Patroklos #10

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"Dann verdienen Sie es sich, nicht mehr verachtenswert zu sein." Wenigstens wusste ich jetzt, was er von mir dachte. Aber ich war mir nicht sicher, ob es das nicht einfach bloß noch schlimmer machte. Am liebsten wäre ich für den Rest meines Lebens in diesem schmalen, stickigen Raum geblieben. Alleine um ihm nicht mehr ins Gesicht sehen zu müssen. Aber am Ende hatte ich es doch hinbekommen die Türe aufzuziehen und zu meinem Auto zu gehen. Als ich ihn noch am Fenster hatte stehen sehen, hätte ich am liebsten seinen Arm genommen und irgendwo hingeschleift, wo er froh über meine Gesellschaft war. Hätte ich bloß wissen müssen welcher Ort das war. Aber so war ich aus d Raum geschlichen, als hätte ich etwas zu verbergen, das ich vielleicht sogar hatte und saß jetzt in meinem Auto und bekam nicht einmal den Willen zusammengekrazt endlich nach Hause zu fahren. Es fühlte sich an, als könnte ich es nicht übers Herz bringen zu der platonischen Distanz zwischen uns, noch die tatsächliche, physische hinzuzufügen. Wie er wohl unterrichtete? Wahrscheinlich so wie er einen immer ansah. Kühl, distanziert und berechnend. Manchmal war es angsteinflößend wie emotionalos er einen ansehen konnte. Als würde er sich fragen, wie das Gehirn, der das produzierte, das er so verachtete, unter einem Skalpell aussehen würde. Früher, als wir noch kein Wort mit einander gewechselt hatten, hatte er mir einen kalten Schauer über den Rücken gejagt. Jetzt weckte er Neugier in mir. Und das war vielleicht das Schlimmste. Es hatte mich verletzt wie kalt und überlegen, wie verächtlich und herablassend er mich angesehen hatte und doch wollte ich unbedingt diese Sache verstehen und erfüllen. Es hinbekommen in seinen Augen nicht mehr erbärmlich und verachtenswert sein. Aber was konnte ich tun, wenn er mir keinen Einblick darauf gewährte wie er funktionierte und erwartete? Vermutlich würde er mich ein bisschen weniger verachten, wenn ich ihn nicht mehr nerven und ansprechen würde. Aber ein Gefühl presste sich von innen gegen meine Brust, das sich anfühlte, als würde es meine Rippen zum Bersten bringen, wenn ich bloß daran dachte kein Wort mehr mit ihm zu wechseln, seinem Blick auszuweiche, ihn nicht mehr berühren zu dürfen und alles wieder so wäre wie davor. Vor Weihnachten, vor dem Foto seines Sohnes, vor den ganzen Büchern in seiner Wohnung, vor der Sanfheit in seinen Augen an Neujahr. Hatte ich sie mir nur eingebildet? Hielt ich an falschen Tatsachen fest? Kämpfte ich tatsächlich bloß weiter, um diesen Blick noch einmal auf mir zu spüren und das Gefühl zu fühlen, das es in meiner Brust ausgelöst hatte? Dieses weiche, sprudelnde Glück, das mich hatte weinen lassen wollen. Diese einen von innen zerreißende bittersüße Sehnsucht. Seufzend drehte ich den Schlüsse im Zündschluss um, der Motor sprang schnurrend an und ich schaltete das Radio an. Charlie Winston gab Kick the bucket zum Besten und ich drehte es so laut, dass meine Haut zu vibrieren schien. Es fühlte sich nicht so an, als würde ich durch denken zu einer Lösung kommen. Als würde ich dadurch darauf kommen, was er von mir erwartete, was ich tat, um nicht mehr verachtenswert zu sein. Was machte mich in seinen Augen überhaupt so verachtenswert? Dass ich nicht einfach aufgab? Oder dass ich nach der Ohrfeige so getan hatte, als sei nie etwas gewesen? Dass ich immer gutgelaunt und freundlich war? Dass ich mir solche Mühe gab? Wäre er bloß ein wenig offener, vielleicht könnte ich dann wenigstens erahnen was er erwartete. Was ihn so nervte. Was er dachte. Was der Blick bedeutete. Einfach alles durschauen. Er war wie ein Rätsel und es schmerzte, mir vorzustellen einfach aufzugeben und es ungelöst zu lassen. Es war eine rein egoistische Geste, ihn nicht einfach in Ruhe zu lassen. Und trotzdem konnte ich mir nicht vorstellen einfach aufzuhören. Einfach aufzugeben. Ich war noch nicht vom Parkplatz herunter, als es begann zu regnen und irgendwo zwischen dem Prasseln der Tropfen auf der Frontscheibe, hörte ich die Schulglocke zum Beginn der nächsten Stunde läuten. Ob er wohl einen Regenschirm dabei hatte? Hoffentlich war er mit dem Auto da. Aber was wenn nicht? Ich atmete aus und warf einen Blick auf den Schulhof, der jetzt noch grauer mit dem Regen aussah. Vielleicht hatte er ja schon nach der nächsten Stunde aus und ich könnte ihn dann mit nehmen. War ich dann weiterhin verachtenswert? Vermutlich wollte er keine Hilfe und ich stand dann da wie ein Idiot. Vielleicht hatte er auch lange Unterricht und ich stände hier umsonst und der Regen hörte vielleicht auch schon in ein paar Minuten auf... Vermutlich sollte ich nach Hause fahren und Abstand zwischen die Sache bringen, zwischen ihn und mich.

Tut mir leid, dass das  Kapitel weder besonders lang noch aufregend ist. Hoffentlich mögt ihr es dennoch.


Another school romance.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt