu vorbeikommen? Mir geht's scheiße."

„Was ist denn los?"

„Hab Liebeskummer."

Liebeskummer? Sam?!

Mich wunderte, dass dieses Wort in Bezug auf seine eigene Person überhaupt in seinem Wortschatz existierte.

„Es is wegen Valerie."

Er wollte gerade ausholen und erzählen, doch ich bremste ihn.

„Sam, tut mir leid, ich habe gerade keine Zeit. Ich muss unbedingt die Geschichte für Bob Tail fertig machen."

„Kannssu das nicht morgen machen? Brauch dich echt!"

„Sorry, morgen muss ich das abgeben. Ich melde mich, sobald ich kann, in Ordnung?"

Sam schniefte.

„Okay. Ruf an, wann du willst."

„Okay."

„Auch mitten in der Nacht!"

„Auch mitten in der Nacht."

„Sobald du fertig bist?"

„Sobald ich fertig bin, stürze ich ans Telefon und rufe dich an. Ciao Sam."

Schweigen.

„Aber ehrlich!"

„Ja. Vertrau mir."

Ich legte auf. Sara stand in der Tür zur Küche.

„Bob Tail? Ist das dein Chef?"

„Ja, mein Verleger."

„Komischer Name. Auch Amerikaner?"

„Keine Ahnung. Ich glaube eher nicht. Ich werde bei Gelegenheit mal fragen."

„Will, ich hab habe das Abendessen auf dem Herd und jemand müsste Emma und Violet vom Ballett abholen. Kannst du kurz aufs Essen aufpassen?"

Tas!

„Ich kann die Beiden kurz holen!"

„Wenn ihr zurück seid, ist das Essen auf dem Tisch."

Es war wie eine Familie. Ihr Kopf verschwand hinter der Tür, nur um gleich darauf wieder auftauchen zu können.

„Ich muss noch üben. Danke."

Ich lief los zum Balletthaus und traf auf Tas.

„Will. Ich dachte schon, ich sehe dich heute nicht mehr. Wie geht's dir?"

„Gut, etwas gestresst wegen der Arbeit, aber sonst gut. Und dir?"

„Gut, gut. Warum hast du dich nicht gemeldet?"

Jetzt, als ich wieder in diese Augen sah, fragte ich mich das auch. Wie konnte ich mich wegen geschriebener Worte von dieser Frau abhalten lassen.

„Ich hatte deine Nummer verloren. Es tut mir leid."

„Hm."

Sie zog einen Stift hervor und schrieb die Zahlen ihrer Telefonnummer in richtiger Reihenfolge auf die Unterseite meines Unterarms.

„Den wirst du bestimmt nicht verlieren. Jetzt musst du mich anrufen, bevor du dich da wäschst. Versprochen?"

Wie könnte ich ihr etwas abschlagen?

„Versprochen!"

Mit einem zauberhaften Lächeln verabschiedete sie sich. Auf dem ganzen Weg vom Balletthaus nach Hause dachte ich an dieses Lächeln und prägte es mir ein, damit ich es nicht wieder vergaß.

Ich schrieb weiter und es wurde immer dunkler um mich herum. Nachts um zwei stand ich auf und streckte mich. Ich zog meine Schuhe an, ging einmal um den Block, dann schrieb ich weiter. Manchmal stockte ich, dann ging für eine halbe Stunde nichts. In diesen Momenten fand ich Millionen Sachen, die spannender waren als das Schreiben. Ich quälte mich durch Wortschluchten und Buchstabenberge, bis ich wieder zum Fluss kam und die Wörter aus mir sprudelten. Dann sprang ich auf und tanzte im Zimmer und sang leise vor mich hin. In ‚Passwort: Swordfish' gibt es diese eine Szene: Wenn der Hacker diesen Wurm programmiert und es manchmal nicht klappt und er sich aufregt und dann als es klappt, hüpft er in seinem Raum herum und freut sich wie ein kleiner Junge an Weihnachten. Genauso fühlte ich mich.


Das Leben ist ein Erdbeben und ich stehe neben dem TürrahmenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt