Remar #18

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Ich wusste, dass es moralisch sehr verwerflich war, jemanden zu sich zu bestellen, dem man mehr als deutlich gesagt und gezeigt hatte, wie wenig er einem bedeutet. Und dennoch stand er jetzt vor meiner Türe und ich kam mir schlecht vor. Ich wusste, wie ich wirken musste, mit dem zerknitterten, zum Teil aus der Hose hängenden Hemd, der lockeren Tweed Hose und dem Weinglas in der Hand. Er trat schweigend ein und schloss die Türe. Er machte sich nicht einmal die Mühe seine Schuhe oder den Mantel auszuziehen, geschweige denn den lauernden, kühlen Blick abzulegen, was ich ihm nicht verübeln konnte. Unter seiner Feindseligkeit, erkannte ich die Vorsicht und die Angst, wieder verletzt zu werden. Aber ich hatte ihn nicht gebeten vorbei zu kommen, weil es mir um ihn ging. "Was wollen Sie?" Das siezen störte mich mehr, als ich gedacht hätte. "Lass diesen Schwachsinn. Es passt nicht zu dir.", sagte ich mit einer wegwerfenden Handbewegung. Er erwiderte bloß meinen Blick und ich wusste, dass er gehen würde. Einfach so, ohne zu zögern. Ich wich diesem Blick aus. "Ich wusste nicht, wen ich sonst hätte anrufen können..." Meine Stimme klang matt. "Was ist mit Ezra?" Er spuckte mir seinen Namen vor die Füße. "Du warst der Erste, der mir eingefallen ist." Ich sah ihm wieder in die Augen, aber er blickte mir bloß kühlt entgegen. "Wieso bin ich wirklich hier?" Man merkte ihm die Ungeduld an. "Mein Vater..." Meine Stimme brach, ich musste an all die Gedanken denken, die mir seit Veronicas letztem Anruf durch den Kopf gingen. Patroklos wartete geduldig, aber man spürte die Unruhe, die er abstrahlte nur zu deutlich. "Er ist gestern gestorben.", brachte ich mühsam hervor. Die Worte klangen unwirklich. Ich hatte es ausgesprochen... Es war wahr. Ich spürte Patroklos geschockten Blick auf mir. "Remar, das..." Er brach fassungslos ab. Plötzlich schlangen sich seine Arme um mich. Sein Geruch umfing mich, seine Körperwärme, die Kälte, die sich immer noch von draußen in seinem Mantel und seinen Haaren verfangen hatte. Ich presste mich gegen ihn, er umarmte mich so stark, dass meine Wirbelsäule knackte und wusste, dass er im Moment alles war, das mich noch auf den Beinen hielt. Ich lehnte meine Stirn an seine Schulter und mein Kopf passte perfekt an seinen Hals. Als er mich losließ, aber weiterhin sachte an den Schultern fest hielt, sah er mich anders an, als in dem Moment, als ich ihm die Tür geöffnet hatte. Weich. "Wann hast du es erfahren?" Auch seine Stimme klang sorgenvoll. Ich wich seinen Augen aus und richtete sie auf seine neue Frisur. "Heute Vormittag." "Trinkst du seit dem?", fragte er gerade heraus, aber immer noch sanft. Kurz schüttelte ich den Kopf. "Das ist mein zweites Glas." Ich hob es, als wolle ich ihm zuprosten. "Gut..." Er drückte mich sachte auf die Bettkante. "Ich hole mir auch ein Glas und dann sehen wir weiter." "Ganz links, oben im Schrank.", erklärte ich ihm wo die Gläser waren. Er nickte und verschwand. Das Klappern und auf und zu Schnappen der Schranktüren, verriet mir, dass mein Rat nicht sehr hilfreich gewesen war. Er kam mit der Weinflasche und einem Glas aus der Küche wieder und ließ sich zu mir auf die Matratze sinken. Er legte seine Stirn in Falten, während er einschenkte. "Wieso bist du nicht bei deiner Mutter?",fragte er vorsichtig, ohne mich anzusehen und stellte die Flasche auf den Tisch. Mein Seufzen klang resigniert. "Vermutlich, weil ich das jetzt nicht auch noch ertragen könnte.", sagte ich nach einer Weile und trank. Ich spürte, wie sich der Wein in meinen Gedanken breit machte, sie auseinander zupfte und sinnlos erneut zusammen fügte. "Willst du darüber reden?" Seine Augen waren hell und besorgt. Als ich den Kopf schüttelte wurde mir schwindelig. Vielleicht hatte ich auch schon mehr getrunken... Er nickte nur kurz. Schweigen breitete sich aus und ich sah wie sich dichter Nebel von außen gegen die Fensterscheiben drückte. "Trinkst du oft?" Ich fragte mich, ob er diese Fragen nur stellte, weil ihm das Schweigen unangenehm war. Einen Moment schwieg ich und sah in die rote Flüssigkeit in meinem Glas. Sie schwappte hin und her, meine Finger bebten ein bisschen. "Ich habe schon einige Erfahrungen mit Alkohol gemacht.", antwortete ich bloß vage, aber er ließ sich nicht anmerken, ob ihn das störte. Er sah einen Augenblick an, lächelte scheu und strich mit seinen Fingerspitzen über die freie Stelle an meinem Ringfinger. Eine kribbelnde Welle wurde von seiner Haut unter meine gesendet. "Weshalb hast du ihn abgelegt?" Mein ganzer Körper brannte erwartungsvoll auf die Berührung. "Es war..." Wieso hatte ich eigentlich tatsächlich den Ring abgelegt? Ich wollte meine Hand wegziehen, das Gefühl haben wieder mir selbst zu gehören. Gleichzeitig drückte sich der Drang ihm durch die Haare zu fahren, ihm so viel näher als jetzt zu kommen, gegen meine Brust. Schnell hob ich mein Glas an meine Lippen. Ich wusste schon nicht einmal mehr, was ich dachte, geschweige denn fühlte. Vielleicht sollte ich ihn anfahren. Ihm sagen, dass er auf keine vorwitzigen Ideen kommen sollte, dass ich ihn vielleicht wegen ihm abgelegt hatte. Aber stimmte das? Ich wusste es ja nicht einmal mehr selbst. "Es kam mir vor, als sei der richtige Zeitpunkt." Er nickte nachdenklich, ohne seinen Blick von meinem Finger zu wenden. Vorsichtig zog ich ihn weg. "Remar... Hast du...?" Kurz stockte er. Mein Körper spannte sich an. Etwas lag in der Luft, das Achtung gebot. Dann sah er auf und blickte sachte lächelnd in mein Gesicht. "Hast du schon was gegessen?" Wir beide wussten, dass er das nicht hatte sagen wollen, aber ich ließ mir nichts anmerken, sondern strich mir nur durch die Haare in meinem Nacken. "Ich hab keinen Hunger." Er stand auf und stellte sein Glas ab. Mir fiel auf, dass er noch kein bisschen von dem Wein getrunken hatte. "Du musst etwas essen. Ich mach uns Brote." Ich seufzte resigniert. "Kann ich dir dann wenigstens helfen?" Lag es am Wein, dass es sich so natürlich anfühlte mich mit ihm zu unterhalten? "Du gehst heute nirgends mehr hin. Bleib sitzen." Damit verschwand er erneut in der Küche. Als ich mir sicher war, dass er nicht noch einmal kam, stand ich schnell auf und schaltete The Police ein. Es war merkwürdig, ein anderes atmendes Wesen in meiner Wohnung zu haben, den Wein zu teilen und Gespräche zu führen. Und ich spürte schon beinahe nicht mehr die Leere, die seitdem Veronica angerufen hatte eingetreten war. Lag es an ihm? Vermutlich mehr am Wein.

Er kam mit einem Schneidebrett aus der Küche und schaltete das Licht aus. "Du musst öfter einkaufen." Seine Schritte klangen dumpf und mein Bett quietschte leise, als er sich wieder darauf sinken ließ. "Ich hab noch Salami, Brot, Käse und paar Tomaten gefunden.", sagte er, aber es klang entschuldigend. Kurz sah er auf. "Du hörst Police?" Mit schon vollem Mund nickte ich. "Ist das nicht..." "...pietätlos? Wegen meines Vaters?" Er strich sich aus Gewohnheit eine Strähne, die jetzt zu kurz dafür war hinter sein Ohr. "Du meinst mir sollte es näher gehen?" Er wich meinem Blick aus. "Es war bloß ein kurzer Gedanke..." Schon wieder klang es wie eine Entschuldigung. Ich drückte ihm ohne nachzudenken, das Glas in die Hand. "Trink. Dann entspannst du dich." "Remar, ich meine doch bloß, dass Alkohol vielleicht nicht..." "Erzähl mir nicht, wie ich damit umgehen soll!" Er zuckte erschrocken über meinen scharfen Ton zusammen und sah mich mit großen Augen an. Dann hob er zögernd das Glas an seine Lippen. Es sah aus wie ein Friedensangebot. Ich seufzte und schob mir eine Tomate zwischen die Lippen. Er trank das ganze Glas leer und schenkte sich noch einmal nach. "Trink langsamer, wenn du nicht viel verträgst.", riet ich ihm. Er sah einen Augenblick aus, als wolle er mich ignorieren, stellte dann aber das Glas ab und griff nach einer Brotscheibe. "Hast du schon einmal eine geliebte Person verloren?", fragte ich vorsichtig. Er schluckte. "Nur als ich noch ganz jung war mein Großvater. Ich erinnere mich kaum daran. Also streng genommen nein." Er sah mich an, als überlege er, ob er mich fragen sollte, wandte dann aber seine Augen ab und aß schweigend weiter. Einen Augenblick betrachtete ich ihn. Weshalb war er die erste Person gewesen, die ich hatte anrufen wollen?

Another school romance.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt