12.

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Margaret

Ihn so nahe bei mir zu haben war wie ein Rausch. Ein bittersüßer Rausch, weil ich ganz genau wusste, dass aus uns zwei nie irgendetwas werden könnte. Er hatte ja Mary und sie liebten einander. Sehr sogar. Das wusste ich, man sah es ihnen an. Und so sehr ich es bedauerte, so konnte ich doch nichts daran ändern.

In seinen Armen hätte ich ewig so weiterliegen können. Eng umschlungen und meine Hand auf seiner starken Brust, unsere Gesichter waren so nah beieinander, dass nur ein paar Zentimeter für einen erneuten Kuss gefehlt hätten. Doch das würde nicht passieren, Raphael würde wahrscheinlich in diesem Moment alles Geschehene bereuen.

Doch als würde er meine Gedanken vernehmen, drückte er mich noch fester an sich und flüsterte in mein Ohr:

"Du bist so unfassbar, wo warst du all die Jahre? Ich glaube du verdrehst mir gerade den Kopf..."

Er drückte mir einen Kuss auf die Stirn und stand ruckartig auf.

"Die Zeit, Margaret! Wir haben sie völlig vergessen, wir sollten längst auf dem Heimweg sein!"

Stimmt, wir sollten pünktlich zum Dinner wieder zurück sein und wir lagen so ewig an diesem kleinen Fleckchen Erde, dass wir die Sonne, die sich immer mehr gen Westen wandte gar nicht bemerkten. Schnell packte ich meine Sachen zusammen und band mein Pferd ab. Raphael und ich saßen wenige Minuten später im Sattel und galoppierten schweigend zurück.

"Raphael?"

"Ja?"

"Wir sollten eine Abkürzung durchs Dorf nehmen." Ich sprach immer ohne Umschweife und Erklärungen, es sparte Zeit und ersparte mir Rechtfertigung. Der Weg durchs Dorf war allerdings gewagt. Mein Vater war ein gütiger Landherr, doch die Soldaten des Königs zogen nun immer öfter Streife durchs Land. Raphael stellte keine Fragen und folgte mir schweigend.

Die Wege wurden ebener, je näher wir dem Dorf kamen. Das war einer der Gründe, weshalb ich diesen Weg so selten benutzte. Einmal hasste ich es Menschen begegnen zu müssen, andererseits liebte ich die Unberührtheit der Natur, sie ließ einen bedenken, dass sie letztlich doch über den Menschen siegen würde. So war es immer und so wird es immer sein. Es war nur noch eine Frage der Zeit bis sich die Menschen selbst zerstörten und der Tag des jüngsten Gerichtes kommen würde. Gott würde dann über die Menschen richten. So hatte es der Pfarrer jedenfalls immer gesagt. Ich selber hieß zwar keinesfalls die Wollust der Herrscher gut, aber ich war trotz alldem davon überzeugt, dass dem Menschen durch die Liebe ein wichtiges Gut von Gott mitgegeben wurde. Etwas, was uns doch daran hindern würde uns selbst zu zerstören.

Als wir schließlich das Dorf erreichten, wurde ich durch schreckliche Schreie aus meinen Gedanken gerissen. Ohne lange zu überlegen gab ich meinem Pferd die Sporen und galoppierte in die Richtung, aus der die Schreie kamen. Wäre ich klüger gewesen, hätte ich einen großen Bogen um das Dorf gemacht.

Die Schreie kamen aus einer schmalen Gasse, in der nur wenige Häuser standen. Schon von weitem konnte ich das brennende Holzkreuz vor einem hölzernen Haus am Ende der Gasse entdecken. Der Anblick, der sich mir dort erbot war schrecklich.

Um das Feuer herum standen zwei kleine Kinder, die sich wimmernd an den Händen hielten und nach ihrer Mutter riefen. Die Mutter wurde von zwei schwer bewaffneten Soldaten gehalten, schrie, trat um sich und schluchzte verzweifelt den Namen ihres Mannes, welcher bewusstlos auf dem Boden lag. Die restlichen Soldaten standen um ihn und prügelten auf ihn ein.

Man brauchte nicht lange nachzudenken. Die Situation war selbst erklärend. Es musste sich um Katholiken handeln, die verraten worden waren. Das brennende Holzkreuz und die Brutalität, mit der die Soldaten vorgingen...

"Aufhören!", platzte es aus mir heraus.

"Sofort aufhören!"

Ich sprang vom Pferd und lief mitten in das Geschehen. Die Kinder blickten mich ungläubig an, als ich mich zwischen den blutenden Mann und die Soldaten warf. Es zeigte Wirkung. Von dem Mann wurde abgelassen. Frau und Kinder stürzten auf ihn und die Soldaten widmeten sich nun mir. Die Zwei, die zuvor die Frau gehalten hatten kamen mir bedrohlich nah und ich schrie sie an:

"Wer gibt euch das Recht so mit dieser Familie umzugehen?!"

Es war ein verzweifelter Versuch sie zu bekehren und von mir fernzuhalten.

Ein besonders massiger, glatzköpfiger Soldat musterte mich abfällig und spuckte mir dann die Worte ins Gesicht, als wolle er mich damit schlagen.

"Der König. Diese Unwürdigen haben gegen seine heiligen Gesetze verstoßen. Wenn du mir nicht sofort einen Grund lieferst, warum ich dich nicht sofort in den Tower sperren sollte, dann sieht es schlecht für dich aus."

Sein dreckiges Grinsen ging mir durch Mark und Bein.
Die beiden Soldaten packten mich an den Hamdgelenken, ich schaffte es mich aus einem Griff zu befreien und dem Mann rechts von mir eine ordentliche Ohrfeige zu verpassen,  doch wurde sogleich von drei weiteren Soldaten überwältigt.

Plötzlich hörte ich Hufe hinter mir. Mehrere Pferde.

Die Soldaten ließen augenblicklich von mir ab und der Glatzkopf erstarrte.

"Lasst sie los, ihr Idioten!"

Diese Stimme kannte ich doch.

GreensleevesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt