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Kapitel 3

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„Lina!", hörte ich eine vertraute Stimme rufen.

Ich erblickte Jona, der wild mit seinem Arm in der Luft herumfuchtelte. Es sah fast schon ein bisschen lächerlich aus, doch sein Aussehen machte es wieder wett. Er konnte sich alles erlauben und es hinterließ trotzdem keinen Kratzer auf seiner coolen Fassade.

Seine Lederjacke saß wie angegossen und jedes einzelne Haar schien genau zu wissen, wie es sich am besten in Szene zu setzen hatte, um eine perfekte Frisur zu ergeben.

Ich hingegen hatte mich heute mal in ein Kleid gezwungen. Meine Beine, die früher eher Baumstämmen geglichen hatten, hatten es nie zugelassen Kleider zu tragen. Doch nun konnte ich endlich in den Genuss kommen etwas Luftiges zu tragen und musste prompt feststellen, dass es einer logistischen Meisterleistung glich, stets so zu sitzen, dass man die Farbe meiner Unterwäsche nicht erkennen konnte. Früher hatte ich meine Beine nicht einmal überschlagen können und nun war ich sogar darauf angewiesen.

Zögerlich näherte ich mich Jona, der in einer Gruppe von Mitschülern stand. Sie alle hatten mich immer aufgezogen und behandelt, als wäre ich ein wertloses Stück Dreck. Und nun grinsten sie mich an, als wäre ich eine Bereicherung für ihre Clique. Ich hätte kotzen können, doch ich zwang mir ein Lächeln auf die Lippen. Wenn ich sie bloßstellen wollte, dann musste ich sie besser kennenlernen.

„Hey, Lina!", sagte Jona noch einmal als ich bei ihm ankam. Er zog mich in eine lockere Umarmung. So viel Körperkontakt ließ die Hitze in meinen Kopf steigen. Ich war hin- und hergerissen, ob ich ihm eine klatschen sollte oder doch lieber heimlich ein Foto von dem Moment schießen sollte, um zu beweisen, dass mich ein so verdammt attraktiver Junge tatsächlich freiwillig umarmt hatte. Auf Klassenfahrt war es mal eine Mutprobe gewesen mich zu umarmen. Niemand hatte sich getraut. Aus Angst erdrückt zu werden, wie sie mich wissen ließen.

Ich spürte die Blicke der anderen auf mir, doch keiner sah die dicke Pauline, die ich gewesen war. Ich konnte fast so etwas wie Bewunderung erkennen, aber vielleicht täuschte ich mich auch.

„Geiler Nagellack", hörte ich Jenny sagen.

Sie war die schlimmste Zicke des Jahrgangs und hatte den Ruf, dass sie gerne die Beine breit machte und das definitiv nicht, um einen Spagat zu üben.

„Danke", sagte ich höflich.

Sie lächelte mich an und schaffte es gleichzeitig mit ihrem Lippenpiercing herumzuspielen.

„Ich bin Jenny", kam es erstaunlich freundlich zwischen der Masse von Lipgloss hervor. Dann reichte sie mir ihre zarte Hand, die die Krallen eines Tigers hatten.

„Lina", nuschelte ich vor mir hin.

„Ich weiß. Jona hat schon von dir erzählt."

Jona sprach mit denen über mich? Was verschaffte mir denn diese Ehre?

„Ich bin Mirko", wollte nun auch ein Muskelprotz mit mir Bekanntschaft machen.

„Henry."

„Lexy."

Und schon hatten sie mir alle ihre Patschehändchen gereicht. Ich hätte nicht vermutet gehabt, dass sie mit solchen Umgangsformen vertraut waren.

„Kippe?", erkundigte sich Mirko bei mir und reichte eine Schachtel herüber.

„Ich rauche nicht", sagte ich entschieden.

Er zuckte mit den Schultern und zog die Schachtel zurück.

„Woher kommst du?", erkundigte sich Jenny und blies Rauch aus ihrer Nase, wodurch sie auf mich wie ein wilder Stier wirkte.

„Kleines Dorf im Norden", log ich so gut ich es konnte. Jetzt aufzufliegen, wäre wohl der absolute Super-Gau. „Meine Eltern haben sich scheiden lassen und meine Mutter ist mit mir hierher gezogen." Immerhin das mit der Scheidung war nicht gelogen.

FATWhere stories live. Discover now