34 - Du bist das Kind

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Als wir an der nächsten Raststätte ankamen, stiegen Barne und ich als erstes aus und warteten direkt am Bus auf Paul. Wir waren beide so nervös wie noch nie zuvor im Leben. Doch Paul kam nicht. Alle außer Paul stiegen aus. Offensichtlich hatte er sich entschieden im Bus sitzen zu bleiben.

„Gehen wir rein?", fragte ich verunsichert.

Barnes Blick ruhte kurz auf mir. Dann sagte entschieden „Ja".

Wir stiegen die drei Stufen in den Bus. Mein Herz hämmerte immer schneller.

Pauls saß gedankenversunken auf dem mittleren Sitz in der letzten Reihe.

Er tat mir so unendlich leid. Es musste furchtbar sein, es so zu erfahren. Er fühlte sich mit Sicherheit von uns hintergegangen.

Als er uns sah, wurde sein Blick finsterer. Nicht nur mir gegenüber, sondern auch zu Barne und das verschaffte mir ein unglaublich schlechtes Gewissen. Es war okay, wenn er mich hasste, aber ich wollte nicht, dass sich dieser Hass auch auf Barne übertrug. Ich wollte das Verhältnis zwischen den Beiden nicht zum Negativen ändern.

„Haut ab!", gab er beleidigt von sich und verschränkte die Arme vor seiner Brust. 

Barne setzte sich trotzdem neben ihn, während ich stehen blieb. Wir würen nicht abhauen.

„Geht weg!", ertönte es wieder. Er sprach jedoch weiter. „Findet ihr das fair? Mir die ganze Zeit etwas vorzuspielen?"

Er wirkte zutiefst verletzt.

„Es war meine Schuld. Ich wollte nicht, dass du es während der Klassenfahrt erfährst", sagte Barne einfühlsam. „Ich wollte es dir heute Abend sagen, wenn wir zu Hause sind."

„Kannst du dir stecken lassen. Ich will kein Teil von eurer ach so tollen Familie sein."

Paul sah verzweifelt und durcheinander aus. Er tat mir so unglaublich leid. Er wirkte völlig überfordert. Am liebsten hätte ich ihn noch einmal umarmt, doch natürlich wusste ich, dass es die Situation nur verschlimmern wurde. Er wollte mit mir vorerst nichts zu tun haben.

„Ich kann dich verstehen", mischte ich mich nun vorsichtig ein. „Wirklich. Es ist okay, wenn du Zeit brauchst das zu verarbeiten. Du entscheidest, was wir beiden für eine Beziehung haben werden. Ich möchte mich nicht aufdrängen, aber ich will, dass du weißt, dass du immer zu mir kommen kannst. Die Entscheidung liegt bei dir."

„Ich entscheide? Ist das so?", entgegnete er provokant. „Mich ohne Vorwarnung zu umarmen ist in meinen Augen durchaus Aufdrängen. Hätte ich die Wahl gehabt, hätte ich mich nämlich dagegen entschieden. Ich will mit Ihnen nichts zu tun haben!"

Es war absurd, dass er mich noch immer siezte.

„Es tut mir leid. Das mit dem Umarmen war wirklich ein Fehler von mir. Ich habe dich damit überrumpelt."

„Ja, Fehler scheinen Sie ja gerne zu machen. Genau wie mit meinem Vater zu schlafen." Er sah nun zu seinem Dad. „Du erzählst mir immer etwas von Verhütung und jetzt sowas?", kam es vorwurfsvoll über seine Lippen.

Barne und ich sahen uns irritiert an. Es machte keinen Sinn, was Paul sagte. Hätten wir verhütet, würde er nicht existieren.

„Wovon redest?", fragte Barne sichtlich verwirrt.

„Naja, die Schwangerschaft ist wohl kaum geplant gewesen, oder?"

„Nein, das war sie nicht, aber warum solltest du wollen, dass wir verhütet hätten?", entgegnete Barne erstaunlich gelassen.

Nun war auch Paul verwirrt.

Ich verstand gar nichts mehr und es schien den anderen Zweien ebenfalls zu gehen.

„Liegt das nicht auf der Hand? Damit Frau Steward nicht schwanger von dir ist."

Seine Zeitform stimmte nicht.

„Moment mal!", rief ich nun dazwischen. „Ich bin nicht schwanger."

Oh Gott, ich begann zu verstehen. Er dachte, dass ich schwanger von seinem Vater war. Und zwar jetzt. In diesem Augenblick. Mit einem Baby. Ich konnte mich nicht mehr genau an die Worte erinnern, die wir vorhin benutzt hatten, doch offenbar hatte es sich für ihn angehört, als wäre ich jetzt schwanger. Wir hatten davon gesprochen gehabt, dass wir bald eine Familie sein würden. Paul hatte das komplett falsch verstanden.

„Nicht?", fragte er mit Fragenzeichen in den Augen. "Aber was soll dann das Gerede von Familie und so? Sie haben sich gestern Morgen übergeben und sind deshalb im Hotel geblieben. Sieht so nicht Morgenübelkeit aus? Und sie hatten Sex mit meinem Vater. Für mich sieht das nach Schwangerschaft aus. Könnte mir das bitte mal jemand erklären?"

Er hatte immer noch keine Ahnung. Er vollkommen auf dem Holzweg. Er wusste nicht, dass ich seine Mutter war und das begriff jetzt auch Barne.

Hilfesuchend sah er kurz zu mir. Wir mussten es ihm jetzt sagen. Hier in diesem Bus.

„Sie ist nicht schwanger", sagte er unserem Sohn ruhig.

„Aber du hast doch eben selbst gesagt, dass ihr nicht verhütet habt. Worauf war das dann bitte bezogen?"

„Sie war schwanger."

Pauls Blick schnellte zu mir.

„WAS?", kam es schrill aus Pauls Kehle. „Also kennt ihr euch schon länger und Frau Steward hat bereits ein Kind von dir und jetzt sollen wir vier eine Familie werden oder was? Ist es das?"

Das hier wurde alles nur noch schlimmer. Warum sprach Barne nicht einfach Klartext?

Der Groschen fiel bei Paul noch immer nicht. Es war einfach zu abwegig für ihn. Es war an der Zeit endlich Licht in seine Dunkelheit zu bringen. Und wenn Barne das nicht schaffte, dann musste ich das eben tun.

Ich beugte mich nun zu Paul nach unten, sodass wir auf Augenhöhe waren. Er sah verängstigt aus. Nicht vor mir, sondern vor dem, was ich ihm gleich sagen würde. Die ganze Situation überforderte ihn. Er schien zu spüren, dass die folgende Worte sein Leben verändern würden.

„Paul, du bist das Kind", sagte ich ihm mit schwacher Stimme. "Ich war mit dir schwanger."

Barnes BabyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt