Prolog

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Blau zuckendes Licht dringt durch meine geschlossenen Augenlider.

In kurzen Abständen wird es hell, dann direkt wieder dunkel. Ein stechender Schmerz zieht durch meine Brust und den rechten Arm. Es fühlt sich dumpf, pochend und gleichzeitig heiß wie Feuer an. Solch einen Schmerz habe ich noch nie gespürt. Aber sollte es eine Hölle mit Fegefeuer geben, muss es sich genauso anfühlen.

Ich versuche mich auf meine Umgebung zu konzentrieren, mir fehlt die Kraft, meine Augen zu öffnen. Daher schenke ich meine gesamte Aufmerksamkeit den Geräuschen um mich herum. Irgendetwas piept unregelmäßig direkt neben meinem Ohr. Wie eine Maschine. Gleichzeitig höre ich ein entferntes Rauschen, wie die Motoren von Autos, die langsam an mir vorbeifahren.

Mich durchzuckt eine Erinnerung. Autos, natürlich. Die Autobahn. Ich bin Auto gefahren. Aber was ist dann passiert? Wieso liege ich hier und kann mich nicht bewegen? Woher kommen diese grässlichen Schmerzen in meiner rechten Seite?

»Behalt den Defi im Blick, er flimmert gleich wieder. Bereite dich drauf vor, dass wir erneut schocken müssen.« Eine ruhige, aber bestimmt klingende männliche Stimme dringt in mein Bewusstsein. Dann spüre ich eine kalte Flüssigkeit, die durch meine linke Armbeuge schießt. »Versuche seinen Kreislauf zu stabilisieren. Blutdruck im Keller. Noradrenalin ist drin. «

Mich durchrauscht eine unglaubliche Wärme und meine Gedanken überschlagen sich. Ich bin Auto gefahren. Jemand schrie meinen Namen. Dann folgte der Aufprall. Die paar Sekunden, die ich in meinem Wagen durch die Luft flog und sich wie Stunden anfühlten. Doch dann folgte die Landung, starke Schmerzen, die mir das Bewusstsein raubten.

Und jetzt dieses Chaos um mich herum. Menschen, die laut durcheinanderreden, dieses Piepen, was kurz aussetzt, nur um dann viel schneller wieder einzusetzen. Mein Herzschlag beschleunigt sich in der gleichen Geschwindigkeit und rast in meiner Brust. Mir bricht kalter Schweiß aus. Bin ich tot?

»Verdammt, Amiodaron rein, schnell!« Die vorher noch ruhig klingende Stimme schreit Anweisungen, die ich nicht verstehe. Wortfetzen dringen zu mir durch, es wird wieder kalt in meinem linken Arm, danach beruhigt sich mein Herz. Das Piepen wird wieder gleichmäßiger und ich kann damit fortfahren zu analysieren, wo ich bin.

Eine Maske bedeckt mein Gesicht, in regelmäßigen Abständen pumpt sie Luft in meine Lungen. Sie sitzt fest über meiner Nase und umschließt gleichzeitig mein Kinn, ich rieche Plastik und gleichzeitig den süßlichen Geruch von Sauerstoff.

Meine Augenlider flattern, ich kanalisiere all meine Kraft darein, sie endlich öffnen zu können. Es hupt ganz in der Nähe und eine weitere Stimme dringt in mein Bewusstsein.

»Was sind das alles für Idioten.«

Irritiert runzle ich meine Stirn. Dieser Satz passt so gar nicht zu den vorherigen, hektisch gebrüllten Anweisungen mit Fachbegriffen, die ich außer in Actionserien noch nie gehört habe.

Kälte zieht durch meinen Rücken und ich fange an unkontrolliert zu zittern. »Los Beeilung, wir müssen ihn von der Straße holen«, sagt die mir inzwischen bekannte Stimme mit den Anweisungen. Ein verächtliches Schnauben aus der anderen Richtung ist die Antwort.

Neugierig und unter den größten Anstrengungen meines Lebens öffne ich endlich die Augen.

Grell zuckendes Blaulicht bereitet mir sofort Kopfschmerzen und ich kneife die Lider etwas zusammen, um trotzdem für einen kurzen Moment etwas sehen zu können.

Um mich herum wuseln einige Männer in orangeroten Uniformen herum. Direkt neben mir steht ein Defibrillator, der meinen Herzschlag ableitet. Rechts auf dem Boden ist ganz viel Blut und ich frage mich, ob es von mir kommt. Drei Sanitäter knien um mich herum auf dem Boden. Stört es sie nicht, dass ihre Uniformen dreckig werden und mit Blut vollsaugen?

Weiter weg heult die Sirene eines Feuerwehrautos und an meinen Füßen steht ein Mann, der genauso fehl am Platz an dieser Unfallstelle aussieht, wie sich der idiotische Satz gerade angehört hat.

Kraftlos fallen mir die Augen wieder zu und ich seufze erschöpft auf. Jeder Atemzug ist auf einmal viel zu anstrengend, auch wenn ich von außen durch die Sanitäter Unterstützung bei jedem einzelnen Atemzug bekomme. Meine Gedanken schwirren um den seltsamen Typen, der mich so genervt angesehen hat.

Seine dunklen Augen haben sich in meinem Blick verfangen und dazu geführt, dass er sich völlig resigniert mit den tätowierten Händen durch seine Haare gefahren ist.

Ein rasselndes Geräusch dringt aus meiner Lunge und die Beatmung mit der stinkenden Maske auf meinem Gesicht stockt kurz. »Sättigung fällt, achter Tubus vorbereiten. Sedierung aufziehen.«

Wieder lauter Anweisungen, die für mich überhaupt keinen Sinn ergeben. Um mich herum bricht hektisches Treiben aus, ich höre Glas brechen, ein lautes Knistern, wie wenn eine Tüte aufreißt und gleichzeitig ein genervtes Brummen. War das schon wieder dieser seltsame Kerl? Was hat er überhaupt an dieser Unfallstelle zu suchen? Scheinbar nimmt ihn niemand wahr, sonst hätten sie ihn schon abgeführt. Oder bilde ich mir seine Kommentare, dass die Menschheit sogar zu blöd ist, sich selbst zu retten, gerade nur ein?

»Gebe Bolus. Intubation beginnen.« Jetzt klingt die Stimme des Sanitäters ruhig und konzentriert. Die Maske auf meinem Gesicht pumpt schneller, meine Lungen weiten sich schmerzhaft und dann ist sie auf einmal verschwunden. Stattdessen wird mir der Mund geöffnet und etwas kaltes, hartes in den Rachen geschoben. Ich würge und spüre eine kalte Flüssigkeit durch meine Vene im linken Arm rauschen. Sofort ist der Würgereflex weg. Aber ich kann nicht mehr atmen.

»Wir verlieren ihn!«

Das Piepen des Defibrillators nimmt wieder an Geschwindigkeit zu, aber das ist mir auf einmal egal.

Eine wartende Dunkelheit tut sich unter mir auf und ich lasse mich genüsslich hineinfallen. Die Stimmen der Sanitäter verschwimmen zu einer einzigen Masse, auch die Gedanken an den seltsamen Kerl sind verschwunden.

Ich fühle mich einfach nur schwerelos. Die Schmerzen sind weg, ich kann wieder frei atmen.

So muss sich der Himmel anfühlen.

Ein zufriedenes Grinsen breitet sich auf meinem Gesicht aus, während ich in der Dunkelheit umherschwebe. Sanfte Wölkchen treiben an mir vorbei und ich sehe fasziniert dabei zu, wie sie sich automatisch teilen, wenn ich auf sie zu schwebe.

»Jetzt reicht es mir aber. Zweimal an einem Tag muss nicht sein, mein Freund.« Eine fluchende Stimme dröhnt in meinem Kopf und die Wolke direkt vor mir, in die ich mich gerade kopfüber hineinstürzen wollte, löst sich in Luft auf.

Stattdessen greift eine tätowierte Hand nach mir.

Ruckartig zieht sie an meinem Körper und befördert ihn zurück auf den kalten, harten Asphalt.

»Wir haben ihn wieder!«

TodesengelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt