Die Kälte im Labor kriecht mir bis in die Knochen. Ich sitze mit überschlagenen Beinen an meinem Arbeitsplatz, und das sterile LED-Licht über mir taucht den Tisch in ein hartes, weißes Leuchten. Der Rest des Raumes versinkt in Schatten.
Vor mir stehen mehrere Töpfe, randvoll mit Erde. Vorsichtig drücke ich die Oberfläche glatt, meine behandschuhten Hände wirken fast wie fremd an mir. Die Pflanzen sollen weich und sicher in ihrem neuen Zuhause sitzen. Besonders das Exemplar, das ich gerade einsetze, zieht meinen Blick auf sich: ein langer grüner Halm, umringt von roten Dornen, und darüber eine fleischige Rose, deren Pigmente von tiefstem Grün bis zu warmem Rot reichen. Sie wirkt lebendig, fast pulsierend.
Lucy arbeitet neben mir. Wir sind ungefähr gleich alt, aber sie wirkt immer ein wenig erwachsener als ich. Ihr blondes Haar glitzert im Licht, streng nach hinten gebunden, damit keine Strähne sie in ihrer Konzentration stört. Als sie bemerkt, dass ich nach der Gießkanne suche, reicht sie sie mir ohne ein Wort, nur mit einem kurzen, verständnisvollen Nicken. Ich gieße die Pflanze vorsichtig, beobachte, wie sich die Erde dunkel und fest zusammenzieht.
Dann zerreißt ein lautes Knacken und Kratzen die Stille. Ich zucke zusammen. Lucy hebt den Kopf, runzelt die Stirn - und dann versteht sie plötzlich, woher das Geräusch kommt. Die alte Sprechanlage an der Decke, ein vergilbtes Relikt aus längst vergangenen Zeiten, knackt erneut.
Die raue Stimme unserer Chefin dröhnt aus dem Lautsprecher, als würde sie gegen einen Sturm anbrüllen:
„Meine Damen... aufgrund des Unwetters... technische Probleme... falls das Licht ausf-"
Die Stimme bricht ab. Gleichzeitig erlischt das Licht.
Schwärze dunkelt uns.
Aus Lucys Richtung höre ich panische Schreie.
Nur das grüne Leuchten des Notausgangsschildes brennt wie ein einsames Auge in der Dunkelheit.
YOU ARE READING
Der Trieb
Mystery / ThrillerAls ein Experiment in einem geheimen Forschungslabor außer Kontrolle gerät, werden Maddy und ihre Kolleginnen von einer plötzlichen Sinnflut überrascht. Eingeschlossen im zweiten Stock müssen sie herausfinden, was wirklich im Labor passiert ist, bev...
