9. Schulfluraufarbeitungen

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„Und die ziehen jetzt wirklich bei euch ein? Das ist ja echt ein Knaller!" Lena macht vor lauter Aufregung mit beiden Armen eine schwingende Bewegung zu ihrer Körpermitte, wodurch ein großer Schluck des Kaffees in ihrer rechten Hand über den Rand ...

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„Und die ziehen jetzt wirklich bei euch ein? Das ist ja echt ein Knaller!" Lena macht vor lauter Aufregung mit beiden Armen eine schwingende Bewegung zu ihrer Körpermitte, wodurch ein großer Schluck des Kaffees in ihrer rechten Hand über den Rand schwappt. Er ergießt sich über ihre Finger und tropft von dort auf die schwarz-weiß karierten Fliesen des Schulflures. „Aua, heiß!", flucht sie, stellt die Tasse auf den Boden und steckt sich den lädierten Zeigefinger in den Mund. „Mist, das heißt, dass ich nach der kommenden Stunde schon wieder in die Cafeteria muss. Dieses kleine Pfützchen da, bringt mich niemals durch den Tag", nuschelt sie, während sie an ihre, Finger saugt, und traurig die übergebliebene Flüssigkeit in ihrer Tasse betrachtet. „Ich verstehe ja eh nicht, was man in der letzten Woche vor den Sommerferien in der Schule soll, die meisten Lehrer zeigen eh einen Film und denen, die das nicht machen, hört keiner mehr zu."

„Das würde wohl auch passieren, wenn sie es den Schülern freistellen würden, zum Unterricht zu kommen. Es wäre eine Kettenreaktion. Dann würde in der vorletzten Woche vor den Ferien niemand mehr aufpassen und so weiter und so fort", entgegne ich und reiche ihr eine Packung Taschentücher, die ich aus meiner schwarzen Umhängetasche gezogen habe.

„Ist doch prima! Nie wieder Schule!", fasst Lena zusammen, greift nach den Tempos und tupft sich damit die Finger ab. „Für dich wäre das natürlich eine Katastrophe, Miss Notenschnitt 1,0. Aber wer weiß, vielleicht lenkt dich ja dein neuer, heißer Mitbewohner ein bisschen ab, und du lernst die Sommerferien endlich zu schätzen."

„Er ist nicht heiß! Das haben wir doch gestern am Telefon schon alles besprochen! Er macht eigenartige Witze, hat Stimmungsschwankungen und innerhalb eines Tages hat er mich so weit gebracht, dass ich ihn anschreie!"

Tatsächlich hatten Lena und ich am Sonntag alle Kleinigkeiten meines Wochenendes bereits ausführlich am Telefon durchgekaut. Wie Tyler mir mein Portemonnaie zurückgegeben hat, Dads Pancakegeständnisse, das Kennenlernen mit der strahlenden Blumenfrau und wie ich Tyler das Haus gezeigt habe. Letzteres inklusive der lauten Anekdote im Bad. Alles hatten wir hoch und runter besprochen, aber Lena scheint von dem Thema einfach nicht genug zu bekommen, und jedes Mal ist sie dabei genauso aufgeregt, wie bei dem Gespräch zuvor.

Ich nehme meiner besten Freundin die benutzen Taschentücher ab, wische damit einmal fahrig über den Boden und schmeiße sie in den Mülleimer hinter uns. Lena hebt ihren Becher auf, streicht sich mit der freien Hand ihr sonnenblumgelbes Kleid glatt und mustert mich mit einem nachsichtigen Ausdruck auf dem Gesicht.

„Doch, er ist heiß, Em. Ernsthaft! Vergiss nicht, ich habe ihn am Freitag gesehen. Und dass du es nicht zugeben willst, zeigt mir nur, wie hot du ihn findest. Aber mal ganz abgesehen davon. Mir gefällt es, dass er dich dazu gebracht hat, ihn anzuschreien. Das spricht eindeutig für ihn."

„Wie soll das denn für ihn sprechen?", frage ich nach und weiche einer Gruppe tuschelnder Mädchen aus, die sich eng zusammengedrängt den Schulflur entlangbewegen.

„Na ist doch klar. Erste Lektion über Emilia Clarkson. Wenn man sie nicht hin und wieder anstachelt, platzt sie an all ihren unterdrückten Emotionen. Ich bin beeindruckt, wie schnell er das verstanden hat. Ich habe Jahre für diesen Durchbruch gebraucht." Sie hebt die Hand, um einer ihrer Freundinnen zuzuwinken, die uns von vorne entgegenkommt, und ich überlege mich in dem Knäuel der Mädchen zu verstecken, das neben uns stehen geblieben ist und weiterhin tuschelt.

Jennifer Loewe, die jetzt Lena umarmt, ist schlank, immer top gestylt und reich, doch das sind nicht die Gründe, aus denen ich sie nicht leiden kann. Nein, ich kann sie nicht ausstehen, weil sie affektiert und aufmerksamkeitssüchtig ist, und nicht müde wird, mir Ratschläge zu erteilen, wie ich das Loch füllen sollte, das meine Mutter hinterlassen hat. Es ist immer wertvoll, solche Tipps von Leuten zu bekommen, die in ihrem Leben noch kein schlimmerer Schicksalsschlag ereilt hat, als dass ihre Lieblingsjeans plötzlich eine Nummer zu klein war.

Jennifer wirft ihre glatten, langen, braunen Haare zurück und zieht nun mich in eine Umarmung. Sie riecht nach Chanel Nummer fünf und Penetranz. „Wie schön euch zu sehen", flötet sie mir ins Ohr, als wäre es die größte Überraschung überhaupt, dass man sich am Montag in der Schule trifft, wenn man in dieselbe Jahrgangsstufe geht.

„Wie war denn euer Wochenende?", möchte sie sie wissen und entlässt mich endlich aus ihren Armen. „Bei mir war ja einiges los. Ich war den ganzen Samstag shoppen und am Abend war da diese Party, wo ich einen richtig tollen Typ getroffen habe. Ehrlich, ich sage euch, ich ..."

„Spar dir deine Mühe, Jen", bremst sie Lena. „Dieses Wochenende geht das Duell um die aufregendsten Neuigkeiten ganz klar an Emilia. Die bekommt nämlich einen neuen, heißen Stiefbruder, der bald bei ihr einzieht?"

Böse funkle ich Lena an. „Nichts worüber ich sprechen möchte", betone ich, aber es ist zu spät. Jennifer ist Feuer und Flamme. Wenn sie etwas ähnlich gerne mag, wie über ihre Kennenlerngeschichten und neue Klamotten zu reden, dann ist es Klatsch und Tratsch.

„Wie, bitte? Das ging ja schnell! Endlich hat dein Vater sein Herz geöffnet. Ich habe ja immer gesagt, dass es euch guttun würde, wenn dein Vater wieder eine ernsthafte Beziehung eingeht. Und wann soll das losgehen?"

„Schon diese Sommerferien", antwortet Lena für mich. „Em ist noch dabei, die Neuigkeiten zu verarbeiten."

„Ja, das glaube ich, aber du musst dich einfach darauf einlassen, Emilia, das wird sicherlich eine Erfahrung, die dich nur voranbringen kann."

„Hm", murre ich. Momentan bringt mich das alles nur in einer Sache voran: In den Überlegungen, wie man mitten im Schulflur jemanden unauffällig K.o. schlagen kann.

Lenas Freundinnenkodex, dass man sich untereinander alles Wichtige erzählen sollte, ist echt anstrengend! Zumal Jennifer und ich keine Freundinnen sind! Ich wäre in diesem Fall mehr für einen niemand erzählt irgendetwas irgendjemandem Kodex zu haben.

Die Schulklingel beendet unsere Freistunde und um uns herum, schlagen lautstark Türen auf, Schülerinnen und Schüler strömen aus den Klassenzimmern heraus und drängen in Richtung Schulhof.

„Was sagt Mark denn dazu? Das muss schwierig für ihn sein! Er neigt ja sowieso ein wenig zur Eifersucht", ruft Jennifer mir über das Gewirr der Stimmen und trappelnden Füße zu.

„Gar nichts", erwidere ich.

„Du hast es ihm nicht gesagt?", fragt Jenn und schlägt in einer übertriebenen Geste beide Hände vor den Mund.

„Nein", bestätige ich.

„Sie machen eine Beziehungspause", ergänzt Lena und ich stupse sie in die Seite, wodurch erneut etwas von ihrem Kaffee auf den Boden schwappt.

„Was denn? Stimmt, doch! Und man, ich muss mir echt gleich eine neue Tasse Kaffee holen. Immerhin war er jetzt schon abgekühlt." Sie betrachtet ihre Finger.

„Heißt das, ihr trennt euch?", will Jennifer wissen.

„Das ist nicht ganz klar, deswegen machen wir ja eine Pause", sage ich und reiche Lena erneut meine Taschentücher.

„Also, wenn du meine Meinung wissen willst, wenn du tatsächlich daran glaubst, mit Mark zusammenzubleiben, dann solltest du mit ihm reden. Solche Neuigkeiten teilt man miteinander. Egal, ob die Beziehung pausiert, und sieh mal", Jennifer deutet auf die Tür zum Schulhof, „wenn man vom Teufel spricht."

Ich sehe nach oben und beobachte, wie sich ein großgewachsener Junge mit kurzen, blonden Haaren durch die herausdrängende Schülerschar nach drinnen schiebt.

„Na, wenn das kein Wink des Schicksals ist", meint Jennifer.

Nein, ist es nicht! Wir gehen verdammt nochmal alle auf dieselbe Schule! Trotzdem, Lena hatte vorhin recht gehabt. Es wäre schön, wenn die Ferien eine Woche früher anfangen könnten. Hier im Flur wird es mir langsam zu voll. 

Auf all die Hoffnungsschimmer dieses UniversumsWhere stories live. Discover now