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»Und? Hast du sie gefunden?« Ungeduldig trete ich von einen Fuß auf den anderen, sehe zu den Bildern an der Wand im Flur. Es ist erst ein paar Monate her, dass wir hierher gezogen sind. Und noch nie habe ich mich irgendwo zu sehr zu Hause gefühlt, dass ich nicht den Drang hatte, weiterzuziehen. So wirklich glauben kann ich es immer noch nicht. Und jetzt werden wir bald unser erstes Weihnachten hier feiern.

Ein Scheppern reißt mich aus meinen verträumten Gedanken. »Ist alles okay bei dir?«, rufe ich zur Leiter hinauf, bekomme aber keine Reaktion. Ich hätte ihn doch nicht allein da hochgehen lassen sollen. Aber meine Angst war einfach stärker. Ist sie immer noch. Wobei das gar nichts gegen das Gefühl ist, das mich jetzt überkommt.

»Tom? Hast du dir wehgetan?«, frage ich nun deutlich alarmierter und bin kurz davor, meine Abneigung gegen Leitern und staubige Dachböden zu vergessen. Bis ich mich daran erinnere, dass da, wo Staub ist, auch Spinnennetze sind. Und ihre achtbeinigen Bewohner.

Alleine der Gedanke daran sorgt für eine meterdicke Gänsehaut. Mist, verfluchter! Unschlüssig lege ich eine Hand an die Holzleiter, während der Film in meinem Kopf mir weiterhin ein Horrorszenario nach dem anderen vorführt. »Tom?« Wieder nichts. »Mensch, sag was! Das ist nicht lustig!«

Ich weiß, dass er sich manchmal mit mir einen Spaß erlaubt. Er ist und bleibt eben ein Kindskopf. Gerade ist mir allerdings gar nicht mehr zum Lachen zu Mute. Noch einmal rufe ich seinen Namen, lausche und höre nichts.

»Ich ... komme jetzt hoch«, kündige ich an, obwohl er mich wahrscheinlich nicht einmal hören kann. Sonst würde er doch antworten, oder? Wie ich es auch drehe und wende, ich muss da hoch. Jetzt!

Ein letztes Mal atme ich tief durch, ehe ich den ersten Fuß auf die Leiter setze, die genauso instabil ist, wie sie aussieht. Mit klopfendem Herzen und zittrigen Händen kralle ich mich an dem hellen Holz fest, nehme Stufe für Stufe.

Nur um oben angekommen von meinem putzmunteren und noch dazu breit grinsenden Verlobten in Empfang genommen zu werden. »Du bist ja doch da. So eine Überraschung.«

Dieser ... Wäre ich noch dazu in der Lage, würde ich ihn schlagen. »Du ... hast mich reingelegt!« Meine Stimme bebt. Vor Zorn. Aber auch vor Erleichterung. »Ich dachte, es ist sonst was passiert.« Leider kann ich nicht verhindern, dass mir Tränen in die Augen schießen. Ich liebe diesen Idioten nun mal. Und er ...

Um ihm den Triumph nicht auch noch zu gönnen, will ich mich wegdrehen, spüre ich jedoch seine warme Hand auf meinem Oberarm.

»Hey.«

»Lass mich.«

Mit einem schuldbewussten schiefen Lächeln streicht er über meine Wange. »Sorry. Das war daneben.«

Das war es. Auch wenn er es sicher nicht böse gemeint hat, mir nur helfen wollte, meine Angst zu besiegen und ich nach dem anfänglichen Schrecken auch ein kleines bisschen stolz auf mich bin. Dennoch ziehe ich eine Schnute und verschränke die Arme vor der Brust. Er soll bloß nicht denken, dass er mich so einfach um den Fingern wickeln kann. »Das bekommst du zurück.« Den Gedanken daran, wie ich gleich wieder zurück nach unten komme, blende ich konsequent aus.

Tom grinst schief. »Ich werde meine Strafe tapfer ertragen.« Unberührt von meiner Abwehrhaltung legt er die Hände an meine Taille und erst jetzt fällt mir im fahlen Licht das weiße Ding auf, das um sein Gesicht baumelt.

»Was ... trägst du da überhaupt?«

Er legt den Kopf noch schiefer, woraufhin ihm der weiße Bommel ins Gesicht fällt. »Hab ich gefunden.« Achselzuckend deutet zu einer der Kisten, die unter dem runden Dachbodenfenster stehen. »Ich dachte mir, mit dem Teil auf dem Kopf wird das Donnerwetter nicht ganz so groß.«

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