11 - Trap

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Kevin sitzt einmal mehr in der Bibliothek, er will mehr über die seltsame Kraft des Bösen herausfinden. Mit wachsendem Interesse erfährt er wenig bekannte Details zu Höhlenmalereien. Offensichtlich existieren tatsächlich solche Darstellungen eines falterähnlichen Menschenwesens in einigen Höhlen der Welt. Bisher hat bloß niemand einen Zusammenhang darin gesehen.

Mit dem Aufkommen des Christentums wurde das Böse personifiziert; es bekam einen Namen und eine Gestalt. Der Gehörnte Bösewicht; selbstverständlich ein männliches Wesen, wie die ganze Religion. Kevin erfährt einiges über das primitive Weltbild von Himmel und Hölle, was er auf mangelndes Verständnis der Natur zurückführt; die Menschen dieser Zeit hatten schlichtweg nicht das Wissen, welches sie rund tausend Jahre vor ihnen oder jetzt, zweitausend Jahre später hatten und wieder haben. Insgeheim bezeichnet er die Zeit zwischen Christi Geburt und dem Ende der kirchlichen Herrschaft als 'Zeitalter der Ignoranz'. - Wobei das sogar für große Gebiete der modernen USA weiterhin Gültigkeit hätte; er muss bei diesem Gedanken schmunzeln.

Das Böse steckt in den Menschen wie das Gute auch. Im Leben eines Menschen spielt lediglich das Gleichgewicht eine entscheidende Rolle. Spannend findet Kevin den Abschnitt einer wissenschaftlichen Arbeit, wo von Epigenetik berichtet wird; scheinbar kann man einzelne Gene, die man in der DNA mit sich herumträgt, bewusst ein- oder ausschalten; eine Art selbst bestimmen, welches Gen sich im eigenen Leben entwickeln soll und welches nicht. Falls das stimmt, denkt er sich, sollte jeder Mensch in der Lage sein, die Krankheiten und Neigungen, die in seiner DNA schlummern zu aktivieren oder zu unterdrücken. Dies wiederum würde die böse Energie ihrer Macht berauben; sie hätte keinen Einfluss mehr auf die Menschen; mit Ausnahme jener Menschen, die sich bewusst für das Böse entscheiden.

Kevin macht sich fleißig Notizen. Er möchte Laurie helfen und selbstverständlich möchte er auch Chu befreien. Das Licht der Bibliothek beginnt zu flackern. Kevin kontrolliert die Zeit auf seinem Mobiltelefon; er sitzt seit geschlagenen vier Stunden am Computer. Sofort speichert er seine Arbeiten und beginnt, die Notizen und Kopien der Bücher sorgfältig einzupacken.

Er hört Schritte, dreht sich um und blickt in das fragende Gesicht der Rektorin. "Kevin Henderson, was machen Sie noch hier? Sie sind schon sehr lange in der Bibliothek. So viele Hausaufgaben können Sie nicht haben."

"Entschuldigen Sie, Misses Haussmann, ich forsche nach Erklärungen zu Dingen, die wir in der Musikklasse diskutiert haben; das Thema interessiert mich."

"Sie sollten nun Pause machen; ich möchte hier abschließen. Kommen Sie, ich begleite Sie nach draußen."

"Misses Haussmann, darf ich Sie fragen, was Sie über das Verschwinden meiner Freundin Chu Pheng wissen? Gibt es neue Erkenntnisse?"

"Ich bin zuversichtlich, Sie werden sich bald wiedersehen, Kevin. Bestimmt ist sie nur nachhause gegangen und macht blau, wie viele Jugendlichen in dieser Zeit. Sie ist bestimmt Skifahren gegangen."

Kevin glaubt das nicht; sicher, Chu liebt den Sport in der Natur, aber sie würde niemals die Schule schwänzen; zudem ist sie aus der Bandprobe nicht wieder aufgetaucht. Als er sich zur Rektorin umdreht, um sie genauer zu befragen, streckt Mrs. Haussmann ihre Hand nach ihm aus. Die roten Augen leuchten bedrohlich ausdruckslos. Als die Rektorin ihn berührt, verliert Kevin das Bewusstsein.

***

Chu hat keine Ahnung, welcher Tag oder welche Uhrzeit es ist; ist es Tag oder Nacht, sie weiß es nicht. Das Licht ist unverändert schwach, jederzeit. Für Menschen kommt das einer Folter gleich, denn wir brauchen diesen Rhythmus von Tag und Nacht. Chu ist müde, kann gleichzeitig nicht schlafen. Damit ihre Durchblutung funktioniert, steht sie regelmässig auf und bewegt sich; sie trinkt viel Wasser und isst, wenn sie Nahrung bekommt.

BlutjungWhere stories live. Discover now