Patroklos #9

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"Ci vediamo." Die Worte klangen ein wenig eingerostet und ich hoffte, dass die Klasse mit nicht anmerkte wie wenig Lust ich hatte, hier zu sein. Schnell packte ich meine Sachen zusammen und zuckte den Schlüssel fürs Klassenzimmer. Ein paar verabschiedeten sich von mir und ich lächelte tapfer. Es war deprimierend gerade einmal wieder vier Schulstunden hier zu sein und sich schon wieder vollkommen im Alltag fühlte, wenn man doch so lange brauchte, bis man begriff dass Ferien waren. Seufzend schloss ich das Klassenzimmer ab und ging Richtung Lehrerzimmer. Zwar hatte ich für heute eigentlich schon aus, nach zwei Doppelstunden Italienisch, aber ich wollte ihn sehen. Seit Neujahr hatte ich nicht einmal von ihm gehört und ich hatte auch nicht aufdringlich wirken wollen, wie er mich wahrscheinlich sowieso schon empfand. Vielleicht lag es aber auch daran, wie er mich nach dem letzten Kuss angesehen hatte. Mir leuchtenden Augen und Sanftheit in seinen Gesichtszügen. Es hatte so anders ausgesehen, als sonst. Und vielleicht hatte ich dieses letzte Bild nicht wieder von seiner reservierten, kalten Art ersetzen lassen. Aber ich musste ihn heute sehen. Ich war mir nicht einmal sicher, dass er heute Unterricht hatte, aber alleine die Möglichkeit ihm so nahe zu sein und ihn nicht wenigstens zu sehen, machte mich verrückt. Machte mich das besessen? Ich wollte gar nicht darüber nachdenken, wie irre ich vielleicht war. Als ich daran dachte, wie leer und friedlich die Gänge an Weihnachten waren, glichen sie jetzt einem Schlachtfeld. Weder meine Schritte
hallten von den Wänden wider, noch war etwas von der gedämpften Ruhe zu merken, die draußen der Schnee über alles brachte. Etwas flatterte unruhig in meiner Brust. Wie würde er reagieren, wenn er mich sah? Sollte ich ihn in der Schule wieder siezen? Würde es je wieder ein Date geben? Diese Fragen waren die letzten Tage der Ferien unaufhaltsam, unaufhörlich durch meinen Kopf gegangen. alles schien sich nur noch um ihn zu drehen. Und er verschwendete vermutlich nicht einen Gedanken an mich... Die Türe zum Lehrerzimmer schwang auf. Ich ignorierte die Schüler, die mit großen Augen darauf warteten, dass ein Lehrer ihnen Beachtung schenkte und sich ihren Problemen annahm. Meine Augen huschten über meine Kollegen. Mr. Stieß. Dr. Lübke. Ich sah ihn nirgends. Aber ich wusste ja jetzt auch schließlich, wo sein Platz war. Ich schlenderte auf meinen Platz zu, vielleicht lag dort tatsächlich etwas, das ich noch brauchte oder vergessen hatte. Dann wäre es nicht vollkommen umsonst gewesen wieder hierher zu kommen. Ich musste Chloe noch dazu überreden mir seinen Stundenplan zu geben. Dann könnte ich sie auch gleich nach seinem Vornamen und Geburtsdatum fragen. Sein Platz war leer und etwas zog sich in mir zusammen. Wie hatte ich mich nur einer so naiven Hoffnung hingeben können? Nicht bloß, dass ich davon ausgegangen war, er sei da, sondern auch die Vorstellung davon. Dass er mich anlächeln würde, sich freuen würde mich zu sehen und mich vielleicht auch nicht aus dem Kopf bekommen und vermisst hatte. Das war naiv. Ich sammelte ein paar liegengebliebene Klassenarbeiten ein, von schülern, die krank waren und eigentlich besser im Lehrerzimmer aufgehoben wären und drehte mich um. Ich sollte schnell verschwinden, bevor mich jemand etwas fragte oder in ein Gespräch verwickelte. Dafür hatte ich einen Kopf. Nicht bloß, weil er nicht da war. Auch weil ich mich über mich selbst ärgerte. Seit wann brachte mich so etwas, so aus der Fassung? Es war eine Kleinigkeit und... "Ezra! Das was Sie als Lehrer nicht auf die Reihe bekommen würde, muss erst noch erfunden werden." Ich hielt inne. Das war seine Stimme. Man hörte das glückliche Lächeln daraus und er sprach jemanden beim Vornamen an. Langsam drehte ich mich um. Er unterhielt sich mit Mr. Adams und lachte... Ich hatte ihn noch nie wirklich lachen sehen... Etwas schrumpfte in meiner Brust zusammen und ich hatte einen bitteren Geschmack im Mund. Wut stieg in mir auf. Wieso behandelte er Ezra Adams so herzlich und mich bloß mit Herablassung und Verachtung bedachte? Wieso hatte dieser Mann das Privileg und nicht ich?! Bevor ich wusste, was ich tat, schlängelte ich mich durch die anderen herum stehenden und sitzenden Lehrer auf ihn zu. In dem Augenblick, als ich vor ihnen stand, lachte er und ich bemerkte die Lachfältchen um seine Augen, das Leuchten, das über seine Gesichtszüge huschte und die Strähnen, die sich aus seiner Frisur gelöst hatten. Ich griff wortlos nach ihrem Handgelenk und schleifte ihn hinter mir zu. "Hey! Mister Clark!" Wenigstens erinnerte er sich noch an meinen Namen. Er bekam es erst hin, sein Handgelenk loszureißen, als die Türe des leeren Kopierraums hinter mir zuklackte. "Was war das denn?" Seine Stimme klang aufgebrachter und empörter als sonst. Es erfüllte mich mit grimmiger Genugtuung, dass ich ihn aus seiner glatten, perfekten Hülle gelockt hatte. Er strich den Ärmel seines Jackett an dem ich ihn festgehalten hatte und der hochgerutsch war glatt. "Was wollen Sie?" Seine Stimme klang emotionslos und auch sein Blick, auf dem Schlüssel mit dem ich die Türe zeigte keinerlei Regung. Ich ließ ihn in die hintere Tasche meines Hose gleiten imd sah ihn offen an. Er verschränkte die Arme vor seiner Brust. Die Situation schien absurd. Wir standen uns in einem zwielichtigen, schmalen Raum gegenüber in dem es nach Druckerschwärze und Papier roch, umgeben von vor sich hin blinkenden und summenden Maschinen. Er sah mich erwartungsvoll an, als rechne er tatsächlich noch mit einer Antwort. "Seit wann, lässt du dich von irgendjemand beim Vornamen nennen?" Meine Stimme klang schroffer als beabsichtigt. "Sind Sie eifersüchtig?" Würde Verachtung als Mitleid gelten, wäre er einer der mitfühlendsten Menschen, die jemals auf dieser Erde gewandelt waren. Mir wurde heiß, als plötzlich diese neue Möglichkeit zwischen uns in der Luft hing. War ich eifersüchtig? Aber wie könnte ich? Ich kannte ihn ja nicht einmal... "Andere Männer würden sich einen Finger abschneiden, damit ich sie nur beachte!" Sein Blick war hart. Er erinnerte mich an Stein und nirgends war mehr die Sanftheit zu entdecken, die irgendwann einmal darin gelegen hatte. Dafür erkannte man einen Zug um seinen Mund, den man mit keinem anderen Wort als abstoßend beschreiben konnte. Er fand es abstoßend wie ich über mich redete und doch konnte ich nicht einfach meinen Mund halten. "Und su siehst mich mit nichts anderem, als dieser Verachtung in seinen Augen an." Bloß in seinen Augen, war noch eine liebenswürdige Untertreibung. Auf seinem ganzen Gesicht zeichnete sich die Abscheu ab. Einen Moment hasste ich ihn dafür, dass er es hinbekam mich so fühlen zu lassen. So wertlos und klein. "Dann verdienen Sie es sich, nicht mehr verachtenswert zu sein.", meinte er nach einer winzigen Pause bloß und zog einen klimpernden Schlüsselbund aus der Hosentasche. Er konnte mich gar nicht so verachten, wenn er es so lange in diesem engen Raum mit mir ausgehalten hatte, obwohl er sie Schlüssel gehabt hatte. Die Möglichkeit, dass er einfach neugierig gewesen war, ignorierte ich gefließentlich. Der Schlüssel steckte schon im Schloss, als ich nach seinem Arm griff. Ich sah seinen überraschten Blick, als ich ihn zu mir umdrehte und wir plötzlich fielen. Er landete auf mir und einen Moment drehte sich das gesamte Universum um unsere Lippen, die miteinander verschmolzen. Er bekam es hin, sich wenig elegant von mir loszureißen und taumelnd aufzustehen. Ich rappelte mich auf. "Sogar das Schicksal will, dass du mich nicht mehr verachtest." Ich bekam das Grinsen nicht von meinen Lippen. Dass diese kleine Berührung alles in meiner Brust zum Wallen brachte. Er blitzte mich wütend an. "So geht das aber nicht. Wie wäre es mal charmant und weniger nervig, als dieses..." Er deutete auf alles an mir. "...selbstverliebte, überfallende und anstrengende...?" Er fand anscheinend keine Worte, um meine negativen Eigenschaften, die er bloß an mir sah zusammenzufassen und das sprießende Gefühl in meiner Brust schrumpfte auf eine deprimierende Größe. Mit einem verärgerten Schnauben drehte er sich um, schloss auf und ließ mich in dem kleinen Raum zurück, dessen Wände plötzlich noch grauer und Tröster wirkten.

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Tut mir leid, dass so lange nichts kam. Aber die Tatsache, dass ich sowohl gerne lese als auch schreibe, sind sich aus mehreren Gründen in den Weg gekommen.

Another school romance.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt