Kapitel 2: Eine alte Bekanntschaft

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"Chloe?"
Die Stimme lässt mich zusammenfahren. Ich wirble herum und suche den Raum ab. Die Tür steht offen und der Schein der Kerzen vom Treppengeländer fällt einige Meter weiter ins Zimmer. Genau vor der Staffelei, vor der ich vorhin noch gestanden habe, steht jemand. Als er ein paar Schritte ins Licht tritt, kann ich die aufrechte Gestalt in dem ordentlichen Anzug erkennen.
"Elijah!", entfährt es mir. Ich hatte schon Angst, Nik wäre zurückgekommen.
Der Vampir tritt langsam auf mich zu und mustert mich aus dunklen Augen. "Was zum Teufel machst du hier, Chloe?"
Ich zucke die Achseln. "Das gleiche könnte ich dich fragen. Du gehst doch nie hierher."
"Ich habe Geräusche gehört." Elijah redet wie immer ruhig und bedächtig.
"Ja ... Tut mir leid, ich wollte deinem Bruder nicht begegnen."
"Das kann nicht sein. Vor 128 Jahren bist du von der Bildfäche verschwunden, du hast dich nie wieder gemeldet, und auf einmal stehst du hier, komplett durchnässt und wie ein Einbrecher und fragst mich, was ich hier mache."
Ich fahre mir durch die nassen Haare. "Tut mir leid, ich ... ich brauche etwas. Für Damon ... Moment mal, verschwunden?!" Ich schaue ihn ungläubig an. "Ich bin nicht einfach verschwunden, ich wurde verjagt. Von Nik, wenn ich mich recht entsinne. Und du hast zugesehen."
Er seufzt. "Das tut jetzt überhaupt nichts zur Sache. Ich frage dich noch einmal, Chloe: Was machst du hier? Solltest du mir nicht antworten, wirst du schon merken, was ich mit dir machen, denn wie ich sehe bist du kein Vampir mehr." Er runzelt die Stirn. " Wo wir schon beim Thema wären, wie ...?"
Ich lächle ihn unschuldig an. "Du bekommst nur auf eine deiner Fragen eine Antwort."
Nochmals entfährt ihm ein Seufzer. "Und wie ich sehe, hast du deine scharfe Zunge nicht verloren. Nun gut, also, was machst du hier?"
"Ich habe etwas gesucht", erkläre ich. "Aber nicht gefunden. Von daher können wir die Sache vergessen und du siehst mich nie wieder."
Ich wollte an ihm vorbei und aus dem Raum, aber von einer Sekunde auf die andere steht er plötzlich vor mir und versperrt mir den Weg.
"Was? Ich habe dir deine Frage beantwortet."
Elijah sieht mich nachdenklich an. "Wahrscheinlich willst du nicht, dass ich Klaus von deinem kleinen Besuch hier erzähle, oder nicht?"
Ich lächle und gehe nachdenklich zu einem der Tische hinüber. Darauf liegen neben mehreren Tönen Blau, Rot und Lila auch Niks Zeichenpapier und seine Stifte. Ich nehme einen Stift in die Hand und drehe ihn zwischen meinen Fingern. "Natürlich wäre ich dir geneigt, wenn du Nik nichts von meinem Besuch hier erzählen würdest. Ich bin auch nicht mehr lange hier, von daher würde es keinen Sinn machen, wenn du es tätest."
"Du wärst nicht hergekommen, wenn es nicht wirklich wichtig gewesen wäre", meint Elijah gedankenverloren. Ich grinse und zucke die Schultern. "Vielleicht kann ich dir helfen, Chloe."
Ich schüttle den Kopf und lege den Stift wieder zurück. "Glaub mir, Elijah, du bist einer der Letzten, der mir helfen könnte."
Mit diesen Worten gehe ich über die Schwelle, die Treppen hinunter und durch die Haustür hinaus. Es hat aufgehört zu regnen. Elijah hält mich nicht auf, während ich den Innenhof überquere und durch die Straßen verschwinde.
Sobald ich außer Sichtweite des Hauses bin, lege ich mein selbstsicheres Verhalten wieder ab und tausche es durch eine verärgerte Miene. Das war ja mal ein totaler Reinfall gewesen! Das Geheimfach hat sich nicht öffnen lassen, ich habe das, was die Hexen von mir wollen nicht gefunden und Niks Bruder hat mich entdeckt. Ich brauche diesen Gegenstand, ich muss Damon retten. Und deswegen war ich auch bereit, das Risiko einzugehen, als ich schnell eine Nachricht auf das Stück Papier gekritzelt habe. Ich hoffe nur, dass Elijah es nicht bemerkt hat.
Kennst du mich noch?, steht darauf. Ich bins, Chloey.

DesideriumWhere stories live. Discover now