41 - Familientag

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Am nächsten Morgen hätte ich eigentlich in Pauls Klasse unterrichten müssen. Nachdem ich dem Schulleiter jedoch die Situation erklärt hatte, konnte ich mit einer Lehrerin tauschen und bekam dafür eine andere Klasse. Der Schulleiter versprach mir, sich schnellstmöglich um eine Versetzung zu kümmern.

Auf dem Pausenhof sah ich Paul mit seinen Freunden zusammenstehen. Sie alberten herum und er wirkte unbeschwert. Mina kuschelte sich an ihn. Mir tat das Mädchen leid. Sie schien sich wirklich in Paul verliebt zu haben. Ich wollte nicht in ihrer Haut stecken, wenn sie erfuhr, dass sie von Paul nur benutzt wurde.

Paul und ich hatten nach dem vierten Block Schluss. Er wartete vor der Schule auf mich.

„Na, wie war der erste Schultag nach der Klassenfahrt?", erkundigte ich mich, als wäre ich schon seit Jahren seine Mutter.

„Sie wissen es", antwortete er knapp.

Ich riss meine Augen auf.

„Was wissen sie?", hakte ich nach.

Dass er schwul war?

„Dass du meine Mutter bist. Irgendjemand hat es mitbekommen und im Prinzip wurde über nichts anderes gesprochen."

Davon war ich fast schon ausgegangen. Es war mir klar gewesen, dass es sich irgendwie herumspricht, dass ich Pauls Mutter war. Mir wäre ein Outing deutlich lieber gewesen.

„Das tut mir leid."

Paul wirkte erstaunlich entspannt.

„Ist nicht so schlimm. Mir tut deshalb ja keiner etwas. Ist nur ein bisschen komisch."

Ein Hupen ertönte. Wir drehten uns um und sahen Barne aus dem Autofenster winken. Heute war unser erster Familientag und wir hatten uns alle hier verabredet gehabt.

Paul und ich sprangen auf die Rückbank des Autos. Draußen begann es zu regnen. In Deutschland hatten wir leider nicht einmal annähernd so schönes Wetter, wie in Italien. Der Sommer war endgültig vorbei.

Ich sah über den Rückspiegel zu Barne. Wir hatten uns seit gestern Abend nicht mehr gesprochen gehabt, da er heute Morgen schon um 6 Uhr losgefahren war. Ich konnte seinem Blick ansehen, dass unser nächtliches Gespräch ihm noch im Gedächtnis war.

Wir entschieden uns in ein Restaurant zu fahren. Ich hatte mich bereit erklärt alle einzuladen. Zum einen, weil ich eh in Barnes Schuld stand, weil ich nie Unterhalt bezahlt hatte. Zum anderen, weil Geld für mich keine Rolle spielte. Die Scheidung war zwar noch nicht durch, aber es stand fest, dass ich einen beachtlichen Teil von Andrews Vermögen bekommen würde. Außerdem hatte ich in den USA an der Privatschule, an der ich gearbeitet hatte, sehr viel Geld verdient gehabt und mir somit auch selbst einiges ansparen können. Ich brauchte um Finanzielles keine großen Gedanken machen.

Ich merkte im Restaurant schnell, dass Paul nicht oft in Restaurants war. Er wirkte ein wenig unbeholfen. Mit Andrew war ich zu unseren guten Zeiten mindestens einmal in der Woche gegangen, doch mir war bewusst, dass es auch eine Preisfrage war, sich so etwas leisten.

Die Männer hatten sich beide ein Steak bestellt, während ich in meinen Nudeln herumpickte.

„Ich hab am Samstag ein Spiel. Willst du hinkommen und zusehen?", fragte mich Paul, dem sein Steak gut zu schmecken schien.

„Klar. Ich hab dich noch nie spielen sehen."

Ich wusste, wie wichtig Fußball ihm war. Leider hatte ich keine Ahnung von dieser Sportart, aber natürlich würde ich dieses Spiel nicht verpassen. Ich wollte auch mal die Mutter sein, die ihren Sohn vom Spielfeldrand anfeuerte.

„Er ist wirklich gut", mischte sich Barne mit vollem Mund ein. „Gegen wen spielt ihr?"

„Gegen diese Assis aus der B-Jugend, die letzte Mal den Schiedsrichter geohrfeigt haben. Erinnerst du dich?"

Barne nickte abwertend.

„Ja, zu gut. Hatten die nicht auch zwei Schwuchteln im Team?"

Meine Gabel war kurz davor mir aus der Hand zu fallen. Am besten sollte ich sie wohl in Barnes Hand oder gar in seine Zunge spießen. Das hatte er nicht wirklich gerade gesagt!

„Ja, genau", sagte Paul abfällig.

Mir fiel nun endgültig die Kinnlade nach unten.

„Geht's noch?", erhob ich meine Stimme. Ich funkelte Barne böse zu. „Wieso nennst du Schwule Schwuchteln? Vor den Ohren deines Sohnes? Schon mal was von Vorbildfunktion gehört!"

Barne verdrehte genervt die Augen.

„Reg dich ab! Es war doch nur so dahin gesagt! Fühl dich doch nicht gleich persönlich angegriffen."

Es war ihm offensichtlich nicht entgangen, dass ich gerade von 0 auf 180 geschossen war.

„Das spielt keine Rolle", protestierte ich. „So etwas ist verletzend! Das sagt man nicht."

„Mein Gott, es ist doch kein Schwuler weit und breit zu sehen. Kannst du in deinem Privatleben nicht mal die spießige Lehrerin ablegen!"

Ich war kurz davor aus der Haut zu fahren.

Ich sah zu Paul. Er wirkte wütend. Jedoch nicht auf Barne, sondern auf mich.

„Ich möchte solche Worte nicht hören", sagte ich entschieden.

Die Stimmung am Tisch war schlagartig gesunken.

„Man ey, das hier ist keine Debatte im Bundestag. Ich muss doch nicht immer politisch korrekt sprechen, wenn wir unter uns sind", wehrte er sich.

„Wenn du in meine Näher bist, hast du nicht Schwuchtel zu sagen!"

Barne schob wütend seinen Stuhl zurück.

„Wo willst du hin?", fragte ich sauer.

„Eine Rauchen und hoffen, dass du dich wieder abreagiert hast, wenn ich wiederkomme."

Er warf mir einen letzten bösen Blick zu und ging dann nach draußen. Ich wusste gar nicht, dass er noch rauchte. Während der Klassenfahrt hatte ich ihn nicht einmal mit einer Zigarette gesehen.

„Geht es eigentlich noch auffälliger?", maulte Paul mich nun voll.

Ich sah ihn fragend an.

„Regst du dich gerade wirklich darüber auf, weil ich versuche dich zu beschützen!"

„Du machst es damit nur schlimmer. Wenn du so weiter machst, wird er sich bald selbst denken, was ich bin."

"Was heißt denn hier was ich bin? Du bist sein Sohn. Das weiß er bereits."

"Ich bin aber seine schwuler Sohn", zischte er über den Tisch hinweg.

„Na und? Du bist doch die gleiche Person."

„Du hast gerade selbst gehört, wie er über Schwule redet!"

„Irgendwann wirst du es ihm eh sagen müssen. Du willst doch wohl kaum dein ganzes Leben lang ein Doppelleben führen. Sag es ihm am besten jetzt."

„Ich will selbst bestimmen, wann ich es ihm sage und nicht, dass er es durch irgendwelche Anspielungen meiner Mutter herausfindet. Also verhalte dich gefälligst unauffällig."

Ich verstand das nicht. Wieso spielte er dieses ganze Spiel mit? Wieso akzeptierte er es, wenn Barne solche Wörter in den Mund nahm und machte sogar noch mit? Kein Wunder, dass Barne nicht einmal den geringsten Verdacht schöpfte. Es wird ihn förmlich aus den Socken hauen, wenn er es erfährt.

Barnes BabyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt