Patroklos #5

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Er sah mich während er aß nicht einmal noch an. Hatte er ein schlechtes Gewissen, weil er mich so abgewiesen hatte? Zwar bezweifelte ich es, aber schließlich stirbt die Hoffnung bekanntermaßen zuletzt. "Ich hab übrigens dein Auto geholt." Er sah auf und erwiderte meinen Blick kurz verstreut, bevor er sich wieder fing. "Haben Sie das?" Er seufzte. "Ich werde nachher meinen Vater anrufen und fragen, ob sie schon gegangen sind." Ich fasst es immer noch nicht, dass er in die Schule geflohen war, weil seine Eltern mit ihm hatten Weihnachten verbringen wollen. "Ist zwischen dir und deinen Eltern irgendetwas vorgefallen?", fragte ich vorsichtig die erste Vermutung, die es erklären könnte. Er hob den Kopf und blitzte mich verärgert an. "Wie kommen Sie darauf?" Das war weder ein Ja noch ein Nein. "Nur weil du Weihnachten nicht mit ihnen verbracht hast und..." Sein Blick war so finster, dass ich es nicht wagte weiter zu sprechen. "Selbst wenn, würde ich es Ihnen nicht erzählen.", sagte er kühl und ich wusste, dass er damit recht hatte. Man bekam aus ihm nichts raus von dem er nicht überzeugt war, dass er es einem erzählen konnte. Wieder starrte ich auf meinen Teller, der mittlerweile leer und mit Bröseln übersät war. In mir machte sich etwas breit, das den Drang auslöste etwas zu zerschlagen, aber auch zu weinen. Bei dem Gefühl wurde mir schlecht. Ich versuchte es herunterzuschlucken, aber es ging nicht so leicht, wie ich es gerne gehabt hätte. "Ist bei Ihnen alles in Ordnung?" Ich sah überrascht auf. Er stellte seinen Teller in die Spüle und musterte mich aufmerksam. Einen Moment lang starrte ich ihn bloß an. Ich wollte ihn küssen... Dann wandte ich meinen Blick ab. "Ja. Natürlich." Er nickte knapp und schob seine Brille mit seinen langen Fingern seinen Nasenrücken hoch. Ein kleiner Teil in mir wünschte sich, er hätte mir nicht so einfach geglaubt. "Soll ich abspülen?" Ich musste grinsen. "Ich habe eine Spülmaschine." Seine Augen huschten über die Kücheneinrichtung, als suche er sie. "Wie geschickt.", murmelte er, aber es klang geistesabwesend. "Hast du keine?" Kurz zuckte er mit den Schultern und glitt wieder auf den Stuhl gegenüber von mir. Ich musste unbedingt noch heraus finden wo er wohnte, um an Silvester kommen zu können. Das war vielleicht nicht die beste Idee, die ich jemals hatte, aber ich musste einfach. "Wenn du willst, kannst du deine Eltern, jetzt anrufen. Du kannst auch mein Haustelefon benutzen." Er nickte kurz und stand auf. "Rufst du auf sein Handy an?" Ich fragte mich wie alt sein Vater war und ob er überhaupt wusste wie man mit Handys umging. "Nein. Auf mein Festnetz." Vielleicht rief er auch dort an, weil dort die Wahrscheinlichkeit größer war ihn nicht zu erreichen... Wenn das so war, musste die Beziehung zwischen den beiden wirklich problematisch sein. Er holte das Telefon und stellte sich mit dem Rücken zu mir, mit einer Hand auf die Lehne des Sofas gestützt. Er legte bei diesem Telefonat anscheinend keinen Wert darauf, dass ich nichts hörte. Ich räumte die Sachen auf dem Tisch zusammen und stellte das Geschirr in die Spülmaschine. "Dad?" Es war merkwürdig seine Stimme dieses Wort sagen zu hören. Dabei kamen Bilder von kleinen Jungen und ihren Vätern auf, die Fange spielten und sich Bälle zuwarfen und diese Vorstellung passte nicht zu diesem glatten Mann mit den ernsten Augen und seinem schmalen Mund. "Nein. Das will ich nicht." Eine kurze Pause und dann etwas heftiger: "Du weißt genau was los ist!" Es klang scharf, aber auch genervt und müde. Als wäre es das tausendste Mal, dass er dieses Gespräch führte. "Ich ruf an, weil ich wissen wollte, wann ihr geht." Gesprächsfetzen vom anderen Ende der Leitung. "Ich hab gearbeitet... Ja. An Weihnachten." Er biss die Zähne zusammen. "Das geht dich nichts an." Als er mir einen scharfen Blick zuwarf, bemerkte ich erst, dass ich innegehalten und ihn beobachtet hatte. Meine Wangen begannen zu brennen und ich beugte mich schnell wieder über die Spülmaschine. Ich kam mir vor wie ein dummes Schulmädchen, das ihren Schwarm beobachtete, aber war er das für mich? Immerhin hatten wir Sex gehabt. Aber schwärmte ich für ihn? Ich strich mir meine Haare zurück und drehte die Marmeladengläser zu. "Nein.", sagte Mr Sbaih noch einmal. "Wann geht ihr?" Er macht sich nicht einmal die Mühe sich seine Ungeduld nicht anmerken zu lassen. "Okay.", damit legte er auf. Einen Moment schloss er seine Augen und atmete tief durch. "Anstrengend mit ihnen zu telefonieren?" Er sah auf, als erinnere er sich gerade erst wieder an meine Anwesenheit. "Sie kennen es doch bestimmt selbst." Ich lächelte traurig und entgegnete nichts. Er runzelte fragend die Stirn. "Ihr habt euch nicht einmal schöne Weihnachten gewünscht.", bemerkte ich. "Es ist doch schließlich das Fest der Liebe und der Familie." Er drehte den Orangensaft zu und stellte ihn so schwungvoll auf die Arbeitsfläche, dass er den Flaschenhals hochschwappte. "Ich gehe in einer Stunde." Der kurze Schmerz von Bedauern legte sich über meine Brust. Wir hatten die Nacht miteinander verbracht und ich wusste nicht mehr über ihn, als die ganze Zeit in der Schule über, in der wir bloß nebeneinander her gelebt hatten. "Wenn das Ihnen etwas ausmacht, kann ich auch woandershin gehen, dann..." "Du kannst gerne hier bleiben." Er nickte und sah sich um, ob es noch etwas zum aufräumen gab. Wahrscheinlich war seine Wohnung geschleckt und viel zu ordentlich. "Dein Auto müsste anspringen." "Vielen Dank." Es war das erste Mal, dass ich ihn Worte des Dankes aussprechen hörte und es war gleichermaßen ungewohnt und schön. "Sie wissen, dass Sie ich anstarren?", fragte er dann kühl und ich wandte schnell meinen Blick ab. "Verzeihung." "Es ist mir bloß aufgefallen." War es so offensichtlich? Ich seufzte, verstaute den Rest in Schubladen und Schränken und sah ihn an. Er stand immer noch an Ort und Stelle. "Sollten wir uns einander nicht gescheit vorstellen?", platzte es aus mir heraus. Ich wollte ihn kennenlernen. Unbedingt. Er ließ sich seufzend im einen Sessel fallen. "Ich gebe Ihnen die Kleider in der Schule wieder.", überging er geflißentlich meinen Vorschlag und etwas in meiner Brust verkrampfte sich. Lag es an mir, dass er sich nicht öffnete oder war er zu allen so verschlossen und distanziert? Vermutlich das zweite und ich konnte mir auch niemanden vorstellen, der ihm nahe stand, wenn er sogar seinen Eltern auswich, aber ich wollte mehr von ihm wissen. Ich wollte nicht bloß wissen, wie er unter seiner Hülle aussah, ich wollte ihn verstehen. Ihn begreifen und besser kennen, als sonst ein Mensch auf diesem ganzen weiten, blauen Planeten. Aber wie sollte ich das schaffen, wenn er mir nicht einmal sein Alter verriet? Geschweige denn seinen Vornamen...

Another school romance.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt