Patroklos #4

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Ich sah ihn einen Moment an. Mit den Strähnen die im ins Gesicht fielen und nicht mehr so streng nach hinten gekämmt waren, ohne die Brille und mit den leicht geöffneten Lippen, konnte man beinahe vergessen, dass er älter war als ich und was für ein Griesgram. Ein schmerzhaftes Ziehen schlich sich in meine Brust. Ich strich mir die Strähnen meiner Haare aus dem Gesicht, die sich in meinen Wimpern verfangen hatten. Es war gerade erst einmal zehn Uhr und das an einem Weihnachtsfeiertag. Ich würde ihn schlafen lassen. Er sah so friedlich aus und gestern war für ihn auch anstrengend gewesen. Ich wusste nicht, ob ich ein schlechtes Gewissen haben sollte, weil ich ihn geküsst hatte. Es hatte schließlich nichts dagegen gehabt. Leise schloss ich die Türe hinter mir und tapste in die Küche. Nachdem wir Sex gehabt hatten ging mir sein Körper nicht mehr aus dem Kopf. Er war davor schon attraktiv gewesen, aber jetzt hatte sich alles an ihm in meinem Kopf festgesetzt. Ich musste mich zusammen reißen. Man merkte ihm an, dass es für ihn nicht bedeutet hatte und ich wusste, dass mir das nichts ausmachen sollte. Ich war aus dem Alter raus, in dem man an allem hängt, mit dem man auch bloß mal Händchen gehalten hat. Und doch zeigte mir der feine Stich in meiner Brust etwas anderes. Die Wintersonne schien blass und schüchtern durch die Fenster und ich musste auf andere Gedanken kommen. Er zeigte offen genug, wie wenig er von mir hielt und ich wusste nicht, weshalb es sich anfühlte, als verletze er mich damit. Wir waren Kollegen. Mehr nicht. Daran änderte auch der Sex nichts. Nichts würde an der Tatsache etwas ändern und ich machte mir auch keine falschen Hoffnungen. Es war schön gewesen, aber nichts würde seine Gefühle zu mir ändern und das wusste ich ganz genau. Dennoch war irgendwo in meiner Brust, diese kleine irre Hoffnung, dass sich doch irgendetwas geändert hatte. Wenn auch bloß etwas ganz Kleines und wenn auch bloß, dass er damit aufhörte mir diesen kalten, abweisenden Blick zuzuwerfen. Ich bemerkte, dass meine Finger bebten. Es war lächerlich, dass es mich so sehr aus der Bahn warf. Dabei hatten wir vor gestern Abend nicht mehr als ein paar Mal "Guten Morgen" ausgetauscht. Er war älter, erfahrener und wahrscheinlich nicht einmal an einem Mann interessiert. Es war bei jemand wie ihm, wahrscheinlich schon für Frauen schwer zu ihm durchzukommen. Und für mich als Mann vermutlich unmöglich. Also wieso konnte ich die Sehnsucht, die meine Brust zusammenpresste nicht einfach zur Seite schieben? Ich kannte ihn nicht! Also wieso sehnte ich mich überhaupt so nach ihm? War das nicht lächerlich? Ich setzte den Topf mit Milch auf und biss mir auf die Lippe. Er war schon viel zu viel in meinen Gedanken. Ich musste aufhören an ihn zu denken. Seufzend drehte ich den Herd auf. Ich wusste, dass ich die Sache mit ihm rein realistisch betrachtete, was aber nicht hieß, dass es sie leichter zu ertragen machte. Nach gestern und dem heutigen Tag würde es wahrscheinlich einfach in der Schule so weiter gehen wie davor. Aber ich wollte es nicht, auch wenn ich keine Ahnung hatte was ich dagegen tun konnte. Wenn ich mich ihm noch mehr aufdrängte würde er wahrscheinlich bloß noch mehr ausweichen, aber anders kam man an ihn vermutlich auch nicht ran, als durch Disziplin. Er war stur und hatte diese Hülle des Desinteresses um sich herum, die es einem unmöglich machte, an ihn heran zu kommen oder seine Gedanken an seiner Stirn abzulesen, zum anderen weckte sie aber durch ihre Unduchrsichtigkeit auch Interesse und Neugier. Und die Tatsache, dass er sie in der Nacht, nach dem Albtraum hatte fallen lassen, machte es nicht besser. Wie jung er ausgesehen hatte, als er mit Tränen auf den Wangen und zerzausten Haaren geschockt auf seine Finger gestarrt hatte. Das erste Mal war mir aufgefallen, wie lang und dicht seine Wimpern überhaupt waren. Genau wie beim Sex hatte er seine sonstige Gelassenheit und Kälte fallen lassen. Bestimmt unbewusst, bloß für einen kleinen Augenblick, doch es hatte gereicht, um etwas in meiner Brust zum Leben zu erwecken, das ich so lange nicht mehr gespürt hatte. Es fühlte sich an, wie eine kleine Pflanze, die zwar erst dabei war durch die Erde, unter der sie verschüttet war zu brechen, aber schon genug Kraft hatte etwas in mir durcheinander zu bringen. Etwas Bedeutendes. Und hätte ich nicht gewusst, dass er mich bloß aus Prinzip siezte, könnte man es aich als eine weitere Demonstration der Unterschiede zwischen uns deuten. Ich setzte mir Kopfhörer auf und drehte Movin' out so laut wie es ging ohne, dass meine Ohren allzugroßen Schaden davon trugen. Ich hatte das Gefühl meine eigenen Gedanken nicht mehr zu hören und vorerst war das gut so. Manchmal kam man nicht zu einer Lösung, weil man die ganze Zeit darüber nachdachte, sondern eher gerade weil man die Sache ruhen ließ. Zudem ging ich davon aus, dass es keine rationale Lösung gab. Entweder gab ich ihn auf oder handelte aus meiner Intuition heraus nach dem, was ich für richtig hielt. Das erste verlangte den Willen einfach aufzugeben und das zweite Disziplin und das richtige Maß an Hoffnung, um sich nicht zu viele Hoffnungen zu machen, um am Ende, wenn alle Mühen umsonst gewesen waren am Boden zerstört zu sein, aber auch nicht so wenig, dass man aufgab. Aber insgeheim wusste ich schon längst, wofür ich mich entschieden hatte.

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Vielen Dank für die vielen Votes und Reads. *-*
Ich war nicht davon ausgegangen, dass ich gleich so viele am Anfang der Geschichte bekommen würde, auch wenn ich sie persönlich sehr mag.

Another school romance.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt