22. Ein Anker in stürmischen Zeiten

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Das erst Mal in meinem Leben sitze ich am Schreibtisch und versuche mich tatsächlich mit beruhigenden Pianoklängen dazu zu bringen mich zu konzentrieren. C dur. H moll. Von Musik habe ich in etwa so viel Ahnung, wie von Landwirtschaft. Ich weiß, dass es Bauern gibt oder eben Pianisten. Ich weiß, dass diese Bauern ihr Feld bestellen oder eben diese Pianisten auf einem Piano spielen. Ich weiß, dass Bauern auf diese Weise Nahrung herstellen, wie eben der Pianist Töne erschallen lässt. Natürlich weiß ich auch, in etwa wie beides funktioniert, aber die eigentliche Kunst dahinter ist mir bis her immer verborgen geblieben, denn auch wenn ich Musik in meinem Leben keines Falls missen möchte, so war ich doch leider nie ein recht musikalischer Mensch (geschweige denn ein Mensch mit grünem Daumen) - im Gegensatz zu Frodo, den ich bereits jetzt vor meinem geistigen Auge mit einer Akustikgitarre vor einem kleinem Kinderbett im Halbdunkeln sitzen sehe, während er leise die Melodie von Polemonium mitsummt. 

Irgendwas tief in mir sagte mir, dass er einen guten Vater abgab und zusammen mit Wanne an seiner Seite nichts schief gehen konnte. 

Eine Erinnerung regte sich in mir. Unangenehm an der Oberfläche kratzend. Ich hatte sie längst verdrängt und wollte mit ihr eigentlich nicht mehr in Berührung kommen, denn, wenn ich ehrlich war, dann war mir mehr als bewusst, dass ich das selbe auch von Ina und mir lange Zeit gedacht auch hatte: Das perfekte Elternpaar. Ich, der kreative, unternehmerische, und Ina, die sorgende und liebende Mutter. Selbst jetzt - ein Jahr später - musste ich immer noch ab und zu an sie denken. Vermutlich würde das nie ganz verschwinden, so viele Jahre wie sie mich begleitet hatte. 

Aber trauern .. um sie? Nein, über die Trauer der Trennung war ich längst hin weg. Es war mehr die Sehnsucht nach einer heilen Welt, nach einem Partner an der Seite, einem Anker in stürmischen Zeiten, die die Erinnerung noch immer so lebendig erscheinen ließ - und so schmerzhaft. 

Ich seufzte und dreht der Musik, die gemütlich im Hintergrund dudelte, kurzer Hand den Saft ab. Es mag sein, dass ich mich vielleicht mit den sanften Klavierklängen besser konzentrieren konnte, andererseits machten sie mich zur gleichen Zeit seltsam melancholisch und das konnte ich jetzt - kaum eineinhalb Stunden bevor ich mich mit Alexa wie verabredet am Alex treffen würde- so gar nicht gebrauchen. 

Das Experiment "Klavierbeseelte Konzentration" war fürs erste gescheitert. Stattdessen begab ich mich ins Bad, duschte noch einmal - in der Hoffnung, das würde mich weg von der seltsamen Melancholie bringen- und entschied mich nach sorgfältiger Wahl meines Outfits dafür mich langsam auf den Weg zu machen (Die Hausarbeit hatte jetzt schon so lange gewartet, da schadete der eine Abend auch nicht weiter). Wie immer mit dem Longboard ging es in Richtung Innenstadt und dieses Mal hatte ich das Deo nicht vergessen. 

Wie zu erwarten, war ich zu früh. Fast zwanzig Minuten, doch ich nutzte die Zeit, setzte mich an den Rand des Brunnens in der Nähe der Fahrradständer und beobachte die Menschen. Ein verliebtes Paar dort, der eine dem anderen verliebt in die Augen blickend als wäre es ein Wettstreit, wer verliebter in den anderen war, eine alte Dame hier, die mit einem Lächeln auf den Lippen als stünden vor ihr ihre Kinder, die seit Jahren nicht gesehen hatte, die Tauben fütterte und ein Obdachloser, etwas isoliert von Rest der Gesellschaft auf einer Parkbank sitzend und mit einer Bierflasche in der Hand, die er so fest zu halten schien wie der Erlkönig sein Kind in stürmischer Nacht. 

War es nicht das, was alle Menschen verband? Diese Zuneigung, nach der sie alle suchten. Diese Liebe? Der eine fand sie in einem anderen Menschen, der andere vielleicht im Geben und wieder ein anderer suchte sie im Alkohol, weil ihm die Welt um ihn herum so erkaltet vorkam. 

Ich schüttele energisch den Kopf. Dieser Abend sollte nicht durch meine philosophische Ader in die Trübseeligkeit gezogen werden. Im Gegenteil, ich hatte ganz andere Pläne. Heute war DER Abend. Heute war mein Abend und heute war Alexas Abend. Ich hatte uns eine Chance gegeben und nun hoffte ich darauf, dass auch Alexa uns bzw. viel mehr mir eine Chance geben würde, auch wenn ich noch immer nicht ganz wusste, wie ich das bewerkstelligen wollte. Das letzte Mal, dass ich versucht hatte jemanden wirklich von mir und vor allem von einer Beziehung mit mir zu überzeugen, schien Ewigkeiten her zu sein. Sicher, wenn es mal um einen Abend ging, fiel es mir nicht schwer die erste innige Umarmung, den ersten Kuss und vielleicht auch das erste gemeinsame Mal zu injizieren, doch bei Alexa war das eben anders. Um auf ein altes Sprichwort zurückzugreifen und es ein wenig abzuwandeln: Wenn ein One-Nightstand die Hausnummer eins besaß und Ina zu ihren Zeiten in einem ganz anderen Stadtviertel wohnte, so befand sich Alexa irgendwo, an einem Ort, wo noch nicht einmal die Postleitzahl mit der selben Nummer anfing. 

Punkt 18:30 Uhr bog Alexa in die Straße ein, lenkte kurz ein und ließ ihr Rad ausrollen, ehe sie abstieg und an einem der Fahrradständer ankettete. Ich hatte sie bereits an der Kreuzung bemerkt. Ihr braunes Haar war zu einem Pferdezopf nach hinten gebunden, doch die ersten Strähnen waren bereits entflohen, hatten im Fahrtwind ein Eigenleben entwickelt, was ihr unglaublich gut stand, genauso wie die graue Jeans und das weiße Top, auf dessen Vorderseite ein kleiner Kolibri zu sehen war. Um ihren Hals hing ein Silberkettchen und als ich die ersten Schritte vorsichtig auf sie zumachte, erkannte ich den Anhänger: Ein kleiner Anker. 

Der Anker als Zeichen der Hoffnung auf stürmischer See...

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Oh mein Gott ... in letzter Zeit mutiere ich gefühlt wirklich zum Poesiemonster xD Nein, mal im Ernst, wie gefällt's euch so? Ich hab nämlich das Gefühl, dass sich in den letzten zwei Kapiteln mein Schreibstil ein klein wenig gewandelt hat, vielleicht auch, weil ich mittlerweile wieder sehr gezielt versuche mich auf das Schreiben an sich zu konzentrieren und weniger auf die Handlung. (Ja, ich liege meist nachts wach und überlege, was genau im nächsten Kapi passiert und vor allem wie.) 

Seid mir nicht sauer, dass das Kapitel wieder etwas kürzer geraten ist, dafür waren die letzten ja recht lang im Vergleich und wer sich jetzt fragt, wie ich auf den Anfang des Kapitel gekommen bin: Ich höre im Moment tatsächlich beruhigende Klaviertöne. Dinge, die ich in meinem normalen Leben vermutlich nie länger als fünf Minuten aushalten könnte, weil es mich spätestens dann anfängt zu langweilen bzw. zu nerven, aber beim Schreiben ist das ganze tatsächlich hoch konzentrationsfördernd. :0 

Ansonsten: Einen guten Start in die Woche und ich freu mich auf jegliche Art von Rückmeldung, auch gerne Ideen (seien sie auch noch so klein :) )

LG Heide :x 


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