Kapitel 10 - Recht auf Leben

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LAETITIA

Ich irre nun schon seit drei Nächten durch den Wald und frage mich, wann das endlich ein Ende nehmen wird. Ich muss mich von Wurzeln, Beeren und Pilzen ernähren aber werde davon nie angemessen satt. Eigentlich bin ich solch eine Ernährung bereits von den Yaroras gewohnt, doch die Erschöpfung durch das Laufen und die Sorge, jeden Moment gefasst zu werden, schlägt mir ziemlich auf den Magen.

Seit einiger Zeit ist von meinen Verfolgern nichts mehr zu sehen, und ich vermute, dass sie die Suche mittlerweile aufgegeben haben oder bereits auf den Weg zu Lucius sind.

Ich seufze verzweifelt und laut zugleich auf. Sie dürfen Lucius nicht bekommen.

Heute entdeckte ich einen kleinen Bach, an dem ich mich endlich einmal wieder satt trinken konnte. Vorher habe ich einzig und allein morgens die Tautropfen von den Gräsern geleckt, das habe ich ebenfalls von den Yaroras gelernt.

Ich folge nun erschöpft dem Lauf des Baches, weil ich hoffe, so irgendwann hier herauszukommen. Oft denke ich an meinen Zwilling, Lucius. Was soll ich machen, wenn sie ihn mitnehmen? Werden sie ihn töten? Warum wollen sie ihn überhaupt? Ich schlucke stark.

Langsam muss ich mir eingestehen, dass ich mich im Wald verirrt habe und vielleicht noch Tage, wenn nicht gar wochenlang hier nicht herauskommen werde.

»Oh Kenai, wo bist du nur? Hoffentlich tut man dir nichts Schreckliches an«, murmele ich leise vor mir hin.

Gegen Abend sammele ich Holz und mache mir mühsam ein Feuer, nicht nur, weil es eisig kalt ist, sondern auch, um die wilden Tiere abzuschrecken, welche in diesem Wald lauern. Ich hocke am Feuer und esse die paar Beeren, welche ich am Nachmittag gepflückt habe. Einige Wölfe heulen in dieser Nacht so laut und langgezogen, dass ich kein Auge zubekomme. Wie sehr wünsche ich mir doch nur, dass Kenai dabei ist. Ich sitze einfach nur da und wärme meine kleinen Hände am Feuer auf.

Bis zum Sonnenaufgang wird es wohl noch ein paar Stunden dauern, und es kommt mir wie eine halbe Ewigkeit vor. Ich habe in den letzten drei Nächten kaum geschlafen und fühle mich entsprechend aufgekratzt. Keinen Tag länger halte ich es hier aus.

Ich wende meinen Blick von dem Feuer ab und richte ihn auf das Schwert, welches neben mir liegt. Es gehörte Caeser. Ein heftiger Kloß bildet sich in meinem Hals und ich schlucke kräftig.

»Das ist alles meine Schuld ...« Bedrückt schaue ich zu Boden. Ich sollte nicht das Recht haben, noch lebendig hier zu sein. Caeser sollte es. Meine Schuldgefühle fressen mich innerlich auf, und die dunkle Wolke auf meinem Herzen umschließt dieses nun ganz.

»Bitte vergib mir ...«

Irgendwo knackt ein Ast, und ich zucke erschrocken zusammen. Für einen Augenblick spitze ich meine Ohren, doch höre danach nichts mehr. Das habe ich mich sicherlich nur eingebildet. Langsam entspanne ich mich wieder ein wenig und nach einiger Zeit fallen mir kurz die Augen zu.

Wieder ein Knacken, ein leises Grummeln und sofort öffne ich meine Lider. Ich betrachte den dunklen Wolf, welcher sich meiner Feuerstelle nähert. Seine Augen funkeln rot auf im Feuerschein. Die Flammen scheinen das Tier gar nicht abzuschrecken, es kommt immer näher und fletscht mit den Zähnen.

»Bleib ruhig, Laetitia ... Mach jetzt bloß nichts Dummes«, flüstert mir meine innere Stimme zu. Jedoch gerate ich trotzdem in Panik und schreite hektisch einen Schritt zurück. Mein Herz schlägt hart und fest gegen meine Brust.

Ich schreie erschrocken auf, als der Wolf mich tief anknurrt und auf mich zuspringt. Reflexartig weiche ich zurück, als das Tier mich in den Arm beißen will.

Cruelty of Life - Band EinsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt