Kapitel 06 - Kleine Schwester

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»Warum wollte Rucus mich zur Frau?«

Sie schaut etwas bedrückt zu Boden und schweigt.

»Warum hat mein Bruder mich ihm zur Frau gegeben?«
»Weil er Gold brauchte, Herrin.« Bei ihr klingt der Titel sehr weich.

»Euer Bruder hat eine schöne Schwester und Rucus hat das Gold, welches er braucht.«

Ich verstehe ihn nicht. Wieso ist er dann noch hier?
»Also sind Geld und Macht das, was ich ihm Wert bin?«, frage ich etwas betroffen, aber was frage ich eigentlich ein Mädchen aus einer Nomadenfamilie.

Ich erwarte keine Antwort mehr von ihr und lächle ihr nur ein wenig zu, ehe ich sie für heute entlasse.

***

Eigentlich will ich nur neue Kerzen für mein Zelt bereitlegen und sie anzünden. Ich mag die Flammen und die Wärme um mich, weswegen auch die Kerzen schnell abbrennen.

Doch in dieser Nacht ist es anders.

Ich fühle mich bereits den gesamten Tag eigenartig, als würde irgendetwas passieren.

Ich betrete das Zelt und höre komische Geräusche. Zuerst denke ich, es wäre Lucius oder Cajus, welche mich wieder einmal ohne Ankündigung stören. Doch dem ist nicht so.

Ich trete näher an das Bett heran und falle urplötzlich in eine Schockstarre, als ich bemerke welche Person auf diesem Bett sitzt und zu Boden sieht.

»Rucus ...«, flüstere ich aufgelöst vor Sorge und falle ihm in die Arme. Erstickende Schluchzer entweichen meiner Kehle und Tränen überströmen meine Wangen.

Sanft legt er seine große Pranke an meinen Rücken und hält mich fest. Seine Knöchel streichen behutsam über meine seidige Haut. Vertränt blicke ich ihm tief in seine pechschwarzen Augen und bin gefesselt in seinem Blick. Er wirkt traurig. Was ist passiert? Warum war er so lange weg?

Ich beschließe, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt ist, um ihn auszufragen und drücke ihn behutsam weiter auf das Bett, sodass er nun liegt.

»Du musst dich ausruhen, mein dunkler Prinz«, befehle ich kleinlaut und gebe ihm einen kleinen Kuss auf den Mund, ehe ich mich in seine Arme lege und mich der Dunkelheit hingebe.

***

Als ich, noch immer mitten in der Nacht, erwache, bemerke ich das Rucus nicht mehr neben mir liegt. Wo ist er nun schon wieder hin? Ich richte mich auf und schreite aus dem Zelt hinaus. Im Lager höre ich Männerstimmen, welche sich zu streiten scheinen. Was ist da los?

Langsam gehe ich auf die Stelle zu, woher die Stimmen kommen und entdecke zu meiner Überraschung Amun an einer Hütte gelehnt.

Er scheint dem Schauspiel welches Rucus und Lucius abgeben interessiert zuzusehen, woraufhin ich schleichend zu ihm spaziere. Er schenkt mir einen kurzen Blick und begrüßt mich, ehe er sich wieder den beiden widmet.

»Schönen Abend, mein Kind.« Meine Lippen formen sich zu einem leichten Lächeln, welches nur Nailah allein gehört. Er ist schon immer für mich wie ein Vater gewesen. Er passt seitdem ich denken kann auf mich und meinen Bruder auf.

Mein Kopf wendet sich in die Richtung von Lucius und Rucus. Es musste ja so kommen.

Etwas genervt stehe ich am Rand des Pfades, welchen tausend Pferde getrampelt haben und sehe dabei zu, wie mein Bruder meinen Gemahl anfährt und umgekehrt.
Manchmal benehmen die beiden sich echt wie kleine Kinder, welche sich um ihr Spielzeug streiten.
»Warum machen sie das immer?«, frage ich leise.

Nur Amun Nailah scheint mich zu hören. Der bronzefarbene Mann steht direkt neben mir. Beschützend irgendwie.

»Sie sind Männer, meine Liebe. Und Männer haben Männeregos«, ist alles, was er zur Antwort gibt. Ich sehe ihn fragend an.

Cruelty of Life - Band EinsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt