Schüsse.

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Als ich mein Fahrrad vor unserer Haustüre abstellte, fühlte ich mich mental und physisch ausgelaugt. Meine Beine und mein Po schmerzten vom Hügel hoch und runter fahren und den holprigen Wegen und ich machte mir Vorwürfe, dass sich Eros mehr um Dylan gekümmert hatte, als ich, die mit ihm gestern ausgegangen war. Wir hatten heute nicht einmal ein Wort gewechselt. Ich klappte mit den Fuß den Fahrradständer aus und träumte schon von meinem Bett. Morgen könnte ich ausschlafen, mir einen Kakao machen und eine Auszeit von allem nehmen. Ich vermutete zwar, dass sie wegen meinem Beitritt so viel probten, damit ich so schnell wie möglich die zwei Jahre der Band nachholen konnte, aber langsam wurde es mir zu viel. Die Streitereien zwischen Troya und Eros, die Fehler, die ich machte, das Konzentrieren, die ganzen Lieder. Und Nyx hatte mir gesagt, dass sie am Sonntag schon wieder proben wollten. Bei dem Gedanken daran, wurde ich schon wieder unendlich müde.

Ich griff nach meiner Tasche, um den Schlüssel heraus zu holen, aber griff ins Leere. Verwirrt sah ich mich um. Weder um meine Schulter hing die Tasche noch auf dem Gepäckträger des Fahrrads befand sie sich. Schnell dachte ich zurück. Hatte ich sie gehabt, als Eros uns aus der Garage geschmissen hatte? Nein, das wüsste ich noch. Also musste sie noch im Proberaum liegen. Mit meinem Portemonnaie, meinem Schlüssel und meinem Handy. Ich klingelte an der Türe, aber hörte die Töne ungehört im Inneren des Hauses verklingen. Heute war Freitag und schon nach neunzehn Uhr. An Freitagen gingen meine Eltern von jeher zusammen aus. Und da es durch den Umzug ein paar Mal in Vergessenheit geraten war oder sie einfach zu erschöpft dafür gewesen waren, nahmen sie es jetzt noch strenger. Und ohne Handy konnte ich sie nicht erreichen. Dazu kam noch, dass wir uns noch nicht darauf geeinigt hatte, wo wir den Ersatzschlüssel verstecken sollte, falls jemand mal vor der verschlossenen Türe stehen sollte, so wie ich jetzt, so dass er jetzt irgendwo im Haus lag, wo er mir nicht viel nutzte. Ich lehnte meine Stirn an das kühle Holz unserer Türe. Jetzt konnte ich den ganzen Weg zurück zum Proberaum fahren, mit der Möglichkeit, dass gar niemand mehr da war und ich zurückfahren und auf der Stufe vor unserer Haustüre auf meine Eltern warten konnte.

Seufzend schwang ich mich wieder auf mein Fahrrad. Meine Beine protestierten, genau wie mein Kopf, der sich auf ein wenig Fernsehen und dann mit warmen Socken, nach einer heißen Dusche ins Bett legen gefreut hatte. Aber wenn ich sowieso nicht rein konnte, konnte ich wenigstens etwas tun, das mich vielleicht ein wenig meinem Bett näher brachte. Wenigstens war es noch nicht so spät, dass die Sonne unterging. Diesmal kam mir der Weg länger und anstrengender vor als sonst. Als ich durch die Wiese fuhr, hätte ich am liebsten mein Fahrrad auf den Weg geworfen und mich ins Gras gelegt. Bloß der Gedanke an die ganzen Insekten, als ich die Grille zirpen hörte hielt mich davon ab. Ich klappte wieder den Fahrradständer aus, statt es diesmal einfach bloß ins Gras zu werfen, dann müsste ich mich später nicht mehr danach bücken und ging auf die Türe der Garage zu. Sie lag im Halbschatten und der Rost, der die Farbe abblättern ließ, sah aus wie ein merkwürdiger Ausschlag. Als ich am Türknauf rüttelte, schepperte sie ein wenig vor sich hin, aber blieb verschlossen. Der Riegel lag noch vor. Meine Hoffnung verpuffte und es folgte auch keine Reaktion, als ich klopfte. Nirgends, egal wie lange ich die Wände neben der Türe musterte, sah man eine Klingel und ich gab auch die letzten Hoffnungen auf. Niedergeschlagen stapfte ich den Kiesweg zum Hauptweg zurück und mein Blick fiel kurz auf die Haustüre des Anwesens. Sie lag drei runde Stufen über dem Kies und war in einem hübschen, cremigen Hellgrün gestrichen und darüber erkannte man ein halbrundes Fenster, in dem sich ein kleinerer Halbkreis aus einem grünen Metall befand, von dem drei Streben an den Rand führten, die das Glas in vier gleichgroße Teile unterteilten. Neben ihr lag ein Erker, dessen Verstrebungen ebenfalls in dem Grün gestrichen waren und mir fiel jetzt erst die enorme Größe des Hauses auf. Es waren drei Stockwerke, das Dach nicht mitgezählt, über und über mit rot gerahmten Sprossenfenstern, anderen Fenstern mit schlichten, viktorianischen Bleiverglasungen durchsetzt und sogar einem Turm, der sich rund in die Höhe schwang und dessen Dach sich dunkel gegen den jetzt in Orange- und Rottönen erstrahlenden Himmel abhob. Staunend stand ich einen Moment davor. Es hatte eine altehrwürdige Ausstrahlung und ich wunderte mich, dass sie mir bis jetzt noch nie aufgefallen war, wo sie doch so schwer zu übersehen war, jetzt da ich das Haus näher betrachtete. Eine feine Sehnsucht schlich sich in meine Brust. Die Pinien, die das Bild des Hauses abrundeten, die weitläufige Wiese vor dem Haus und das Glasdach des Proberaumes. Ich würde so viel dafür geben, um so etwas besitzen zu können und das hier stand einfach am Rand eines Waldes, halb vergessen in das ewig währende Rauschen der Blätter gebettet. Ohne groß nachzudenken war ich die drei Stufen zur Türe heraufgestiegen und fühlte das glatt polierte, grünliche Kupfer des wie ein Löwenkopf geformten Türklopfers unter meinen Fingern. Ohne Hoffnung, dass mir tatsächlich jemand öffnete, ließ ich es auf die Metallplatte in der Türe sausen. Der dumpfe Laut schwebte einen Moment in der Luft, bis er verhallte und man bloß noch das Zirpen der Grillen und das Rauschen der Blätter hörte. Der Anblick des Hauses schien mir neue Kraft gegeben zu haben. Ich ging frischen Mutes zurück zu meinem Fahrrad und sah das Haus noch einmal an. Die Flammen des Sonnenunterganges, fraßen sich an den weißen Wänden entlang nach unten und hinterließen den Eindruck als würden sie glühen.

Wege der Liebe. ~oder wie man eine Horde geisteskranker Jungs überlebt.~Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt