Kapitel 11.

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In diesem Moment fühlte ich mich so unwohl, sodass ich Finn bat mich herunterzulassen. Ich musste unbedingt auf die Toilette um kurz zu Atem zu kommen. Ich brauchte kurz meine Ruhe und etwas Abstand zu ihm.
Ich konnte nicht mehr wirklich mit körperlicher Nähe umgehen. Zumindestens nicht bei Leuten, die ich kaum kannte. Seit dem die Geschichte mit meinem Exfreund passiert war, zog ich mich vor körperlicher Nähe zurück.
Und es war sowieso verwunderlich, dass ich bereits so viel Nähe zu Finn zugelassen hatte. Aber er hatte etwas in mir geweckt, was ich seit Monaten zu verstecken versuchte. Er drang durch meine selbsterbaute Mauer, ließ sie langsam bröckeln und ich wusste ehrlich gesagt nicht, ob ich das nun gut oder schlecht fand. Ich wusste nicht einmal, ob ich wollte, dass jemand durch sie hindurch brach. Schließlich hatte ich sie mühsam erbaut, damit niemand je wieder versuchen konnte mich auf jegliche Art und Weise zu verletzen.
Sollte nun Finn derjenige sein, der meine Mauer durchbrach und mir half wieder Nähe zu zulassen? Sollte er vielleicht mein 'Retter' sein, der mich vor mir selbst schütze und der mich vor anderen verteidigte? So ganz glauben konnte und wollte ich das nicht.

"Alles ok?", erklang Finn's Stimme durch die Tür zum Vorraum der Toilette.
Ich starrte mein Spiegelbild an und sprach mir Mut zu. Meine Mauer würde stand halten und ich erst recht. Daran würde auch ein Finn nichts ändern können.
Meine Hand drückte die Klinke runter und ich trat ihm gegenüber.
"Ja,alles gut. Ich hätte dir sagen müssen, dass ich eine Niete in Sport bin. Tut mir leid. Mein Kreislauf hat vor Schock ein bisschen nachgegeben."

Setz dein perfektes Lächeln auf. Genau das, was deine Mutter auch immer zu sehen bekommt. Dann kommt das glaubwürdiger und er stellt keine weiteren unnötigen Fragen

Und ich lächelte. Finn auch. Aber sein Lächeln war wenigstens ehrlich im Gegensatz zu meinem. Doch davon ahnte er nichts.

"Dann hab ich einen besseren Vorschlag. Morgen steigt eine kleine Party bei mir. Mein Kumpel und Mitbewohner zieht morgen komplett ein und deswegen wollen ich und ein paar gute Freunde von uns ihn überraschen. Also nur eine kleine Willkommensparty, nichts großes oder besonderes. Obwohl mein Mitbewohner eigentlich nicht so der Typ für Partys ist. Naja, ich würde mich freuen, wenn du vorbeischaust und wir ein bisschen Spaß zusammen haben. Du brauchst auch nicht allzu lange bleiben falls dir das unangenehm sein sollte."
Ich musste das Lachen unterdrücken. So wie er das gesagt hatte klang das ziemlich zweideutig. Aber ich wollte jetzt nicht kindisch sein, deswegen schluckte ich ein Kommentar runter und stoppte mein Lachen.

"Klar, klingt gut. Obwohl ich nicht so auf Menschenmasse stehe. Aber eine Stunde halte ich das schon aus.", lächelte ich ihm zu.
"Sind auch nicht viele da. Glaub mir. Nur ein paar von unseren engeren Freunden. Und keine Angst, es wird nicht nur um Alkohol gehen. Der Spaß und die Musik steht im Vordergrund."
"Find ich gut. Wann soll ich denn wo sein?" Ich wusste ja nicht einmal, wo Finn wohnte. Shit.

Nachdem wir das geklärt hatten, begleitete er mich wieder in die Innenstadt. Auf Klettern hatten wir beide nicht mehr wirklich Lust. Finn wollte noch schnell was essen gehen, bevor er mich verlassen musste. Schließlich hatte er noch einiges zu organisieren und musste noch für die Party einkaufen. Zwar hätte ich ihm helfen können, aber ich gab vor noch etwas vor zu haben. Es war zwar längst noch nicht Abend und somit stand das Abendessen mit meiner Mutter auch noch nicht an, aber ich wollte wieder etwas Abstand gewinnen. Wollte wieder alleine sein. Nichts gegen Finn, aber ich konnte gerade nicht anders. Ich war heute lange genug in Gesellschaft gewesen.

Ich saß ihm also gegenüber und stocherte in meinem Salat herum. Zu mehr hatte ich zur Zeit keinen Hunger. Finn dagegen hatte sich einen Maxiburger bestellt und mampfte fröhlich vor sich hin. Reden brauchten wir nicht. Auch so verstanden wir uns gut. Und das mochte ich an ihm. Keiner von uns brauchte etwas sagen und dennoch war es kein unangenehmes Schweigen. Ganz im Gegenteil.
Vielleicht hätte ich ihn vorhin nicht anlügen sollen, dann hätte ich gleich noch mehr Zeit mit ihm. Ich konnte mir gerade so in den Hintern beißen. Wie ich meine Stimmungsschwankungen hasste.
Aber jetzt war es definitiv zu spät und deswegen würde ich gleich einen Abgang machen und wahrscheinlich schön nach Hause schleichen. Und dort alleine in meinem Zimmer hocken und irgendeine Serie suchten. Super.

Selbst Schuld, Sophie. Selber Schuld.

"Danke, das weiß ich selbst.",antwortete ich in meinen Gedanken meiner viel zu selbstsicheren inneren Stimme.

"Hey, alles klar bei dor? Du wirkst gerade so in dich versunken, als wärtst du Kilometer weit entfernt."
Ich tauchte aus meinen miesen Gedanken auf. Ich war tatsächlich versunken gewesen.
"Ich war gerade in Gedanken. Sorry. Du, ich muss jetzt wirklich los. Ist es ok, wenn ich dich hier alleine sitzen lasse?"
"Ja, gar kein Problem. Wir sehen uns dann morgen."
Finn legte seine Hand auf meine und streichte vorsichtig rüber. Dann hob er sie wieder an und lächelte mich lieb an.
"Ja, ähm klar. Bis morgen."

Als ich später zuhause war und schon ein paar Stunden vergangen war, bemerkte ich, dass seine Geste irgendwie komisch war. Sehr liebevoll. Zu liebevoll. Und das störte mich irgendwie. Vor allem, weil ich das erst jetzt so richtig bemerkte und wahr nahm. Aber ich wollte den schlechten Gedanken los werden. Also fing ich an mich fertig zu machen und ein-und halb Stunden später saß ich mit meiner Mutter beim Griechen und verbrachte so einen schönen Abend ohne einen weiteren Gedanken an Finn zu verschwenden.

Erst als ich spät im Bett lag, dachte ich an Finn und an morgen.
Ich würde mich überraschen lassen, was passieren wird und wie Finn sich verhält, wenn er Alkohol im Blut hatte. War er dann derselbe?
Und mein letzter Gedanke war, bevor ich einschlief, ob ich den mysteriösen Typen wieder sehen würde und wann ich ihm den Schlüssel geben konnte. Dann war ich komplett weggetretten und im Land der Träume.

Gemeinsam alleinsam (Sierra Kidd FF)Where stories live. Discover now