3. Kapitel

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Es ist deutlich einfacher, Schutzengel von Menschen zu unterscheiden, als ich dachte. 

Entweder sind sie völlig unpassend für die Situation gekleidet oder benehmen sich ansonsten komplett daneben.

Meine Vermutung, dass ich seit meinem Unfall die Schutzengel aller Menschen sehen kann und nicht nur meinen griesgrämigen eigenen, hat sich leider bestätigt.

Seitdem ich weiß, dass ich sie sehe, fallen sie mir überall auf. Während der Visiten der Ärzte oder wenn sich die Krankenschwestern um meine Wunden kümmern. Die meisten Engel halten sich unauffällig im Hintergrund auf, aber sie sind da. Oft unterhalten sie sich untereinander oder sehen genauso genervt wie Devon aus, wenn ihr Mensch mal wieder irgendeinen Blödsinn macht. 

Anhand dieser Reaktionen kann ich sie zusätzlich zu ihrem Äußeren leicht von den normalen Menschen unterscheiden. Ich seufze innerlich auf. Normale Menschen. 

Ist es nicht traurig, dass ich solche Gedankengänge mittlerweile als völlig selbstverständlich hinnehme? Dabei ist es alles andere als normal. Es ist immer noch erschreckend, dass ich auf einmal in der Lage bin, Schutzengel zu sehen. Erschreckend, aber auch amüsant zugleich.

Jetzt gerade steht beispielsweise Joyce, die Psychiaterin der Klinik am Fußende meines Bettes. Konzentriert hat sie ihren Blick auf meine Akte gerichtet und blättert aufmerksam darin herum. Dabei fallen ihr einige ihrer braunen, glatten Haarsträhnen in die Stirn und sie wischt sie ohne es selbst zu bemerken wieder nach hinten. Ihre spitze kleine Nase ist konzentriert gekräuselt und nicht zum ersten Mal frage ich mich, ob sie überhaupt älter ist als ich. 

Was unsere Sitzungen nicht gerade angenehmer macht, da mir einige Dinge vor ihr unangenehm sind. Denn sie ist um ehrlich zu sein ziemlich heiß. 

Zusammen mit ihrem Schutzengel könnten sie als Model arbeiten. Ihre Begleitung ist der Prototyp eines Schutzengels, wie man ihn sich vorstellt. Blonde, leicht lockige Haare, helle Haut, blaue Augen und dazu offensichtlich mit Haut und Haaren in Devon verknallt. Dieser sitzt wie üblich gelangweilt rechts neben meinem Bett auf seinem Stuhl und sieht den Engel bewusst nicht an. Er ist sich sehr wohl darüber bewusst, dass er von ihr angehimmelt wird, ignoriert es aber komplett. Was mich etwas wundert, wo er doch so daran zu knabbern hat, dass er keine Aufmerksamkeit mehr von den Frauen bekommt. Später muss ich ihn auf jeden Fall fragen, wieso er nicht wenigstens etwas zurückflirtet. Das würde sie bestimmt freuen. Und ihm ein bisschen bessere Laune bescheren. 

Der blonde Engel streicht sich gerade keck grinsend eine ihrer Locken hinter das Ohr und legt die zarte Haut an ihrem Hals provozierend frei. Devon beißt als Reaktion hart seinen Kiefer zusammen und fixiert einen Punkt an der Wand direkt hinter ihr.

»Mr. Barnes?« Die abwartende Stimme von Joyce reißt mich aus meinen Beobachtungen und ich schenke ihr wieder meine Aufmerksamkeit. »Entschuldigung, was?«, frage ich dämlich nach, da ich ihr absolut nicht zugehört habe. 

Sie bedenkt mich mit einem halb genervten, aber auch amüsierten Blick aus ihren grünen Augen. Ich mag es, dass sie noch nicht einmal Wimperntusche trägt, sondern einfach ungeschminkt zur Arbeit erscheint. Sowas sieht man heutzutage bei Frauen ja eher selten. Die wenigsten trauen sich ohne Schminke aus dem Haus, was mich wundert. Ihre Natürlichkeit finde ich viel anziehender, als wenn ich auf ein dick geschminktes Gesicht sehe und erraten muss, wie die echten Gesichtszüge der Frau wohl aussehen. Oder ob sie auch im Regen noch Augenbrauen besitzt.

»Ich fragte, ob Sie sich bereit dafür fühlen, mit der Polizei zu sprechen.« Joyce sieht mich aufmerksam an und beobachtet jeden meiner Gesichtszüge, die gerade gefühlt entgleiten.

»Polizei? Wieso denn Polizei? Habe ich den Unfall verursacht?« Mir wird heiß und kalt zugleich. Ich kann mich an fast nichts mehr erinnern, was auf der Autobahn passierte. Ich weiß nicht einmal mehr, wohin ich überhaupt fahren wollte. Das einzige, an das ich mich erinnere, ist der Aufprall. Und dass ich mich mit meinem Auto überschlagen hatte. Angeblich ist es kurz nachdem mich die Feuerwehr daraus befreit hatte, explodiert. Aber auch daran kann ich mich nicht erinnern. Wann hatte es angefangen zu brennen? Die Brandverletzung an meinem Arm und Hals stammt von diesem Brand, das ist das einzige, was ich weiß. 

TodesengelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt