Kapitel 2.

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Und so fuhr meine Mutter ein paar Tage später nach Berlin, um sich um unsere neue Wohnung kümmern zu können. Ich konnte leider nicht mit. Warum hatten Menschen die Schulpflicht erfunden? Aber es störte mich jetzt nicht so sehr, weil ich wusste, dass ich bald in Berlin wohnen würde und dieser Gedanke reichte schon um mich glücklicher zu stimmen.

Ich war gerade nach Hause gekommen und hörte leise Musik, um nach der Schule ein bisschen runter zu kommen, als ich die Haustür hörte.
"Steffen?", rief ich laut fragend nach unten.
"Ne, ein Einbrecher.", Steffen lachte.
Ich atmete erleichtert auf.
Kurz darauf hörte ich ihn die Treppe hoch sprinten und schon stand er an meiner Tür.
Als ich ihn so sah, musste ich schon zugeben, dass unsere Mutter da etwas tolles geschaffen hatte. Steffen sah verdammt gut aus, das musste ich ihm lassen.
Wir verstanden uns super, was so ziemlich an einem Wunder grenzte, wenn man bedachte, dass sich viele Geschwister täglich stritten. Klar stritten wir auch zwischen durch mal, wenn auch nur wegen Kleinigkeiten und dann auch nicht alzu heftig. Aber dennoch hielten wir wie Pech und Schwefel zusammen. Er war einfach immer für mich da und hatte grundsätzlicher Weise immer die perfekten Worte parat.

"Hey Kleine, bist du fertig mit dem starren? Ich weiß ja, dass ich echt gut anzusehen bin, aber du bist meine Schwester. Mach dir keine Hoffnungen." Er lachte sein typisches heiseres Lachen und trat in mein Zimmer ein. Ich grinste bloß, weil ich das schon von ihm kannte. Augenblicklich verstummte das Lachen. Steffen blickte mich an. Ihn seinem Blick lag ein Hauch von Trauer. Doch bevor ich fragen konnte, was los war, öffnete er wieder seinen Mund. "Hat Mama es dir schon erzählt? Oder muss ich das jetzt noch machen?", kam es von ihm.

Ich schüttelte den Kopf. Hatte sie schon eine passende Wohnung gefunden und es Steffen vor mir erzählt?
Doch was Steffen dann sagte, war überhaupt nicht das, was ich erwartet hatte.

"Ich werde nicht mit nach Berlin ziehen. Du weißt ja, dass ich Tamara habe und mein Abi machen muss. Und danach werde ich mit Tamara nach Köln ziehen, weil wir wahrscheinlich beide dort studieren wollen. Ich weiß, dass klingt jetzt erst einmal voll scheiße und ich weiß jetzt schon, wie krass ich dich vermissen werde, aber du musst mich auch verstehen. Und du musst das positive daran sehen: Ich kann dir das große Zimmer nicht wegschnappen." Steffen sprach die Worte so schnell, das ich erst hoffen wollte, das das alles nur ein Witz war. Aber seine Augen sagten da was anderes.

Nein, Mama hatte nichts erzählt. Noch nicht einmal etwas angedeutet. Und ich war einerseits froh darüber. Ich hätte es so oder so von ihm hören wollen. Doch andererseits irgendwie auch nicht, denn jetzt kam die Trauer gleich über mich und er stand vor mir. Ich wollte nicht,dass er meinen Schmerz sah.
"Das freut mich für dich, Bruderherz. Ich will auch ausziehen. Und du Arsch kannst es dann ja schon bald. Maaan." Und ich lächelte, aber irgendwie lächelte nur mein Mund. Der Rest meines Körpers wollte nur weinen. Ich musste mich echt zurück halten. Ich konnte mir in diesem Moment eine Wohnung ohne ihn nicht vorstellen. Steffen war einfach immer da gewesen. Er hatte früher meinen Vater ersetzt und jetzt alle meine nicht vorhandenen Freunde.

Anscheinend merkte er, dass ich kurz vor dem weinen war, denn er setzte sich zu mir auf mein Bett, nahm mich in den Arm und versprach mir, dass ich ihn immer besuchen konnte und er mich auch öfter mal besuchen kommt. Und da fingen die Tränen an zu laufen. Einfach so. Sie flossen an meinen Wangen herunter und ich spürte einen salzigen Geschmack auf meiner Haut. Wenn meine Tränen einmal liefen, hören sie nicht mehr so schnell wieder auf.

Steffen drückte mich noch fester an sich und ich hatte sofort seinen Geruch in der Nase. Sein Geruch, das Parfum, das ich ihm geschenkt hatte. Bald würde ich es nicht mehr riechen können. Ich wusste, dass er genau so traurig war wie ich, doch genau so wusste ich, dass seine Entscheidung fest stand. Und ich konnte es ihm nicht übel nehmen. Ich würde dasselbe auch machen und verstand seine Situation vollkommen. Aber es tat weh und ich würde ihn schrecklich vermissen.

Zwischen Steffen und mir war so ein starkes Band, was uns verband. Blut war schließlich dicker als Wasser. Und es stimmte. Mein Bruder war so etwas wie mein bester Freund und er war immer da gewesen. Der Gedanke ihn bald nicht mehr täglich zu sehen zeriss mir das Herz ein Stück.

Ein paar Tage später kam meine Mutter wieder zurück und zeigte mir stolz die Bilder von unserer zukünftigen Wohnung. Sie sah wirklich schön aus und ich freute mich schon sehr.

Es gab nur einen kleinen Haken.
Ich hatte es Lara immer noch nicht erzählt. Es würde nur noch ein paar Wochen dauern, bis wir wirklich nach Berlin ziehen würden und ich wusste nicht, ob ich es ihr jetzt schon erzählen sollte oder ob ich sie dort überraschen sollte. Ihre Adresse hatte ich. Einfach vor ihrer Tür stehen und sie anspringen. Würde sie sich denn überhaupt freuen? Schließlich konnte sie ja nicht wissen, ob sie mich im 'Reallife' auch mochte.

Ich ging hoch und starrte auf mein Handy. In dem Moment kam eine Nachricht von Lara.

Lara: 'Seit ein paar Tagen bist du irgendwie verändert, kann das sein? Was ist los mit dir? Machen dich die Leute an deiner Schule weiterhin fertig?'

Sophie: 'Ich glaub, ich muss dir da was sagen.'

Lara: 'Erzähl.'

Sophie: 'Meine Mutter hat einen neuen Job bekommen, besser gesagt den selben in einer anderen Stadt..'

Lara: 'Oh shit man. Aber du magst dein Kaff ja nicht und ein Neuanfang würde vielleicht auch gut sein. Vielleicht ist es besser so. Wo denn überhaupt?'

Sophie: 'Ja, da hast du wahrscheinlich Recht. Aber ich hoffe mal der Neuanfang beginnt mit dir. Mama und ich ziehen nämlich nach Berlin!'

Und dann kam eine sehr laute Sprachnachricht, wie sehr sie sich freute und ob ich sie nicht anlügen würde. Und sie meinte, dass sie es kaum noch erwarten konnte, bis wir uns endlich sehen würden. Sauer, das ich es ihr nicht gleich erzählt hatte, war sie nicht.
Ich freute mich nun umso mehr.

Nachdem ich es ihr endlich erzählt hatte, packte ich umso schneller die Kartons und fing jetzt mit voller Liebe an aufzuräumen. Viele der Sachen brauchte ich nicht mehr. Und da meine Laune richtig gut war, schaltete ich meinen Laptop ein und machte mir eine Gute-Laune Playlist bei Spotify an und fing an zu tanzen.
Dabei fing ich an zu träumen, wie mein Leben vielleicht ab jetzt laufen könnte.

Gemeinsam alleinsam (Sierra Kidd FF)Donde viven las historias. Descúbrelo ahora