ZWEI

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 Es wunderte mich am nächsten Morgen nicht, dass Marcus noch immer auf der Couch lag und im Sitzen schlief. Er schien sich keinen Zentimeter bewegt zu haben, denn seine Hose stand noch immer offen und seine Arme hingen genau wie letzte Nacht schlaff neben seinem Körper.

Es war ein jämmerlicher Anblick, der sich mir präsentierte.

Ich zog mir meine Jacke über, die noch auf der Couch lag.

Es war scheiße kalt.

Die Heizung lief in unserer Wohnung immer nur eine Stunde am Tag und das meistens nachts. Mehr wurde uns vom Hausbesitzer nicht erlaubt, da wir beide gerade mal fünfundsechzig Euro Miete zahlten. Deshalb verdammte ich es hier am meisten im Winter, wenn es kalt war. Eines der Fenster hatte eine kaputte Ecke und somit gelang permanent kalte Luft hinein. Ich konnte bereits meinen eigenen Atem sehen. Es wunderte mich, dass Marcus nicht erfror, wenn er die ganze Nacht nur mit einem Unterhemd bekleidet in der Kälte schlief.

Ich ließ mich auf die abartige Couch fallen. „Ey", sagte ich, um ihn wachzumachen. Er regte sich nicht, deshalb schmiss die Zigarettenschachtel nach ihm, die auf dem Tisch lag. „Wach endlich auf, man."

Er schnaufte einmal und öffnete dann langsam die blutunterlaufenen Augen. Sein Körper bewegte er trotzdem nicht, ich konnte nur erkennen, wie er mich aus dem Augenwinkel betrachtete. Ein widerliches Grinsen bildete sich auf seinen Lippen und mir wurden die Spitzen seiner gelb vergammelten Zähne präsentiert. „Wunderschönen guten Morgen", krächzte er.

„Es ist ein Uhr mittags."

Marcus stöhnte und richtete sich ein wenig auf. Ich konnte seine Knochen bis zu mir knacksen hören und mir kam eine Wolke von undefinierbarem Gestank entgegen. „Wo warst du gestern?"

„Unterwegs", antwortete ich knapp und nahm mir meinen Haustürschlüssel von dem kleinen Tisch.

Er lachte auf und beugte sich nach vorne zu dem Tisch. „Unterwegs. Hast wohl wieder deine Alten gestalkt, du Kleinkind."

Einer der vielen Gründe, wieso ich ihn so verachtete. Er verstand nie, wieso ich so oft zu dem Haus meiner Eltern ging, viel lieber zog er mich damit auf. Es war zwar unnormal das zu tun, was ich tat, doch es war noch das letzte, was in meinem Leben übrig blieb, das erträglich war.

Ich beachtete seine Worte nicht, sondern stand einfach auf. „Ich werde gehen. Heute Abend bringe ich etwas zu Essen mit."

Marcus nahm die Plastikkarte von dem Tisch und zog seine Line Kokain auf dem schmutzigen Tisch nach. „Dann bring auch gleich das Geld mit, das du mir noch schuldest." Er beugt sich über den Tisch und zieht die Line durch einen Strohhalm in seine Nase, dann reibt er mit einem Stöhnen über die Nase. „Kannst du es mir heute nicht geben, fliegst du raus. Ich warte keinen Tag mehr länger."

Ich nickte nur stumm und ging aus dem kaputten Türrahmen des Wohnzimmers zum Flur.

„Und bestell deinen Alten einen schönen Gruß von mir!", rief er mir noch hinterher und lachte dann gehässig, bevor ich die Tür zuknallen ließ.

Ich hätte niemals gedacht, dass ich mal sagen würde, meine Arbeit wäre für mich entspannender, als mein eigenes Zuhause, denn ich liebte die Wochenenden, an denen ich arbeiten durfte und endlich von dieser widerlichen Atmosphäre flüchten konnte.

Wie erwartet lag die schwarzhaarige Frau von letzter Nacht nicht mehr vor der Tür. Wahrscheinlich wurde sie von dem Regen geweckt, der auf die Erde hinab prasselte.

Ich band mir meine Jacke enger um den Oberkörper und setzte mir die Kapuze über, um den kühlen Wind nicht mehr spüren zu müssen. Als ich langsam auf die Seite von Berlin kam, die nicht zu vergleichen war mit der Seite, auf der ich lebte, fühlte ich mich mit jedem Schritt unwohler. Die Menschen starrten mich immer an. Zumindest dachte ich das. Doch ich konnte es verstehen, denn ich sah scheußlich aus. Wahrscheinlich stank ich selbst genauso, wie der Geruch in der Wohnung und meine Haare waren viel zu lang und fielen mir in fettigen Strähnen ins Gesicht. Selbst meine alte Jeanshose war noch schmutzig von der Arbeit letzter Woche. Doch ich konnte es mir nun mal nicht leisten jeden zweiten Tag eine andere Hose anzuziehen. Ich besaß zwei Stück und beide waren übersät von Löchern und Flecken schon gar nicht mehr rausgingen.

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