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Der Morgen, bevor ich in die Schule ging sah jeden Tag so aus, dass ich erst einmal auf die Toilette gehen musste, weil ich viel zu aufgeregt war in die Schule zu gehen. Langsam bereitete ich mich darauf vor, was passieren könnte und wovor ich noch eine große Angst hatte. Nämlich den Zettel von Mariam. Jeden Morgen redete ich mir ein, dass mir nichts geschehen wird und immer wieder bereitete ich mich darauf vor, wie jedes mal nicht von meinen Mitschüler*innen beachtet zu werden. Immer diese Bauchschmerzen, die ich Tagtäglich spürte...

An diesem Tag hatte ich besonders angst gehabt. Ich machte mir gedanken darüber, was das für mich heißen soll, als sie mir die Notiz schrieb.

,,Gleich bist du dran... Was genau meinte sie bloß?" Fragte ich mich und stellte mir das schlimmste vor. Vor allem hatte ich angst davor, in eine Ecke gedrängt, erniedrigt oder sogar geschlagen zu werden. Ich fürchtete mich vor ihr und davor, was geschehen mag.

Zur Schule wurde ich wie des öfteren mit den Auto gebracht. Auf den Weg dahin, wurde mir immer übler und ich versuchte mir einzureden, dass nichts passieren wird. Langsam stieg ich aus dem Auto aus und schaute meinen Vater hinterher. ,,Bleib hier..",sprach ich in meinen Gedanken vor Angst aus und wünschte es mir, doch er fuhr fort. Mit jedem Schritt in die Schule, fühlte ich mich eingeengt. Als wäre ich der Müll, der von einer Containerpresse gequetscht wird und es wurde immer enger im Raum. Mit einem stechen in meiner Brust, als auch das vorhandene Missbefinden, so lief ich rein, in unser Klassenzimmer. Jeder böse und mich erniedrigte Blick, jedes schlechte Gerede über mich, alles sah ich an mir vorbei schleifen. Ich schaute zur Boden und niemanden an, ich hatte das Gefühl, ich kam nicht voran. Selbst der Weg in die Klasse, fiel mir schwer zu gehen. So bewegte sich mein Körper nur langsam weiter.

In den ersten beiden Stunden hoffte ich, dass sie niemals vorbeigehen werden. Ich hatte eine große Angst vor der Pause und beschloss auch direkt, sie in der Mädchentoilette zu verbringen.

,,Gleich bist du dran"

-Mariam.

Immer hatte ich nur die Notiz im Sinn und konnte an nichts anderes mehr denken. In dem Augenblick, als ich ängstlich auf meine Uhr schaute, hatte es auch geklingelt. Ich schluckte meine Spucke schwer herunter und da sich bereits viele Mitschüler und Mitschülerinnen aus meiner Klasse, sich an der Tür vordrängelten, blieb ich noch auf meinem Stuhl sitzen. Mit Absicht schaute ich nicht in die Richtung von Mariam. Ich wollte ihr nicht geben, was sie von mir wollte. Meine Aufmerksamkeit. Doch als die Klasse immer leerer wurde und ich raus laufen wollte, fiel mein Blick automatisch auf Mariam. ,,Mist!" Dachte ich, schließlich wollte ich doch nicht in ihre Richtung schauen. Sofort sprang mein Herz mir fast aus der Brust heraus, weil mein Körper sich vor ihr gefürchtet hatte. Mein Kopf redete mir ständig ein, stark zu sein und keine Angst vor ihr haben zu müssen, doch leider war dies nur ein unerfüllter Wunsch gewesen. Wie erstarrt ,blieb ich auf meinen Platz sitzen. Ich schaute weder nach rechts, noch nach links und als die Lehrerin uns bat nach draußen zu gehen, drehte sie ihren Rücken zu uns, weil sie vor der Tür auf uns warten wollte, um die Klasse abzuschließen. Genau in der Sekunde kam eine schnelle Bewegung von Mariam, Melek, Lena und ein weiteres Mädchen. Geschwind liefen sie an mir vorbei und als ich mich wegen ihnen erschreckte, lachten sie plötzlich ganz laut. Auch die Lehrerin lachte, nachdem ich ungewollt schmunzelte, denn für sie sah es nur nach Spaß aus und etwas anderes, hätte ich auch nicht gewollt. Vor der Klasse, sah ich keinen der vier wieder und lief mit einem offenen Ohr durch die Fluren, auf den Weg zur unteren Mädchentoilette. Schließlich konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie schon weg sind und musste auf der Lauer sein. Bisher hörte ich keine ihrer Schritte, doch ich lief weiterhin vorsichtig. Plötzlich sprang Mariam hinter mir auf. Weder Melek, noch Lena und das andere Mädchen waren bei ihr. Erneut hatte ich mich erschrocken und als ich die Treppen aus Reflex schnell nach oben rannte, da mir vor Angst übel wurde, rannte sie mir hinterher. Ich wollte nicht, in die untere Mädchentoilette gehen, denn wenn ich mich übergeben würde und es jemand sieht,wäre es mir zu peinlich gewesen. In den Fluren gab es jeweils nur eine Toilette für die Geschlechter, da würde es niemand bemerken. Sofort lehnte ich mich am Waschbecken und konnte mein Erbrochenes nicht mehr halten. Im Hintergrund fiel mir nur auf, wie Mariam darüber lachte. Noch nie fühlte ich mich so erniedrigt. Jedoch hätte es schlimmer kommen können, dachte ich, denn niemand außer sie hatte mich so gesehen...Bis ich im Spiegel von einem Blitzlicht geblendet wurde. Vom Spiegel aus, schaute ich sie an, ohne etwas zu sagen oder mich zu bewegen. Nun wusste ich, dass sie ein Foto von mir machte. Das war die schnellste Minute, indem meine Angst sich zu einer Wut umgewandelt hatte und je lauter sie lachend auf ihr Handy schaute, desto mehr bekam ich das Verlangen danach, ihr die Haare aus dem Kopf zu reißen. Noch nie hatte ich solchen Hass gespürt und ohne darüber nachzudenken, was richtig oder falsch war, drehte ich mich zu ihr um und befohl ihr das Foto zu löschen. Ich zog an ihrem Handy, sowie sie auch und da sie nebenbei laut krisch, bemerkte uns ein Lehrer, der uns versuchte auseinander zu halten. Sofort fing Mariam an, etwas zu schluchzen und hielt mit einer Hand ihre Schulter fest. ,,Ernsthaft?" Dachte ich. ,,Tut sie jetzt wirklich so, als hätte ich sie verletzt?" Fragte ich mich, als der Lehrer fragte, warum wir uns um das Handy streiten. Durch Mariams Mimik konnte ich erkennen, dass ihr keine Ausrede einfiel. So sagte ich nach einer kurzen Stille ganz leise, dass sie ein Foto von mir auf ihrem Handy hat. Ich wiederholte, was ich sagte, damit der Lehrer mich deutlich verstehen konnte und das erste mal, als ich in ihr Gesicht blickte, konnte ich spüren, dass sie nervös wurde. Ihr Gesichtsausdruck hatte mich aus welchen Gründen auch immer beruhigt. Wahrscheinlich lag es daran, weil ich auch bei ihr erkennen konnte, dass sie nicht immer ,,die Coole" war und auch ihre Gefühle in dem Moment zeigte. ,,So,dann zeig uns mal das Foto" Befahl der Lehrer. Sofort stöberte sie in ihrer Galerie und zeigte uns ein Bild, wo Melek ihre Hand auf meine Schulter gelegt hatte und wir beide darauf lachend zusehen waren. Das Foto sah zwar toll aus, denn dort sah ich glücklich aus. Nur fragte ich mich, wann und warum sie ein Bild von so einer Situation machte. Außerdem war es nicht das Bild, dass sie soeben von mir machte. Sofort schaute der Lehrer zu mir und als er mich fragte, ob ich das auf dem Foto bin, sagte ich:,, Ja". Gerade, als ich ihm sagen wollte, dass es jedoch ein anderes Foto von mir war,dass sie löschen sollte, ließ er mich nicht dazu kommen und bestätigte mein ,,ja" ganz humorvoll. Für ihn war die Situation nun geklärt gewesen, denn zum Schluss sagte er mir, dass ich ganz fotogen wäre und meine Komplexe überflüssig wären. Schnell bat er uns nach draußen zu gehen, damit er ebenfalls in die Pause konnte. Zufrieden rannte Mariam von mir weg. Ich konnte nicht einmal etwas sagen oder erneut von ihr verlangen, dass sie das Bild löscht. Mein Herz pochte wie wild und nicht einmal schreien konnte ich. ,,Was sie mit dem Bild wohl vorhaben wird?" Ständig hatte ich darüber nachgedacht und verzweifelte immer tiefer in meinen endlos, schwarz erblickenden Gedanken. Die Pause verging und ich musste wieder in die Klasse. Ich schämte mich sehr und wollte niemanden sehen. Denn was wäre, wenn sie es bereits den anderen gezeigt hat?... ,,Einmal im Leben habe ich mich getraut, einem Lehrer zu sagen, was wirklich geschah...Und es wurde einfach nicht gesehen", dachte ich voller Zweifel. Als wir alle im Klassenraum saßen und der Lehrer angefangen hatte zu unterrichten, konnte ich mich gar nicht konzentrieren. Ich hatte nur das eine Bild von mir im Kopf. Mir fiel auf, dass mich viele in der Klasse angestarrt hatten und fragte mich, ob sie es alle sahen. Ich hielt meine Hand verschämt vors Gesicht, denn ich wollte mich vor ihren Blicken schützen. Nun wünschte ich mir, dass der Schultag schnell vorbei geht und ich endlich Zuhause sein könnte, selbst wenn ich dort weniger meine Ruhe hätte. Der Unterricht war ende und nun folgte die zweite Pause. Erneut lief jeder gestürmt durch die Tür raus und dieses mal stand ich auf und drängelte mich zwischen ihnen durch. Plötzlich eine laute Stimme aus der Menge ,,iiiiih, was stinkt hier so nach Kotze". Ich drehte meinen Kopf um, um zu schauen, wer es sagte, doch dann war Stille und die Klasse wurde daraufhin aufmerksam. ,,Boah, ich kotz gleich wegen dem Gestank". Als ich meinen Kopf nach hinten drehte, sah ich, dass Melek und Lena diese Sätze in die Menge riefen. Schnell löste sich die Menge auf, denn jeder wollte in die Pause gehen. Ich blieb vor der Tür stehen und sah Mariam, Melek und Lena an mir vorbei rennen. Sie lachten alle dreckig und erneut wurde ich von Mariam absichtlich geschubst. Nun stand ich da und keiner mehr war dort. Ich holte tief Luft und mein Atem wurde immer zittriger. Nach und nach liefen mir ein paar Tränen runter, die ich versuchte mit meinen Gedanken zu stoppen. Und damit niemand meine Tränen bemerkt, lief ich erneut in die Mädchentoilette rein. Mit angezogenen Beinen saß ich auf dem Toilettendeckel. Nach und nach hörte ich, wie die Schüler von den Lehrern gebeten wurden, aus den Toiletten raus zu gehen. Jedes mal hielt ich meinen Atem an, um meine Schlurchzgeräusche zu unterdrücken. Mir wurde klar, dass die Mädchentoilette mein einziger, bester Freund sein würde. Das war der einzige Ort in der Schule gewesen, wo ich mich zurückziehen konnte. Richtig wohl, habe ich mich nie gefühlt. Der einzige Gedanke den ich hatte, war es nach Hause zu gehen. Nicht vieles, wünschte ich mir mehr als das. Es klingelte und die letzten beiden Stunden waren dran. Ich hatte angst davor, was wieder gesagt oder getan werden konnte. Jedoch verliefen die letzten beiden Stunden etwas ruhiger. Es war wie jedes mal gewesen und zum Glück nicht noch mehr. In der fünf Minuten Pause bemerkte ich, wie sie sich lustig über mich machten und über mich lästerten. Doch dies wurde zur Routine und daran musste ich mich noch gewöhnen. ,,Ob ich mich jemals daran gewöhnen könnte?" Fragte ich mich, während ich nur noch versuchte meine Tränen aufzuhalten. Es klingelte erneut und ich war die Erste nach dem einpacken meiner Schulsachen, die rausgelaufen war. Von weitem sah ich das Auto meines Vaters und mit einem erhöhten Laufgang, lief ich sturz geradeaus. Ich stieg in das Auto ein und war etwas erleichtert gewesen, dass der Schultag nun vorbei war. Doch nun erfolgte wie jeden Tag, die Lügerei. Mein Vater fragte mich, wie der Tag war und warum ich nie von meinem Schultag berichtete. Daraufhin geriet ich langsam ins Schwitzen, denn ich musste mir eine Ausrede ausdenken. ,,Ist doch immer das gleiche", sagte ich und lächelte ihn vom Rückspiegel an. Genauer betrachtet, hatte ich nicht einmal unrecht gehabt. Denn jeden Tag ging es mir in der Schule nicht gut und leider nahm ich dieses Gefühl mit nach Hause. Wieder holten wir meine Schwester aus der Schule ab, die sich fröhlich von ihren Freundinnen verabschiedet hatte. Sofort fragte sie unseren Vater, ob sie sich das Wochenende mit ihren Freundinnen verabreden darf. Daraufhin sagte er, dass sie es mit unserer Mutter besprechen sollte. Später fragte er auch mich, ob ich nicht lust hätte, mich mal mit meinen Freunden zu verabreden, doch ich verneinte es und blieb lieber Zuhause. Schließlich hatte ich auch keine Freunde, sondern nur Mitschüler gehabt. Und sie...naja, meine Mitschüler konnten mich wahrscheinlich nicht leiden. Als wir Zuhause angekommen waren, fühlte ich nichts anderes, als eine tiefe Leere in mir. Nach dem Essen, verschwand ich wie jeden Tag nach oben, in meinem Zimmer. Verloren in meinen Gedanken, verloren in starker Zweifel. Nichts und niemand konnte mich mehr befreien. Ich war gefangen in meiner kleinen, schwarzen und einsamen Welt. Nie hatte ich das Gefühl, einen Ausweg gefunden zu haben und wenn ich mich mal traute, die Wahrheit zu sagen, wurde es anders interpretiert. Ich fühlte mich alleine und es gab keine Hand für mich, die mich aus all diesen Schmerzen ziehen und mich halten konnte. Jemand der mir sagt, dass das bald ein Ende haben könnte...Zu dem Zeitpunkt gab es so jemanden nicht für mich, denn ich stand mir selbst im Weg Hilfe zu holen. Ich dachte darüber nach...über alles, was heute in der Schule geschah. Das Bild, die Anrufe, die Blicke, die Klassengruppe, die single Ladys Gruppe...gerade als ich darüber dachte, blinkte mein Handy auf. Sofort spürte ich ein mulmiges Gefühl im Bauch. Mein Atem blieb stehen und vor Angst, dass sie das Bild in einer Gruppe verschickte, kniff ich meine Augen fest zu. Langsam öffnete ich den Bildschirm meines Handys.

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