yirmisekiz | ثمانية وعشرون

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Dalias Stimme schlug wie eine Bombe ein.

"Hallo", sagte sie in die Runde und lächelte ein wenig unbeholfen. Die Art, wie ihre Augen sich im Klassenraum umsahen, erinnerte Ceylin daran, wie sie sie früher immer im Unterricht angestarrt hatte, weil sie dachte, das sie das junge Mädchen dadurch einschüchtern konnte.

"Mein Name ist Dalia."

"Dalia wird uns von nun an begleiten. Es wäre wirklich sehr lieb, wenn einer von euch sich bereit erklären würde, sie auf den aktuellen Stand in unserem Kurs zu bringen. Und wie gesagt, denkt bitte an meine Worte: An dieser Schule tolerieren wir keine Form von Ausgrenzung oder Hassrede. Seid freundlich zueinander. Falls ihr Zeuge von solchen Situationen werden solltet, dann könnt ihr jederzeit mit den Lehrern des Seelsorger Programms reden, die werden mit euch eine Lösung finden."

Die Klasse nickte und begrüßte Dalia, und Ceylin hatte das Gefühl, sie würde gleich durchdrehen. Mit schnellem und unregelmäßigen Atem sah sie zu, wie Dalia sich mit ihrem typischen provokanten Lächeln einen freien Sitzplatz suchte und sich schließlich neben Ali setzte, der ein Stück von ihr wegrutschte.
Von hier hinten konnte sie sehen, wie sein Blick aus Reflex auf Nilo fiel, die weiterhin an die Tafel schaute.

Bemerkte denn wirklich niemand den Blick in ihren Augen? Bemerkte niemand ihre Art? Außerdem machte das alles doch überhaupt keinen Sinn? Wieso sollte Dalia aufgrund von Ausgrenzung und Mobbing die Schule wechseln, wenn sie doch jahrelang zugesehen hatte, wie Alev anderen Mitschülern das Leben und ihre schulische Laufbahn ruiniert hatte? Wenn, dann war sie doch der Tyrann, und nicht das Opfer?

"Ceylin, alles gut?", flüsterte Jamal und das junge Mädchen schreckte ein kleines wenig zusammen, bevor sie sich mit verwirrten Blick zu Jamal drehte, der mindestens genau so verwirrt aussah.

"Was?"

"Du wirkst so nervös", erklärte er und musterte ihr Gesicht. Ceylin blinzelte mehrmals und strich sich dann seufzend die Haare aus dem Gesicht, bevor sie nickte und sich versuchte, selber zu beruhigen. Bis jetzt hatte Dalia sie noch nicht erkannt, und das junge Mädchen durfte auf keinen Fall unsicher wirken und Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Zwar hatte sie es durch ihren extremen Gewichtsverlust, ihre Namensänderung, ihrer modischen Wandlung und der schweren Schminke erfolgreich geschafft, ihr Aussehen vollkommen zu verschleiern und abzuändern, aber trotzdem packte sie die lähmende Angst, dass Dalia sie irgendwie wiedererkennen würde und somit auch ihr größtes Geheimnis entblößt werden würde.

"Alles gut, ich war nur kurz in meinen eigenen Gedanken vertieft", antwortete sie und richtete die Schulsachen auf ihrem Tisch, um von ihrer Aufregung abzulenken. Im Gegensatz zu allen anderen konnte Jamal sie lesen wie ein offenes Buch und merkte sofort, wenn sie versuchte, etwas vor ihm zu verheimlichen.

"Okay, alles klar."

Sie konnte klar an seinem Gesicht erkennen, das er ihr nicht vollkommen glaubte, aber gerade als er noch etwas erwidern wollte, fing der Deutschunterricht an und Jamal drehte sich mit zusammengepressten Lippen nach vorne, um dem Unterricht zuzuhören.

Der Rest des Unterrichts verlief schleppend langsam und Ceylin schaffte es nicht einmal, sich für eine einzige Minute auf den Unterrichtsstoff zu konzentrieren, denn ihr Blick lag einzig und alleine auf Dalia. Sie verfolgte jede einzelne Bewegung von ihr und versuchte verzweifelt, eine logische Erklärung für ihr Dasein an dieser Schule zu finden.

Wieso ausgerechnet hier in Essen? An dieser Schule? Sind ihr die Schulen in Herne ausgegangen, oder wieso tauchte sie plötzlich hier auf? Mit jeder vergehenden Minute spürte sie immer mehr, wie ihr Magen sich drehte und wie ihr Brustkorb sich mit jedem Atemzug unangenehm zusammenzog.

Tagelang Regentropfen | SkandalWhere stories live. Discover now