Kapitel 5

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Tage für Tage vergehen, bis schließlich Montagmorgen ist. Unser ganzer Deutschkurs hat sich auf dem großen Parkplatz hinter unserer Schule versammelt. Manche stehen bei ihren Familien, andere sind alleine gekommen. 

Ich erblicke Ethan, aber die Person, die mir als erstes auffällt, ist Yuna. Ihre lange braun gelockte Haarpracht hat sie heute zu einem Zopf zusammengebunden, wovon ein paar Strähnen rausgucken. 

"Hey!", begrüßt sie sich. Sie zieht einen türkisen Rollkoffer hinter sich her. 
Die letzten Tage hatten wir immer mehr Zeit miteinander verbracht und uns besser kennengelernt. Yuna ist wirklich total nett und ich freue mich darauf, mehr Zeit mit ihr zu verbringen. 

"Hi!" Wir haben uns schon so gut kennengelernt, dass Yuna mich umarmt. UMARMT! Ihr Körper schmiegt sich sanft um meinen. Ihre Brüste, an meinen. Ihre Arme um meinen Rücken. 

Die Umarmung ist nur kurz, aber ich spüre, wie meine Knie sofort weich werden und sich ein wohliges Kribbeln in meinem Bauch ausbreitet. Es fühlt sich gut an. Richtig gut. Ich würde mich am liebsten nie wieder von Yuna lösen. Aber ich weiß, dass das leider nicht geht. 

Der Bus fährt vor und alle nehmen ihren Platz ein. Glücklicherweise ergattern Yuna und ich Plätze nebeneinander. Leider jedoch in der gleichen Reihe wie Ethan. Uns beide trennt nur ein schmaler Gang. Es war klar, dass er mich deswegen erstmal wieder ansieht. Aber bevor Ethan auch nur ein Wort zu mir sagen kann, wende ich mich von ihm ab und drehe mich zu Yuna. 

"Wollen wir Plätze tauschen?", raunt sie mir leise zu. Sie hatte mir jedoch zuvor gesagt, dass sie gerne am Fenster sitzen würde und ich will das nicht verderben. Ich will, dass sie glücklich ist. Ich kann selbst nicht sagen, wieso. Aber ich dann einfach auch glücklicher. 

"Nein, alles gut.", sage ich also nur. 

"Alles klar, lieber Deutschkurs! Hier sitzen wir also, auf dem Weg nach Weimar. Ich möchte mich kurz halten: Schnallen Sie sich bitte an und seien Sie nicht zu laut. In viereinhalb Stunden werden wir in Weimar eintreffen. Ich freue mich auf eine schöne Reise mit Ihnen!"
Alle klatschen und beginnen, sich ihrem Handy oder Freunden zu widmen. Nur Ethan nicht. Er wirft mir immer wieder einen Seitenblick zu. Ich spüre es, aber ich wage es nicht, ihn zu erwidern. 

"Marie...", setzt er dann leise an. Ich tue so, als hätte ich ihn nicht gehört. Gott, können wir nicht mit irgendwem Plätze tauschen? Ich halte es keine viereinhalb Stunden neben meinem Exfreund aus. "Marie, ich... Wir werden jetzt drei Tage zusammen verbringen. Es wird langsam Zeit, das Ganze aus der Welt zu schaffen. Denkst du nicht?"

Genervt drehe ich mich zu meinem Exfreund um. "Nein.", antworte ich nur knapp. Yuna wirft mir einen mitleidigen Blick zu, der mir jedoch auch nicht mehr weiterhilft. 

"Bitte. Nur ganz kurz. Ich will dir nur ein paar Sachen sagen. Bitte, gib mir eine Minute!", sagt Ethan wieder. 

Ich sehe ihn kurz an; sein Blick ist bettelnd, als würde er alles dafür geben. Dann schnaufe ich und ziehe mein Handy hervor. Ich öffne den Timer und stelle ihn auf eine Minute. 

"Dann rede.", sage ich und starte den Timer. Allein die ersten fünf Sekunden gehen dafür drauf, dass Ethan mich verwirrt ansieht. Dann beginnt er zu sprechen. 

"Ich weiß, dass das alles zwischen uns nicht so gut gelaufen ist. Du mochtest mich wirklich und - glaub mir - ich dich auch. Ich wollte nicht, dass alles so ändert. Ich habe immer wieder gemerkt, dass alles anders ist, als ich immer dachte. Ich habe gedacht, es wäre Liebe gewesen, aber irgendwie war es das nicht. Ich mochte dich, Marie. Ich mochte dich wirklich, aber einfach nicht so. Vielleicht tut es weh, wenn ich das jetzt sage, aber ich habe dich nie geliebt. Bevor du jetzt etwas sagst: Es lag nicht an dir. Im Gegenteil. Du bist und warst wunderschön, nett und lustig. Eigentlich warst du das perfekte Mädchen für mich. Dass da keine Gefühle im Spiel waren, hat einen anderen Grund." Er macht eine kurze Pause. Der Timer ist inzwischen bei 20 Sekunden angelangt. Ethan hat nicht mehr viel Zeit. "Ich bin schwul. Und es tut mir leid, dass ich das nicht früher gemerkt oder gesagt habe. Ich habe mich immer gefragt, wieso ich denn nichts für dich empfinde. Irgendwie habe ich mir dann angefangen, alles einzubilden. Und als ich dann gemerkt habe, dass ich nur auf Jungs stehe - ein paar Wochen vor unserer Trennung -, wollte ich mich eigentlich nur noch selbst davon überzeugen, dass es nicht stimmen kann. Aber es hat gestimmt. Ich finde dich trotzdem immer noch total nett, auch wenn ich bei unseren Küssen und tiefgründigen Gesprächen nie so gefühlt habe wie du, du bist wirklich eine gute Freundin von mir und ich finde, du solltest endlich den Grund dafür wissen, wieso ich so komisch war und Schluss gemacht habe."

Pünktlich zu diesem Satz kommt der Timer bei 0:00 an. Ich wische den Ton weg und lege mein Handy auf Seite. Ich kann nicht sagen, dass Ethans Grund alles besser macht. 

"Wieso... hast du das nicht früher gesagt? Wieso hast du das nicht direkt bei unserer Trennung gesagt? Du meintest, deine Gefühle wären verblasst, nicht, dass sie niemals dagewesen sind. Wieso hast du mich angelogen?"

"Ich weiß nicht, ich... Ich wollte nicht, dass alle es sofort wissen. Und ich wollte nicht, dass du enttäuscht bist. Ich wollte, dass du erstmal Zeit hast, über das alles hinwegzukommen. Aber ich bereue es. Wirklich. Ich hätte viel früher die Wahrheit sagen und zu mir stehen sollen. Ich wollte dich nicht in das alles mit reinziehen. Aber trotzdem habe ich es getan. Und glaub mir: Es tut mir leid. Total leid. Ich weiß nicht, wie ich das wieder gut machen soll."

Ich schnaufe. Das weiß ich genauso wenig. Und gleichzeitig muss ich immer noch damit klarkommen, dass Ethan - mein Exfreund und der Schwarm von fast jedem Mädchen unserer Schule - gar nicht auf Mädchen steht. Ich habe kein Problem damit, dass er einfach nur auf Jungs steht, ich habe mehr ein Problem damit, dass ich es erst jetzt erfahre, und er mir nicht direkt die Wahrheit gesagt hat. Aber daran kann man jetzt nichts mehr ändern. 

"Ich habe wirklich versucht, Mädchen zu lieben, aber es klappt einfach nicht. Jungs sind viel attraktiver. Ich wollte mir das nicht eingestehen, aber jetzt weiß ich es. Ich bin schwul." Der letzte Satz ist so laut, dass einige Leute verstummen und sich zu Ethan umdrehen. "Was? Habt ihr ein Problem damit? Jungs sind eben heißer!", sagt er jedoch nur. 

Ich muss lächeln. Ich kann nichts dagegen tun. "Finde ich auch." Alle lachen. 

"Es tut mir echt total leid, dass ich dich so ausgenutzt habe. Vielleicht kannst du mir ja irgendwann verzeihen und wir können vielleicht wieder Freunde werden. Nicht heute oder morgen, aber vielleicht irgendwann." Er schnauft. "Das war eigentlich alles, was ich sagen wollte. Danke, dass du dir die Zeit genommen hast."

"Danke, dass du es mir gesagt hast." Ich weiß nicht, wieso ich auf einmal wieder so nett bin, aber ich habe gemerkt, dass Ethan wohl auch keine leichte Zeit durchgemacht hat. Er tut mir irgendwie schon fast leid. Vor ein paar Wochen hätte ich das wahrscheinlich noch nicht so gesehen, aber inzwischen stehe ich einfach nicht mehr auf ihn. 

Ethan wendet sich mit einem zufriedenen Lächeln wieder von mir ab und auch ich drehe mich zurück zu Yuna. 

"Wie geht's dir gerade?", fragt sie mich leise. 

"Alles gut.", sage ich nur. "Ich stehe nicht mehr auf Ethan."

"Auf wen denn?" Auf Yunas Gesicht breitet sich ein neugieriges Grinsen aus. 

"Geht dich nichts an.", erwidere ich jedoch nur lachend. Ich weiß nicht mal, ob ich wirklich auf die Person stehe. Aber immer wenn sie lächelt, kribbelt es in meinem Bauch. Und wenn sie mich berührt, fühlt es sich an, als würden mich tausende Schmetterlinge küssen. Es scheint, als hätte es mich wirklich getroffen. Aber wie kann das sein? Die Person ist ein Mädchen, die Person ist Yuna. Die Yuna, die ich erst eine Woche kenne, aber trotzdem fühlt es sich an, als hätte ich jede Sekunde meines Lebens mit ihr verbracht. Ich stehe doch nur auf Jungs! Mein erster Kindergartenschwarm war ein Junge und meine letzte Beziehung auch. Ich fand noch nie ein Mädchen heiß, wie kann das alles sein? Ich kann doch nicht bi sein, wenn ich bis jetzt nur Jungs mochte, oder? 

"Sag mir zumindest, ob ich ihn kenne.", kommt es von Yuna. 

"Er ist eine sie. Und ja, du kennst sie. Du kennst sie sehr gut." Ich spüre, wie ich rot werde. Ich kann es wohl nicht mehr verheimlichen. Ich habe mich in Yuna verliebt. 


Anmerkung von dem*der Autor*in: 

Uiuiui, da scheinen aber viele Schmetterlinge in der Luft zu sein. Ob es Yuna genauso geht? Und was haltet ihr von Ethan und seiner Erklärung fürs Schlussmachen?

Schreibt mir gerne einen Kommentar und lasst ein Like da. 

Butterflies - The Same Game Again  (DEUTSCH)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt