10 - Zeit, zu gehen

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Eine ganze Woche, also sieben verdammte Tage, ist es nun schon her, seit ich nichts mehr von Lucifer gehört oder gesehen habe. Er ist wie vom Erdboden verschwunden. Als hätte er nie existiert und nie mein Leben auf den Kopf gestellt.

Andere Menschen wären vielleicht erleichtert, den Teufel abgeschüttelt zu haben, aber mich stört das. Und ehrlich gesagt bereitet es mir auch Sorgen, nicht zu wissen, wo er ist und ob es ihm gutgeht.

„Tut mir leid, Hails, aber ich kann mich nicht mehr richtig daran erinnern", reißt mich Kinsleys mitfühlende Stimmfarbe aus meinen Gedanken in die Realität zurück. Ihre babyblauen Augen funkeln mich zwar entschuldigend an, doch sie können den Sturm, der in meinem Herzen tobt, nicht bändigen.

„Wie meinst du das?", frage ich sie wütend. „Du musst doch wohl wissen, wie du Lucifer letzte Woche heraufbeschworen hast! So etwas vergisst man nicht einfach!" Ich verschränke die Arme vor der Brust und strafe meine Freundin mit einem enttäuschten Blick.

Kinsley ist meine letzte Hoffnung. Entweder sie beschwört Lucifer erneut herauf, damit ich mit ihm reden kann, oder ich werde ihn nie wiedersehen.

Warum war ich auch so blöd und habe ihn nicht nach seiner Handynummer gefragt? Obwohl er der Teufel höchstpersönlich ist und täglich die Hölle reagieren muss, wird er ja wohl ein Smartphone und WhatsApp haben. Oder?

Und selbst wenn nicht: Seine E-Mail-Adresse hätte es auch getan.

„Hör auf, deinen Frust an mir auszulassen!", erhebt Kinsley verärgert die Stimme. „Ich kann auch nichts dafür, dass sich Lucifer nicht bei dir meldet."

Ein unangenehmer Stich zuckt wie ein Blitz durch mein Herz.

Es sollte mir egal sein, dass Lucifer so plötzlich aus meinem Leben verschwunden ist, aber ich kann einfach nicht aufhören, an ihn zu denken. Außerdem muss ich noch meinen Teil der Abmachung erfüllen und ihn ebenfalls auf eine Hochzeit begleiten.

Ob er das wohl vergessen hat?

„Komm her, Hails." Kinsley breitet mitleidig ihre Arme aus, damit ich mich an sie kuscheln kann. Obwohl ich sie in den letzten Minuten so blöd und unfair behandelt habe, ist sie für mich da und versucht, mir Trost zu spenden. „Er meldet sich bestimmt bald bei dir. Ganz sicher!"

Hoffentlich!

***

Wie eigentlich jeden Montagmorgen bin ich total unmotiviert, aufzustehen und mich für die Uni fertigzumachen. Nach wie vor kreisen meine Gedanken um Lucifer und sein Verschwinden.

Ihm ist doch nichts zugestoßen, oder?

Mit Mühe und Not würge ich mein Nutellatoast herunter und spüle die Reste mit Kaffee nach. Es nervt mich, dass ich so dermaßen neben der Spur bin, aber leider kann ich das nicht ändern.

Nachdem ich mein Geschirr in die Spülmaschine geräumt habe, schlüpfe ich in meine ausgetragenen Vans, schultere meinen Rucksack und verlasse dann die Wohnung. Draußen werde ich von einem wolkenverhangenen Himmel und eisigen Windböen in Empfang genommen.

Na toll. Nicht mal das Wetter steht auf meiner Seite ...

Kaum ist dieser Gedankengang verklungen, landet der erste, kalte Regentropfen auf meiner Nasenspitze.

„Ernsthaft?!", grummele ich genervt. So viel Pech kann man doch gar nicht haben!

Ich beschleunige meine Schritte und schlinge fröstelnd meine Arme um meinen Oberkörper. Binnen weniger Sekunden bin ich komplett durchnässt. Meine Kleidung klebt wie eine zweite Hautschicht an meinem Körper, meine Haare tropfen und in meinen Schuhen schwappt das Wasser immer abwechselnd von rechts nach links.

Bis dass Lucifer uns scheidetWhere stories live. Discover now