Scream harder, November

Aquafina

Author's Note: Das offizielle Scream Harder, November Taschenbuch gibt's auf www.iamspringday.de

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Irgendwo lag er mit den ausgestopften Tierköpfen richtig. Bird und Minzys Domizil ist alles, nur nicht charakterlos. Bisher hat er nur den Eingangsbereich gesehen, aber der lässt bereits darauf schließen, dass den beiden ein Sarg als Kaffeetisch wahrscheinlich nicht originell genug wäre. 

Augen. Alles ist voller Augen. 

Okay, fangen wir bei den Wänden an. Sie sind smaragdgrün gestrichen, doch weil der Flur so geräumig ist, wirkt die dunkle Farbe nicht einengend, sondern gemütlich. Kronleuchter und Tiffany Wandlampen tauchen die Galerie aus Tierschädeln, die man eher einem Jäger als einem Tätowierer Ehepaar zutrauen würde, in ein schummriges Licht. Aber die Wände gucken dich an. Sie sind über und über mit Augen bemalt. Augen so groß wie Yoongis kleiner Fingernagel und Augen so groß wie Yoongi. Alle haben unterschiedliche Farben und schauen in verschiedene Richtungen. Es ist so verrückt. Yoongi kommt sich vor wie in einem Gruselkabinett. Er starrt die Wand an und sie starrt zurück. 

Er ist alleine hineingekommen. Am Tor der Gartenmauer gab es eine Gegensprechanlage mit Kamera. Yoongi hat einige Sekunden lang verlegen in die Linse geblinzelt, bis Bird sich endlich gemeldet hat. Er hat Yoongi das Tor aufgedrückt und ihn gebeten, einfach ins Haus zu gehen. Yoongi hat nicht viel von dem Vorgarten gesehen, durch den er dazu musste. Nur ein paar altmodische Laternen, wie man sie vor Tempeln findet. Scheinbar sammeln Bird und Minzy Antiquitäten aus aller Welt. Und bauen daraus ihre eigene. Es riecht angenehm. Der Geruch erinnert Yoongi ebenfalls an eine heilige Stätte. Sein Blick bleibt an einem Räucherkegel hängen, der auf einem kleinen Messingtellerchen vor sich hin glimmt. Es steht neben diversen anderen Ziergegenständen auf einer Kommode. Darunter Gestecke aus getrockneten Blumen, antike Vasen und mehr Schädel. Ungelenkig steigt Yoongi aus seinen offenen Stiefeln und tritt dann auf Socken auf die Treppenstufe, die den Eingangsbereich von der Wohnebene trennt. Auf dem Boden liegt ein langer roter Läufer mit einem orientalischen Muster. 

Während Yoongi noch überlegt, ob er vielleicht einfach eintreten soll, ertönen plötzlich Schritte auf der Treppe, die in die obere Etage führt. Yoongi stockt der Atem, als Bird sie soweit heruntergekommen ist, dass er aus den Schatten hervortritt. Er ist ähnlich gekleidet wie im Sound. Anzughose, ein schlichtes schwarzes Hemd, das so weit aufgeknöpft ist, dass man seine tätowierte Brust sehen kann. Dieses Mal trägt er jedoch kein Bandana. Er hat das blaue Haar zu einem kleinen, recht weit oben sitzenden Man Bun zurückgebunden, sodass man seinen Undercut sieht. Der kurz rasierte Teil unter dem blauen Deckhaar ist pechschwarz. Irgendwie kann Yoongi ihn sich nicht mit seiner Naturhaarfarbe vorstellen. Es wirkt fast, als wäre das Schwarz gefärbt und nicht das Blau. Manche Body Modifications wirken aufgesetzt, lassen Leute verkleidet erscheinen. Andere jedoch scheinen den wahren Charakter des Menschen hervorzuholen. So als hätte ihnen bei der Geburt noch etwas gefehlt, was aber dringend dazukommen musste, um sie komplett zu machen. 

Bei Bird sind es definitiv die Tattoos und die blauen Haare. Er trägt seinen Charakter, sein inneres Wesen, auf der Haut. Ohne die Bilder überall auf seinem Körper könnte man kaum erfassen, wer er ist; ohne die blaue Haarfarbe würde er unnatürlich gezähmt wirken. Die Rose auf seiner Schläfe ist wie ein Muttermal, das sein Körper selbst gebildet hat. Er ist so schön so.

Yoongi fragt sich, wie er in Birds Augen aussieht. Mit dieser verblassten, grünstichtigen Tragödie, die er Frisur nennt und dem Nasenring, den er sich mit einer verdammt stumpfen Sicherheitsnadel selbst gestochen hat. Er sitzt mega schief, aber es hat irgendwann geblutet wie Sau, so beim dritten oder vierten Anlauf. Da hat er nicht mehr so wirklich darauf geachtet, wie die Nadel letztendlich reingeht. Er war eh high, als er sich gestochen hat. Als ob er das Geld hätte, zu einem professionellen Piercer zu gehen, geschweige denn, sich tätowieren zu lassen. Ist er einer der Typen, wo es aufgesetzt wirkt? Er würde so gerne mehr nach außen hin zeigen, wer er ist. Aber wer ist er denn?

Bird duftet frisch geduscht. Und Yoongi ist einfach nur heilfroh, dass er vorhin noch baden war. Er fühlt sich natürlich immer noch schmutzig. Schuld kannst du nicht abwaschen. Selbsthass ist nicht wasserlöslich.

Eine Wolke aus Körperpflegeprodukten und dem goldenen Parfum umfängt Yoongi, als Bird ihn zur Begrüßung umarmt und ihm flüchtig einen Kuss auf den Mundwinkel drückt. Es ist die Art, auf die man Menschen begrüßt, mit denen man schläft, aber die man nicht liebt. Yoongi ist ebenfalls froh, dass er vorhin schon was gezogen hat. Sonst hätte er sich jetzt vielleicht vor Nervosität in die Hose geschissen. Er ist so aufgeregt, dass er kaum noch den Mund halten kann. Dass er das Gefühl hat, über irgendwas quatschen zu müssen, weil die Stille zwischen ihnen unerträglich ist. Und das passiert ihm sonst wirklich nie. Es ist auch nicht die Stille an sich. Sondern die Spannung. Gott, warum ist dieser Typ so heiß? Bird trägt ein bisschen Eyeliner. Es macht seinen Blick samtig und noch geheimnisvoller als sonst.

"Yo... was geht? Euer Flur ist ein ziemlicher... Blickfang", brabbelt Yoongi los. Augen... Blickfang. Alter, der kam flach. Nervös greift er sich ins Gesicht und dreht an seinem Nasenring, als würde er versuchen, beim Radio den Sender zu wechseln. Er braucht dringend ein besseres Programm.

"Schön, dass du hier bist", übergeht Bird seinen Kommentar und streckt dann den Arm aus. "Gib mir deine Jacke, ich häng sie für dich auf."

Yoongi hat damit gerechnet. Deswegen hat er das Baggy mit dem letzten Rest Meth schon in die Tasche seiner Jeans verfrachtet. Bird öffnet einen Wandschrank und verstaut Yoongis Lederjacke darin. Er braucht einen Moment, bis sie auf dem Bügel hängen bleibt, weil sie Schlagseite hat, seit der eine Ärmel aufgerissen ist. Yoongi tritt verlegen von einem Bein aufs andere. Er hat Angst, dass Bird ihm ansieht, wie kaputt er ist.