„Hat dein Vater eine andere gefickt?", kam es plump aus dem Mund von Henry.

Entgeistert starrte ich ihn an. So etwas fragte man doch nicht und wenn man es fragte, doch nicht auf diese Art und Weise. Ich schien jedoch die einzige zu sein, die so eine Frage als unangebracht empfand. Alle sahen mich neugierig an.

Das hier war wirklich eine andere Welt und bis vor zwei Tagen hätte ich es noch nicht für möglich gehalten bei ihnen zu stehen, ohne mir dumme Sprüche anhören zu müssen.

„Keine Ahnung", sprach ich ehrlich. „Sie haben mir gesagt, dass es zwischen ihnen nicht mehr funkt, aber kann schon sein, dass da 'ne Neue im Spiel ist."

Ich wollte daran ehrlich gesagt nicht denken. Für mich hatten meine Eltern immer zusammengehört. Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass es zwischen ihnen gekriselt hatte. Ihre Scheidung war für mich wie aus heiterem Himmel gekommen.

„Falls deine Mutter nur halb so heiß ist wie du, ist dein Vater ein ziemlicher Idiot", hörte ich Jona sagen.

Stopp! Zurückspulen und Replay drücken bitte!

Hatte Jona Fitz mich gerade tatsächlich als heiß bezeichnet? Könnte da bitte jemand einen Wikipedia-Artikel zu schreiben! Das gehörte in die Geschichtsbücher und in das Gedächtnis des World Wide Webs!

Im nächsten Augenblick ärgerte ich mich über mich selbst. Wieso schmeichelte es mir, wenn das größte Arschloch der Welt mir ein Kompliment machte? Es sollte mir egal sein.

Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte, weshalb ich einfach schwieg. Stattdessen genoss ich die Bestätigung, dass ich mich nicht geirrt hatte. Jona stand auf mich und das war mein Trumpf im Ärmel.

„Mirko gibt am Wochenende eine Party. Seine Eltern sind nicht da. Willst du auch kommen?", wechselte Jona das Thema, als er spürte, dass ich auf seine Worte nicht so reagiert hatte, wie er es sich wohl gewünscht hätte.

„Ähm", zögerte ich.

„Komm schon! Es wird witzig. Wir sind alle da", motivierte mich Jenny, die in mir schon ihre neue Busenfreundin zu sehen schien. „Für Alkohol ist auch gesorgt."

Davon sollte ich lieber die Finger lassen. Seitdem mir diverse Kilos fehlten, vertrug ich nicht einmal mehr halb so viel Alkohol wie früher. Ein Glas genügte, um mich zu einem Plappermaul zu machen, dass seinesgleichen suchte.

„Okay", stimmte ich zu und hatte keine Ahnung, worauf ich mich damit eigentlich einließ.

Partys. Ich hatte keine Ahnung von richtigen Partys. Ich kannte Familienfeiern und die Geburtstagspartys von Gloria, doch die bestanden hauptsächlich aus Kuchenessen, Geschenke auspacken und Abendbrotessen. Manchmal wurde auch noch Activity gespielt. Coole Partys waren das nicht gerade gewesen, eher gemütlich. So wie mein komplettes, bisheriges Leben gewesen war.

Ich war nie auf einer richtigen Party gewesen, wo die Bässe laut dröhnten und am Abend die Leute ineinander verschlungen auf den Sofas saßen und gegenseitig ihren Speichel schmeckten. Wo man aus roten Plastikbechern billigen Alkohol trank und am nächsten Tag peinliche Fotos auftauchten.

„Alter!", zischte Henry plötzlich Jona zu und stieß ihm in die Rippen, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Dann wies er mit seinem Blick auf ein Mädchen, das gerade an uns vorbeiging. Wenn ich mich nicht irrte, hieß sie Swetlana und war ein oder zwei Jahre unter uns. Auch Jona sah es nun und er setzte einen Blick auf, den ich zu gut kannte.

Der Blick, der jegliches Mitgefühl fehlen ließ. Sein Angriffsblick. Wenn er den aufsetzte, konnte man sich innerlich schon mal auf eine verbale Attacke vorbereiten.

„Ey, Streuselschnecke!", brüllte er laut.

Ich sah, dass das Mädchen wusste, dass sie angesprochen war, doch sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen und reagierte nicht. Ich kannte diese Reaktion nur zu gut. Man wollte nicht, dass die anderen den Schmerz sahen, doch innerlich zerbrach man bei diesen Kommentaren.

Das Mädchen war von einer fiesen Akne befallen.

„Streuselschnecke, ich rede mit dir!", rief er erneut und freute sich darüber. Noch zeigte Swetlana keine Regung. „Wenn ich so aussehen würde wie du, würde ich mich freiwillig vom IS köpfen lassen, um so ein Gesicht loszuwerden."

Meine Kinnlade klappte nach unten.

Es gab schwarzen Humor, es gab richtig schwarzen Humor, es gab fiesen Humor und es gab Dinge, die man nicht sagen sollte. Seine Aussage hatte definitiv zum Letzteren gehört. Das war unterhalb jeder Gürtellinie und an Geschmacklosigkeit nicht zu übertrumpfen. Während die anderen lachten, steckte mir ein riesiger Kloß im Hals. Mir wurde richtig schlecht.

Swetlana lief zügig weiter, doch ich war zu einer Statue erstarrt.

„War das wirklich nötig?", kratzte ich meinen Mut zusammen und stellte ihm diese Frage. Ich konnte das nicht schweigend ertragen.

Er legte seinen Kopf schief. „Ach komm schon. Ist doch nur Spaß. Sie wird daran schon nicht sterben. Ihr Gesicht sieht doch wirklich unappetitlich aus. Würde sie mir in der Kantine gegenübersitzen, würde ich mich wegsetzen. Da muss man ja Angst haben, dass Eiter auf mein Essen spritzt."

Wieder erntete er Lacher. Er schien aber zu merken, dass ich es nicht lustig fand und dämpfte sein eigenes Lachen.

„Ihr Gesicht sieht aus, als wäre darauf Harry Potter in Blindenschrift gedruckt worden", steckte Jenny auch noch den Finger in die Wunde.

Wie konnte man so gemein sein? Was ging in solchen Menschen vor?

Am liebsten wäre ich zu Swetlana gegangen und hätte ihr gesagt, dass sie hübsch sei. Auf alle Fälle hübscher, als die Leute, von denen ich gerade umgeben war. Denn ihre Charaktere zerstörten ihre modernen Looks und gebräunten Gesichter. Das waren hässliche Menschen und genau aus diesem Grund blieb ich stehen. Ich wollte mich rächen. Nicht nur für das, was sie mir angetan hatten, sondern im Namen aller, die in den letzten Jahren genauso gelitten hatten, wie ich.

Ich fühlte mich als ein Robin Hood derjenigen, die nicht mit dem Schönheitsideal geboren worden waren. Es war Zeit, dass jemand durchgriff und ihnen klarmachte, dass jeder Kommentar sich ins Selbstbewusstsein bohrte wie ein Schwert.

„Entspann dich!", sprach Jona mich an und legte einen Arm um meine Schulter. „Zu dir würde ich so etwas nie sagen."

Ich unterdrückte ein höhnisches Lachen. Wenn er nur wüsste, dass er solche Sachen schon längst zu mir gesagt hatte. Er würde wahrscheinlich angewidert von mir wegspringen, wenn er die Wahrheit wüsste. 

FATWhere stories live. Discover now