„Keine Angst, Schwesterherz. Ich bin da und passe auf dich auf."

Sie bedachte mich mit einem bösen Blick und klopfte.

Lukas hatte sturmfrei. Lukas hatte viel Alkohol. Und Lukas war cool. Ich war der Jüngste auf der Party, aber das fiel keinem auf. Entweder war die Aufmerksamkeit dem jeweils anderen Geschlecht gewidmet oder dem Alkohol. Und so stand ich etwas verloren in der Gegend, bis eine Gruppe von Jungen mich zu sich rief. Dort saß ich dann, zwischen sechs Jungs auf einer Couch, alle vier oder fünf Jahre älter als ich, die von Titten, Ärschen, Alk, Mukke, Gras und Autos redeten. Manchmal fragten sie mich was.

„Willi, hast du schon mal ein Döschen geknackt?"

oder

„Will, hast du ein bisschen Gras dabei?"

Ich verstand ihre Fragen meist nicht und so antwortete ich irgendetwas und sie lachten. Ich war erleichtert und dachte, ich gehörte dazu. Heute weiß ich, dass sie über mich lachten, nicht mit mir. Irgendwann verschwanden sie und wieder saß ich alleine da. Kurz darauf gesellte sich eine Gruppe Mädchen zu mir, aber eher wegen des Sofas als wegen mir. Sie redeten über Typen, Tante Rosa, Diäten und noch mehr Typen. Maja, die beste Freundin meiner Schwester, saß neben mir. Meine Schwester selbst sah ich in der Küche mit Lukas reden. Maja redete mit mir, als wäre ich genauso alt wie sie, und das machte mich stolz. Ich hatte sie sehr gern. Ich erzählte ihr von den Jungs, die vorher bei mir gesessen hatten, und über was sie geredet hatten. Ich musste Maja versprechen, nie so zu werden wie sie. Dann fragte ich sie, was es bedeuten würde, ein Döschen zu knacken. Sie sah mich ernst an.

„So nennt man das, wenn man mit jemandem schläft."

Ich sagte nur „aha" und wurde dann rot. Sie lachte auf und wuschelte mir durch die Haare.

„Keine Angst, das braucht dir nicht peinlich zu sein. Bei mir braucht dir gar nichts peinlich zu sein."

Das konnte ich nicht ganz glauben, doch bevor ich etwas antworten konnte, stand meine Schwester plötzlich hinter Maja. Sie flüsterte ihr etwas ins Ohr und Maja nickte.

„Klar, ich passe auf. Viel Spaß."

Sie legte den Arm um mich und drückte mich an sich, während sie meiner Schwester zuwinkte und diese mit Lukas verschwand.

„Wohin geht Sara?"

„Sie geht mit Lukas spazieren. Und ich soll auf dich aufpassen."

„Auf mich braucht keiner aufpassen. Ich tu niemandem etwas."

„Sie hatte eher Angst, dass eine von denen dir was tut."

Sie nickte zu den Mädchen, die bei uns saßen.

Ich wunderte mich, was diese Mädchen mir antun sollten, aber ich wollte nicht wieder ahnungslos dastehen und schwieg. Doch Maja musste gewusst haben, wie ahnungslos ich war, denn sie lachte wieder und drückte mich näher an sich.

„Du bist süß. Ich mag dich."

Das wusste ich. Ein Jahr zuvor war Maja bei uns zu Besuch und wir haben Filme geschaut. Filme, für die ich eigentlich noch zu jung war. Wir saßen zu dritt auf dem Sofa, nachdem meine Schwester entnervt klein beigegeben hatte und mich mitschauen ließ. Irgendwann früh am Morgen schlief Sara ein. Ihr Kopf fiel auf die Schulter von Maja, die in der Mitte saß. Wir stellten den Fernseher etwas leiser, damit Sara nicht aufwachte. Ich weiß nicht mehr, welchen Film wir gesehen hatten, jedenfalls war darin irgendeine Bettszene. Ich mit meinen 12 Jahren starrte gebannt auf den Fernseher. Eigentlich auf den weiblichen Körper, den ich da in der Flimmerkiste sah.

„Dir gefällt, was du siehst, hm?"

Ich sah Maja an, schloss den Mund und schüttelte den Kopf.

Das Leben ist ein Erdbeben und ich stehe neben dem TürrahmenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt