Freitagsprobe.

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„Heute komme ich mit zur Probe!", begrüßte mich Nyx am nächsten Morgen. Ich fühlte mich ausgelaugt. Den restlichen Abend, sogar am Esstisch hatte ich mit meinen Eltern diskutieren müssen, ob es in Ordnung gewesen war, wie sie auf Dylan reagiert hatte. Sie meinten es sei völlig okay, den Vielleicht-Freund ihrer Tochter in ein Kreuzverhör zu stecken. Aber meine Mutter war irgendwie nicht ganz bei der Sache gewesen, weil sie davon schwärmte hatte, wie toll er aussehe und wie höflich er sei und dass er ihr Lieblingsheld in ihrem neuen Buch werden müsse. Schlussendlich war ich ergeben in mein Zimmer gestapft. Mit solchen Eltern zu diskutieren, war sinnlos. Trotzdem bekam ich noch ein strahlendes Lächeln für Nyx zustande. „Und wie war dein Date?", fragte sie sofort grinsend. Ich verdrehte die Augen, auch wenn ich mit dieser Frage gerechnet hatte. „Wahrscheinlich langweilig, verkniffen und peinlich. Was wollte er dir eigentlich zeigen?" Ich musste darauf aufpassen mit ihr Schritt halten zu können. Sie lief schneller als sonst und schien noch bessere Laune zu haben. Ich bekam es aber trotzdem noch hin die Augen zu verdrehen. „Er hat mir eine fantastische Stelle am Meer gezeigt und mich den besten Burger probieren lassen, den ich je gegessen habe." Einen Moment musste ich Luft holen. „Außerdem! Außerdem war er total nett, zuvorkommend und unaufdringlich. Und offener, als ich jemals gedacht hätte!" Sie lächelte sanft. Es wirkte, als wolle sie damit Frieden schließen und auch ihre Stimme klang versöhnlich. „Und habt ihr euch geküsst?" Die Neugierde konnte sie aber nicht aus ihrer Stimme verbannen. Schnell sah ich weg und meine Wangen begannen zu brennen. Ihr entging es natürlich nicht. „Er hat mich nach Hause begleitet und ich stand eine Stufe über ihm. Er hat sich zu mir hochgestreckt, aber ich weiß nicht, was er vorhatte..." Sie warf mir einen verwirrten Seitenblick zu und ich seufzte dramatisch. „Meine Eltern sind reingeplatzt." Und dann musste ich ihr jedes kleinste Detail des Gespräches und der Diskussion erzählen, während sie Witze und Kommentare machte und schlussendlich kamen wir lachend in der Schule an, wo uns alle ansahen, als hätten wir eine Schraube locker.

In der ersten Stunde am Freitag hatten wir immer Englisch. Mr Adams strahlte wie immer in die Runde und begrüßte uns ein wenig zu fröhlich für die Uhrzeit. Nyx hatte sich die ganze Zeit nach Dylan gestreckt und sogar einmal nach ihm gerufen, ich hätte vor Scham im Boden versinken können, weil sie der Meinung war, wir müssten uns unbedingt über das Date und unsere Gefühle aussprechen, aber wir hatten ihn nicht gesehen und auch jetzt saß er nicht in der ersten Reihe. Sein Platz lag leer und kalt da und ich zwang mich dazu nicht zu oft dorthin zu sehen. Ich hatte auch so schon genug Dinge, über die ich mir den Kopf zerbrechen konnte. Zum Beispiel hatte ich die ganze Zeit über, in der wir vor dem Klassenzimmer gestanden und gewartet hatten, den Blick von Troya auf mir gespürt. Er hatte sich zwischen meine Schultern gebohrt und seine Augen waren wieder dunkler als sonst gewesen, wie gestern. Es machte mich nervös, besonders da ich den Blick nicht deuten konnte. Als Nyx nach Dylan gerufen hatte, hatte er die Zähne zusammen gebissen, sich abgewandt und Lest genervt unterbrochen, der überrascht zwischen uns beiden hin und her geschaut hatte. Wusste er mehr als ich?

Das allein war schon Grund genug, um beunruhig zu sein und sich den Kopf zu zerbrechen und doch konnte ich nicht anders, als immer wieder zu Dylans Platz zu sehen. Als ich nach der ersten Schulstunde, die Hoffnung eigentlich schon vollkommen aufgegeben hatte, Mr Adams ließ uns nochmal Gedichte schreiben, aber ich brachte nichts zu Stande, ging unverhofft die Türe auf. Nyx stieß mir leicht ihren Ellenbogen zwischen die Rippen. „Dein Traumprinz kommt reingeschneit." Ich hob den Blick und erstarrte. Dylan sah ganz normal aus, bis auf ein blau lila schillerndes Hämatom, das sich von seinem Mundwinkel aus über die Wange ausbreitete. Ich sah aus dem Augenwinkel wie Nyx neben mir mit den Lippen ein Oh formte, aber ich konnte nichts anderes tun, als Dylans aufgeplatzte Lippe anzustarren. Dort wo noch gestern ein schräges Grinsen und leuchtendes Lächeln gehangen hatte, sah man jetzt lilane und blaue Nuancen. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte gefragt was passiert war oder ihn auch einfach bloß umarmt. Aber ich war wie erstarrt und zum anderen war ich immer noch mitten in der Klasse. Er erklärte Mr Adams kurz etwas und wirkte dabei genauso ruhig und gefasst wie sonst auch immer. Als er sich setzen durfte und unsere Blicke sich trafen, bekam er sogar ein Lächeln zustande, das ich nicht erwidern konnte. Es sah müder aus und nirgends war das Leuchten zu finden. Alle anderen in der Klasse hatten wieder ihren Blick auf ihr Papier gesenkt, betroffen oder gleichgültig, und taten so, als sei nichts gewesen. Ich wandte mich an Nyx. Mein Körper fühlte sich an, als sei mir eine Schüssel Eiswasser über den Kopf geschüttet worden. Die Stimmung hatte von einem Moment auf den anderen umgeschlagen. „Was ist hier los?" Sie sah auf und ich erkannte Bedauern in ihrem Blick. Dann schüttelte sie leicht den Kopf. „Das sollte lieber er dir selbst erklären." Eine Welle von heißem Zorn stieg in mir auf. „Ich will es aber von dir hören!" Ich sprach zu laut, ein paar Köpfe, vor allem die von den Klonen, wandten sich schon in unsere Richtung, aber es war mir egal. Nyx seufzte und wich meinen Augen aus. „Später, okay?" Ganz und gar nichts war okay! Irgendetwas lief hier entschieden falsch, alle wussten es, auf ihr Verhalten und ihre Blick zu schließen, aber niemand wollte mich aufklären. Sogar Mr Adams sah immer wieder mitleidig zu Dylan, der sich über seinen Block beugte und so tat, als bemerke er nichts. Das alles, diese gesamte Situation brachte mich zur Weißglut. Was schwiegen sie zu Tode?

Wege der Liebe. ~oder wie man eine Horde geisteskranker Jungs überlebt.~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt