SECHS

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Ich schloss schmerzhaft die Augen und drehte meinen Kopf weg. Da war es.

Wieder Stille. Eine schreckliche Stille.

Plötzlich spürte ich Laylas Finger aus meinen Fingern entgleiten. Sie durfte nicht gehen. Sie durfte mich nicht im Stich lassen. Ich sah sie ängstlich an.

Sie sah mich an. „Wie meint sie das?"

Ich konnte nicht reden. Ich hatte einen Kloß im Hals und ich wusste, wenn ich jetzt reden würde, wäre ich in Tränen ausgebrochen, deshalb schwieg ich.

„Wie ich das meine?", lachte meine Mutter gehässig und wollte gerade weiterreden, als mein Vater sie unterbrach.

„Danielle, sei still", knurrte er.

„Still sein? Sie hat das Recht darauf zu erfahren, wer er wirklich ist!"

„Menschen machen Fehler! Er ist immer noch unser Sohn!"

Plötzlich sprang meine Schwester auf. „Nein, ist er nicht! Vater, sieh ihn dir an, er würde für den Rest seines Lebens Fehler machen!"

Ich wollte verschwinden. In tausend kleine Teile zerspringen und nie wieder kommen.

„Was hat er getan?", fragte Layla mit trauriger Stimme.

Ich hätte sagen können, sie solle gehen und sich nicht ihre ekligen Worte über mich anhören, damit sie nicht die Wahrheit erfuhren konnte, doch das tat ich nicht. Diesmal gewann der bessere Teil meiner Seele. Ich hatte sie nicht verdient und deshalb sollte sie die Wahrheit erfahren. Es war mir klar, dass er keinen anderen Ausweg geben würde.

Doch sie sollte die richtige Wahrheit wissen.

„Er hat einen Mann abgestochen!", schrie meine Schwester. „Dieser minderwertige Junge hat einer Familie den Vater genommen und das nur, weil er unter Drogen stand!"

„So war es nicht!", traute ich mich zu sagen. „Ich habe ihn nicht umgebracht!"

Alle sahen mich an.

„Du wagst es dich den Mord abzustreiten?", brüllte meine Mutter wieder. „Nach zwei Jahren wagst du es dich alles zu leugnen?"

„Hör ihm doch wenigstens zu!", mischte mein Vater sich ein.

„Ihm zuhören? Er hat meine Aufmerksamkeit nicht verdient!" Sie ging wieder mit schweren Schritten auf den Tisch zu und nahm die Pralinenschachtel, die ich für sie kaufte, um ihr zu zeigen, dass sie mir fehlte. Wütend riss sie die Verpackung auf und schmiss eine nach der anderen Praline nach mir. „Nimm deine Schokolade und verschwinde aus meinem Haus, ich will dich hier nicht sehen! Du bist nichts! Nichts!"

Ich nahm die Schmerzen, die sie mir zufügte, indem sie meinen Kopf traf hin, als wäre es nichts. Ich verdiente es, das wusste ich.

„Siehst du jetzt, wie armselig er ist?", rief meine Mutter zu Layla, die immer noch entsetzt neben mir stand. „Siehst du jetzt, was er angerichtet hat? Er ist ein schrecklicher Mensch! Ein Mörder, ein Tyrann!"

Ich drehte mich zu Layla und nahm wieder ihre Hand, als ich auf sie einredete. „Bitte, hör ihnen nicht zu! Ich bin kein Mörder, das ist alles ein riesiges Missverständnis! Bitte, glaub ihnen nicht!"

„Was redest du denn da?", schrie jetzt auch mein Bruder und ging von dem Tisch weg. „Du belügst das arme Mädchen, damit du nicht mehr wie ein einsamer Penner durch die Gegend ziehen musst? Sie hat die Wahrheit verdient!"

„Aber das ist nicht die Wahrheit!" Ich schrie ebenfalls.

„Natürlich ist das die Wahrheit!", sprach meine Schwester und stellte sich zwischen meinen Bruder und meine Mutter. „Auch, wenn du lügst, wirst du immer ein erbärmlicher Asozialer sein! Sieh dich an! Du stinkst nach altem Straßenköter! Du bist hässlich und stinkst!"

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